Arbeitswelt von Inklusion „bedroht“?
Experten waren im Westerwald zum vierten Mal auf Unternehmensrundreise. Positive Entwicklungen nur in wenigen Westerwälder Unternehmen. Firmen ziehen sich lieber mit Ausgleichsabgabe aus der Verantwortung. Im Land ist auch 2015 die Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten weiter gestiegen.
Westerwaldkreis. „Die sind oft motivierter als andere!“. Dieser Satz war bei der 4. Unternehmensrundreise des Forums Soziale Gerechtigkeit immer wieder von den Gastgebern zu hören. Dabei drehte sich alles um das Thema Beschäftigung von Menschen mit einer Behinderung in Westerwälder Unternehmen. Bei drei Stationen und einem abschließenden Fachgespräch konnten sich die teilnehmenden 15 Experten und Expertinnen ein Bild von positiven Entwicklungen bei der Integration von Menschen mit Behinderung in den jeweiligen Unternehmen machen.
Leider fiel das Fazit nach fast sechs Stunden für die Reisegruppe insgesamt aber ernüchternd aus. Forumssprecher Uli Schmidt (Horbach) zeigte sich enttäuscht darüber, dass für die weit überwiegende Zahl der heimischen Unternehmen die Beschäftigung von Menschen mit einem Handicap noch immer kein Thema ist. „Die zahlen lieber monatlich eine Ausgleichsabgabe und entziehen sich dadurch ihrer Verantwortung für notwendige Schritte zu einem inklusiven Arbeitsmarkt“, so Schmidt. Es gebe zwar einige mit Landespreisen bedachte Paradebeispiele im Westerwald wie beispielsweise HUF-Haus in Hartenfels. Trotzdem sei es sehr schwierig Firmen zu finden, die sich mit dem Thema beschäftigen und darüber überhaupt gesprächsbereit seien.
Unterwegs im Westerwald waren Fachleute von der Arbeitsagentur bis zum Integrationsamt und den Caritas-Werkstätten. Darunter der Landesbehindertenbeauftragte Matthias Rösch aus Mainz, Karl-Heinz Schmidt als Vertreter der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland der Bundesagentur für Arbeit in Saarbrücken sowie für die Arbeitsagentur in Montabaur deren Chefin Madeleine Seidel.
Erste Station war die „Mühlenbäckerei GmbH“ in Westerburg, die mit 20 Personen einen hohen Anteil an Menschen mit einer Behinderung beschäftigt. Nach einem eindrucksvollen Betriebsrundgang durch die Produktionsstätte stellte Geschäftsführer Rudolf Jung fest: „Bei uns erhält jede und jeder eine Chance, egal ob mit oder ohne Behinderung“. Man habe in Produktion und Verkauf gute Erfahrungen mit den beeinträchtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gemacht, so Jung.
Ein weiterer Betrieb ohne Vorurteile gegenüber „Behinderten“ ist das Bus- und Reiseunternehmen Orthen GmbH in Herschbach, für das derzeit 44 Busse auf Westerwälder Straßen und weit darüber hinaus unterwegs sind. „Bei uns haben die Mitarbeiter mit einem Handicap keinen Sonderstatus, sondern sie sind voll in den Betriebsablauf integriert“, meinte Geschäftsführer Jörg Orthen. Unter anderem seien drei ehemalige Beschäftige der Caritas-Werkstätten dauerhaft in Fahrzeugreinigung, Büro und Werkstatt verantwortlich tätig. Es sei immer schwerer, geeignete Leute zu finden, so Orthen, weshalb er schon früh Menschen mit einer Behinderung erfolgreich in den Betrieb integriert habe.
Dritte Station war dann unmittelbar an der Kreisgrenze zum Nachbarkreis das Berufsförderungswerk (BFW) Koblenz auf den Rheinhöhen in Vallendar. Hier erhalten Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen und Behinderungen, die deshalb ihren Beruf nichtmehr ausüben können, die Möglichkeit zu einer beruflichen Neuorientierung in bis zu 60 verschiedenen Maßnahmen und Ausbildungen. „Viele Unternehmen auch im Westerwald warten auf unsere Absolventen und geben diesen sofort eine Chance im Betrieb“, so Geschäftsführer Heinz-Werner Meurer. Mit den Fachbereichen Metall und Elektronik wurden dann Einblicke in verschiedene Ausbildungsberufe dieser beiden Branchen ermöglicht. Elektronikausbilder Detlef Birkenheier stellte fest: „Wir bieten hier eine Spitzenausbildung und unsere Leute finden zu 100 Prozent eine Stelle“.
Bei dem abschließenden Fachgespräch mit allen Beteiligten schilderte Karl-Heinz Schmidt zunächst die Situation im Land Rheinland-Pfalz: „Auch 2015 ist die Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten weiter gestiegen. Aber wir haben den hohen Handlungsbedarf erkannt und ebendies zum operativen Schwerpunkt unserer Arbeit gemacht“, so Schmidt. Für die Arbeitsagentur Montabaur bemängelte Anja Voigt, dass von 1.644 Pflichtarbeitsplätzen für Schwerbehinderte 736 nicht besetzt seien. „Von der Beschäftigungsquote von 5 Prozent sind im Westerwaldkreis die privaten Arbeitgeber mit 2, 8 Prozent weiter entfernt als die öffentlichen Arbeitgeber mit 4,1 Prozent, so die Rehaberaterin.
Landesbehindertenbeauftragter Matthias Rösch dankte allen beteiligten Unternehmen und den „Reiseteilnehmern“ für ihr Engagement. „Auch hier im Westerwald bleibt noch viel zu tun, aber es gibt gute Ansätze, von denen wir heute einige gesehen haben“, so der Gast aus Mainz, der zur 5. Unternehmensrundreise Ende 2016 gerne wieder in den Westerwald kommen will.
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