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Nachricht vom 23.09.2015    

Tafel feiert mit Benefizkonzert Geburtstag

420 Ehrenamtliche, die in acht Ausgabestellen 1109 Haushalte mit 2292 Menschen versorgen. Soweit die beeindruckenden Eckdaten der Westerwaldkreis Tafel. Über das große Engagement und das Herzblut, mit denen die Helfer bei der Sache sind, sagen die Zahlen freilich wenig aus. Dass solch ein Einsatz alles andere als selbstverständlich ist, wissen deren Leiter und Koordinatoren und wollen sich am 18. Oktober bei allen Helfern und allen Freunden der Tafel bedanken – mit einem Fest zum zehnjährigen Bestehen der Westerwaldkreis Tafel.

Wilfried Kehr, Leiter der Diakonie im Westerwaldkreis, und Petra Strunk, Koordinatorin der Tafel. Fotos: privat.

Westerwaldkreis. Los geht’s um 18 Uhr in der Mensa im Schulzentrum Bad Marienberg (Kirburger Straße). Dabei werden nicht nur Freunde und Wegbegleiter der Tafelarbeit zu Wort kommen; die Gäste erwartet auch ein besonderes Konzert der Band Purephonic: Die sieben Sänger und Musiker aus Gießen und dem Westerwald präsentieren eine packende Mischung aus energiegeladenem Gospel und einfühlsamen Soul, mit der sie sich schon einmal für die Tafelarbeit eingesetzt haben: Bereits 2014 hat das Benefizkonzert von Purephonic in Montabaur das Publikum begeistert. Der Eintritt für das Konzert, zu dem jeder eingeladen ist, ist frei; um eine Spende wird gebeten.

Zehn Jahre Westerwaldkreis Tafel: Petra Strunk und Wilfried Kehr im Gespräch

Eigentlich sind Jubiläen ein Anlass zum Feiern. Doch so wichtig die Arbeit der Einrichtung auch ist: Im Grunde ist es eine Schande, dass es sie überhaupt gibt, meint Wilfried Kehr. Der Leiter des Diakonischen Werks im Westerwaldkreis hat die Tafel vor einer Dekade in den Westerwald geholt und wusste von Anfang an, dass sie zwar helfen, aber keine grundsätzlichen Probleme lösen kann. Im Interview sprechen Kehr und die Koordinatorin Petra Strunk deshalb weder zu verklärt noch zu pessimistisch über das Thema. Eher dankbar und im Wissen, dass Tafelarbeit mehr ist als das Weitergeben von Lebensmitteln.

Herr Kehr, war es nicht ein Wagnis, im Westerwaldkreis ein Mammutprojekt wie die Tafel aufzubauen?
Wilfried Kehr: Das stimmt, und es gab vor zehn Jahren auch etliche Stimmen, die uns gewarnt haben. Sie glaubten, dass die Menschen sich nicht trauen würden zu einer Tafel zu gehen und dass wir zu wenige Ehrenamtliche bekommen. Aber als wir 2005 die Westerwaldkreis Tafel offiziell gegründet haben, taten wir dies gemeinsam mit einer bis dahin bereits aktiven Gruppe aus Bad Marienberg und mit verschiedenen Pfarrern. Währenddessen begleitete uns der Bundesverband Tafel e.V. und wir erlebten überall große Unterstützung seitens der Kommunen, von Vereinen und der Kirchengemeinden beider Konfessionen. Wir stellten schnell fest, dass sowohl alte Menschen, Arbeitslose und Familien in großer Anzahl die Tafel nutzten. Und das Interesse in der Bevölkerung war überraschend hoch: Zu den Infoabenden in den jeweiligen Verbandsgemeinden kamen sehr viele; in Montabaur waren es rund 100 Gäste. Momente wie diese haben uns gezeigt, dass sich die Leute engagieren wollen. Obwohl es anfangs natürlich nicht immer leicht war.

Was meinen Sie?
Kehr: Die Tätigkeit in der Tafel entwickelt eine Eigendynamik: Die Ehrenamtlichen sind mit Herzblut bei der Sache und investieren viel Zeit in die Arbeit. Aber einige Entscheidungen – etwa, wie die Spendengelder verwendet werden, ob hauptamtliches Personal eingesetzt wird oder Lebensmittel dazu gekauft werden – trifft weiterhin der Träger, also das Diakonische Werk. Das kann zu Kompetenzkonflikten führen, und überhaupt: Eine solch große Gruppe Ehrenamtlicher muss bei einer wichtigen Aufgabe an so vielen Standorten von Hauptamtlichen begleitet werden.

