Musikalischer Tüftler verabschiedete sich mit hinreißendem „Messias“
Was für ein Finale: Die Zuschauer in der gut besuchten evangelischen Kirche in Höhr-Grenzhausen feierten Tobias Martin, der mit Händels „Messias“ gerade den fulminanten Schlussakkord ans Ende seiner Zeit als Kantor im Westerwald gesetzt hat.
Höhr-Grenzhausen. Ihm selbst scheinen die stehenden Ovationen fast schon unangenehm zu sein: Er blickt nach unten, dann recht lange zum Himmel; verbeugt sich lächelnd und stellt sich flugs zu den Mitgliedern „seiner“ Kantorei. Ein Abgang, der Bände spricht. Auch bei Tobias Martins letztem Konzert in Höhr-Grenzhausen ist die Musik der Star. Wie schon in den vergangenen 13 Jahren.
Der Kantor war eben nie der Mann der großen Gesten. Eher ein musikalischer Feinmechaniker, der jeden Handgriff sicher kontrolliert. Und der selbst komplexe Uhrwerke wie den „Messias“ von Georg Friedrich Händel durchschaut und durchschaubar macht – mit dem präzisen Blick fürs klangliche Ganze und sparsamen Dirigat. Eine Meisterleistung, denn Händels Messias ist mehr als das berühmte „Halleluja“ – es ist ein dreiteiliges Oratorium, das die christliche Heilsgeschichte in rund vier Dutzend Sätzen musikalisch nacherzählt und sich dabei dem klanglichen Vokabular der Barockzeit bedient. In Höhr-Grenzhausen meistern die Sängerinnen und Sänger der Kantorei während „Durch seine Wunden sind wir geheilt“ komplexe fugierte Abschnitte, bei denen die Stimmen wie Zahnräder ineinandergreifen und trotzdem angenehm transparent bleiben.
Glasklar ist auch der Klang des Barockensembles Capella Confluentes – nicht nur wegen der Souveränität der einzelnen Musiker, sondern auch wegen ihrer historischen Instrumente, die deutlich schlanker klingen als ihre modernen Geschwister (und von denen manche dank aufwendiger Verzierungen und Schnitzereien einfach fantastisch aussehen).
Veredelt werden Chor und Orchester schließlich von den vier Solisten Julie Grutzka (Sopran), Dominique Unger Lafourcade (Alt), Stefan Kliemt (Tenor) und Christian Palberg (Bass), die die Solopassagen nicht nur sicher, sondern bisweilen überaus ergreifend meistern. Der Messias unter der Leitung Tobias Martins ist eben mehr als das präzise Uhrwerk. Es ist auch ein berührendes Kunstwerk, in dem Kraft („Du zerschlägst sie mit dem Eisenzepter“), Bitterkeit („Er wart verschmähet“) und unbändige Glaubensfreude („Drum Dank sei Dir Gott“) mit mehreren Sinnen spürbar sind: Wenn der Kantorei-Sopran bei den luftigen Sechzehntelnoten von „Der Herde gleich“ regelrecht mitswingt oder Tobias Martin das ein ums andere Mal die Augen schließt und sich ganz in die Musik hineinfallen lässt, ist das nicht nur akustisch, sondern auch visuell hinreißend.
Am Ende werden die vielen Besucher das Konzert nicht nur wegen der drückenden Hitze in Erinnerung behalten, die vor und leider auch in der Kirche geherrscht hat. Sondern vor allem, weil sie eine beeindruckende Symbiose aus Musikalität, dem feinen Gespür für Zurückhaltung auf der einen und echter Freude an der Musik auf der anderen Seite erlebt haben. Kurz: einen „Messias“, der in rund zweieinhalb Stunden das zusammenfasst, was den scheidenden Kantor Tobias Martin 13 Jahre lang ausgezeichnet hat. (bon)
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