Westerwaldkreis: wirtschaftlich stark, sozialpolitisch schwach
Das Modellprojekt „Gemeindeschwester plus‘“ erhält im Westerwaldkreis keine politische Chance. Somit wird es im Westerwaldkreis wird es keine „Kümmerer“ für alte Menschen geben. Mangelndes Interesse an sozialpolitischen Neuerungen wird kritisiert. Sparen zu Lasten der Kinder, alten und behinderten Menschen?
Westerwaldkreis. In den Gemeinden soll es wieder „Kümmerer“ für die Nöte von älteren und oft alleinlebenden Menschen geben. Bevor diese pflegebedürftig werden. Das Land Rheinland-Pfalz hat deshalb das Modellprojekt „Gemeindeschwester plus‘“ gestartet und dieses den Landkreisen angeboten. Viele Landkreise sehen die Notwendigkeit und wollen mit dem Projekt testen, was eine solche Gemeindeschwester neuen Typs leisten kann und wie der Bedarf dafür gesehen wird. Viele machen mit, aber den Westerwaldkreis sucht man vergeblich unter den beteiligten Kreisen. Ebenso wie bei vielen anderen fortschrittlichen sozialen Initiativen des Landes.
Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler meinte bei der Projektvorstellung dazu: „Ich bin froh darüber, dass wir mit der Gemeindeschwester-plus den Kommunen eine Unterstützung anbieten, die direkt bei den Menschen ankommen wird“. Bei den Menschen im Westerwaldkreis wird diese Hilfe jedoch nicht ankommen. Der sozialpolitische Sprecher der SPD-Kreistagsfraktion, Uli Schmidt, kritisiert dieses mangelnde Interesse der Kreisverwaltung an notwendigen sozialpolitischen Neuerungen: „Es ist wie fast immer, andere dürfen Konzepte entwickeln und testen, mit denen hilfsbedürftigen Menschen geholfen werden soll und der Westerwaldkreis guckt zu“, so Schmidt.
Ständig werde von der politischen Mehrheit im Kreis die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Region hervorgehoben und die im Vergleich zu vielen anderen stabile Finanzsituation zu Recht gewürdigt. „Dann muss man auch erwarten dürfen“, so der Sozialdemokrat, „dass ein solch starker Kreis auch mal vorne dabei ist, wenn es um sozialpolitische Weichenstellungen zum Vorteil für alte, behinderte und sonstige hilfebedürftige Menschen im Westerwald geht, die auf unsere Solidarität angewiesen sind.“ Stattdessen suche man immer das Haar in der Suppe und werde meist fündig. Nur bei wenigen Ausnahmen sei der Westerwaldkreis sozialpolitisch innovativ.
Schmidt hatte in einem Schreiben an Landrat Achim Schwickert bereits im April auf das Modellprojekt hingewiesen und angeregt, dass sich der Westerwaldkreis daran beteiligt. Mit Schreiben vom 11. Juni hatte Schwickert darauf geantwortet und die volle Kostendeckung durch das Land bezweifelt. Deshalb hatte der Kreis dann auch auf eine Bewerbung verzichtet.
Nach Ansicht von Schmidt dürfen jetzt andere meist weniger leistungsfähige Kreise wieder den Vorreiter geben und unser Kreis werde weder finanziell noch personell belastet. Als eines von vielen ähnlichen Bespielen sei das frühere Modellprojekt „Hilfe nach Maß“ zu nennen, mit dem die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen durch mehr Gestaltungsfreiheit verbessert werden sollte. Auch damals sei der Kreis zunächst eher passiv gewesen, um hinterher zu einem der Regionen mit den meisten „Persönlichen Budgets“ aufzusteigen und sich dafür allseits Anerkennung zu verdienen.
„Dazu passt auch“, so Schmidt, „dass bei fast allen sozial- und jugendpolitischen Ausgabenpositionen der Westerwaldkreis beim Aufwand je Einwohner weit unterhalb der vergleichbaren Nachbarkreise liegt“. Der Vergleich mit den Nachbarn zeige, dass im Westerwaldkreis wohl etwas schief läuft. So wendete unser Kreis gemäß veröffentlichter Zahlen des Statistischen Landesamtes im Jahr 2013 für die Jugendhilfe pro Kopf der Bevölkerung 310 Euro auf. Im Kreis Altenkirchen sind es 527 Euro, in Neuwied 411 Euro, im Rhein-Lahn-Kreis 380 Euro und in Mayen-Koblenz 379 Euro. „Es fällt schwer, bei diesen Unterschieden von gleichen Chancen vieler Kinder und Jugendlicher im Westerwaldkreis zu sprechen“, stellt Uli Schmidt ernüchtert fest. Es könne nicht sein, dass es dem Nachwuchs in unserem Kreis so viel besser gehe wie dem in den Nachbarkreisen.
Ein aktuelles Beispiel für die sozialpolitische Passivität des Westerwaldkreises sei der Umgang mit den neuen Wohnformen für ältere Menschen. „Hier ist der Westerwaldkreis wegen dem engagierten Einsatz von Investoren, Pflegediensten, Ortsgemeinden und Senioren Vorreiter in Rheinland-Pfalz“, so der SPD-Sozialpolitiker. Es liefen kreisweit bereits fast 40 „Senioren-WGs“. Und dies, obwohl der Kreis diese bisher nicht unterstützte. Dass landes- und bundespolitisch diesbezüglich noch nicht alle Fragen geklärt seien, könne nicht allein als Grund gelten.
Mangelhaft ausgeprägt sei zudem auch der Wille der politischen Mehrheit im Westerwaldkreis betroffene Menschen in eigener Sache sinnvoll einzubeziehen. So sei es schwer zu verstehen, weshalb beispielsweise die Angst vor einem Kreisbehindertenbeirat so weit verbreitet sei. „Man weiß genau, dass Menschen mit einer Behinderung in eigener Sache die besten Experten sind und dazu besonders engagiert“, stellt Schmidt fest. Davor müsse man keine Angst haben, sondern sich über das Engagement dieser Menschen auch auf Kreisebene freuen.
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