Frau Strunk, was hat sich verändert, als Sie 2007 die Koordination übernommen haben?
Petra Strunk: Wir haben die Neueröffnungen der Ausgabestellen intensiver vorbereitet und uns viele Fragen gestellt: Was macht die Tafel mit den Kunden? Wo liegen die Chancen und die Grenzen der Tafelarbeit? Wie können Teams sinnvoll zusammengestellt werden; wer hat welche Aufgaben? Darüber hinaus organisierten wir Schulungen für neue Ehrenamtliche; legten klare Richtlinien für die Berechnung der Bedürftigkeit fest; richteten überall Tafelsprechstunden ein, Teamkoordinatoren übernahmen festgelegte Aufgaben und es gab eine klarere Orientierung, was die Aufgabe der ehrenamtlich Mitarbeitenden und die der Hauptamtlichen sind. Kurz: Wir haben festere Strukturen eingeführt. In den inzwischen acht Ausgabestellen engagieren sich heute 420 ehrenamtliche sowie drei hauptamtliche Mitarbeiterinnen mit insgesamt 52 Wochenstunden. Das ist nur dank der Improvisationsfähigkeit und Begeisterung unserer Helfer möglich. Die Leute, die mitmachen, sind zuverlässig und kreativ. In den zehn Jahren ist nicht einmal eine Essensausgabe ausgefallen. Außerdem haben wir viel Hilfe bekommen: die Kommunen haben uns Büroräume für Tafelsprechstunden überlassen, Firmen haben Verpackungsmaterial gespendet oder Fahrzeuge für die Abholung zur Verfügung gestellt, und, und, und.



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Ich finde es immer noch faszinierend, dass sich Menschen aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, ob Arztgattin oder Langzeitarbeitslose für ein gemeinsames Ziel engagieren, sich dabei kennen lernen und Erfahrungen miteinander machen; Menschen, die ansonsten wohl nicht aufeinandertreffen würden. Das ist einer der Gründe, weshalb meine Kolleginnen Johanna Kunz, Bettina Deimling-Isack und ich die Arbeit bei der Tafel und mit den Ehrenamtlichen so mögen und sehr dankbar dafür sind.

Wo liegen denn die Herausforderungen bei der Tafelarbeit?
Strunk: Zum einen darin, die Arbeit mit den vielen, teilweise doch sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten in den Teams zusammenzuhalten. Zum anderen auch bei den Finanzen. In den ersten acht Jahren musste das Diakonische Werk die Arbeit mit hohen Eigenbeträgen bezuschussen. Die Gründung des Fördervereins Westerwaldkreis Tafel Montabaur/Wirges e. V. im Jahr 2007 sowie des Förderkreises in 2013 haben die Situation deutlich entlastet, aber wir müssen trotzdem Jahr für Jahr Spenden akquirieren, um das Geld für Miete, den Unterhalt der Fahrzeuge und alle anderen Nebenkosten aufzubringen. Und aktuell stellt für uns natürlich auch die hohe Zahl der Flüchtlinge eine große Herausforderung dar.
Kehr: Aber letztlich funktioniert die Tafelarbeit im Westerwald nur wegen des Engagements vieler Gruppen so gut: der Ehrenamtlichen, der Kirchen und Kommunen, der Firmen, Vereinen und Privatpersonen. Wenn diese Art der Hilfe nicht wäre, hätten wir schon lange die Segel gestrichen.

Welche Rolle spielt die Tafel denn in der heutigen Gesellschaft?
Kehr: Vielleicht ist die Frage, welche Rolle sie nicht spielt: Es ist nicht ihre Aufgabe, die Grundsicherung Einzelner sicherzustellen. Das ist der Job der Politik. Tafel kann Armut nur lindern und den Finger in die Wunde legen. Denn es ist ein Skandal, dass Menschen nicht mit dem Lohn ihrer Arbeit auskommen und dass gutes Essen in die Mülltonne wandert. Es reicht nicht, wenn wir uns als Tafel aufs Weitergeben von Nahrungsmittel beschränken. Wir haben die Aufgabe, auf diese Missstände hinzuweisen. Und ich wünsche mir, dass wir den Menschen, die zu uns kommen, nicht nur gutes Essen, sondern auch die Teilhabe am sozialen Leben ermöglichen. Dabei helfen sicherlich auch die Tafel-Sprechstunden, in denen beispielsweise Schuldner-, Sucht-, Erziehungsberatung oder Sprachkurse für Flüchtlinge bei Bedarf vermittelt werden können. Und wenn ich auf die vergangenen zehn Jahre zurückblicke, empfinde ich Freude und Dankbarkeit. Denn dank der Tafel haben wir viele Begegnungen mit unglaublich tollen Menschen erlebt.

Das Gespräch führte Peter Bongard.


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