Germanistenverband RLP: Zentralabitur ist ernsthafte Option
Der rheinland-pfälzische Deutschlehrerverband übt Kritik an der Neugestaltung des Abiturs ab 2017. Das Abitur soll ab 2017 nach einem Kultusministerkonferenz (KMK) Beschluss bundesweit vergleichbarer werden. Es gibt heftige Kritik am ausufernden Bürokratismus.
Region. Der Fachverband Deutsch im Deutschen Germanistenverband e.V. zieht diese Aussage auf seiner letzten Bundesvorstandssitzung in Fulda erheblich in Zweifel. Über die Belastung der Deutschlehrkräfte in Rheinland-Pfalz zeigten sich auch die Vertreter der anderen Länder „entsetzt“. Statt den Lehrkräften mehr Freiraum für qualitativ hochwertigen Unterricht zu ermöglichen, treibe der Bürokratismus in Rheinland-Pfalz nun besondere Blüten.
Während in allen anderen Bundesländern die Erstellung von Aufgabenvorschlägen für das schriftliche Abitur durch Kommissionen in den Bildungsministerien erfolgt, wird diese Verpflichtung in Rheinland-Pfalz auf alle Deutschlehrkräfte abgewälzt. Eine Auswahlkommission in Mainz beschränkt sich auf die Prüfung eingereichter Vorschläge, achtet neben dem Leistungsniveau unter anderem auf die tatsächliche Verwendung nun eingeschränkter Formulierungsmuster der Arbeitsaufträge (Operatoren) und auf Vermeidung von Kürzungen, die „die Würde“ des Ausgangstextes verletzen könnten.
Nach dem formalen Muster des ländereigenen Instituts zur Qualitätsentwicklung im
Bildungswesen (IQB) haben hiesige Deutschlehrkräfte künftig pro Leistungskurs zwar drei anstatt bisher vier Aufgabenvorschläge einzureichen, jedoch sind deren Umfang und Komplexität im Vergleich zum bisherigen Verfahren unverhältnismäßig und ohne Mehrwert ausgeweitet. Hinzu kommt die Auflage, die einzelnen Arbeitsaufträge und Erwartungen mehrfach mit zu zitierenden Kompetenzbereichen der bundeseinheitlichen Bildungsstandards zu verknüpfen. Dies entspricht eher der Gestaltung eines Lehrprobenentwurfs in der Referendarausbildung, nicht aber einer Prüfungsvorlage eines gestandenen und erfahrenen Lehrers. So darf es auch nicht verwundern, dass selbst die Vertreter anderer Bundesländer diese Vorgaben als fragwürdiges Kujonieren ihrer rheinland-pfälzischen Kollegen empfinden.
Aus den drei Lehrervorschlägen erhält der Prüfling zwei Vorlagen zur Auswahl – nebst einer zentralen Poolaufgabe des IQB. Im Krankheitsfall eines Prüflings müssen die rheinland-pfälzischen Lehrkräfte volle vier Aufgabenvorschläge neu einreichen, während in anderen Ländern ein zentraler Nachschreibtermin angesetzt wird und man sich dort beim zentralen Thema aus dem gemeinsamen IQB-Pool bedient. Dass das Bildungsministerium die Vorgabe macht, in Rheinland-Pfalz bleibe es bei 300 Minuten Bearbeitungszeit statt 270 Minuten des IQB-Musters, das sonst formal bindend ist, in diesem Punkt aber nicht den Charakter einer Richtschnur habe, stößt auf Unverständnis. Für besondere Irritationen
nicht nur unter den rheinland-pfälzischen Verbandsvertretern, sondern auch allen übrigen
Landesverbänden des Fachverbands Deutsch sorgt die Mainzer Aussage, die Poolaufgabe werde
„daher um eine sprachliche Analyse ergänzt und so dem erhöhten Zeitansatz angepasst“.
Sollte sich herausstellen, dass andere Bundesländer die Prüfungen in 270 Minuten (oder darunter) durchführen und zugleich weniger Aufgaben zur Bearbeitung vorlegen, muss eindeutig festgehalten werden, dass rheinland-pfälzische Schülerinnen und Schüler benachteiligt sind, stellte der erweiterte Bundesvorstand in Fulda einhellig fest. Die Landesschülervertretung Rheinland-Pfalz wehrte sich ebenfalls in einer Eingabe im vergangenen Jahr gegen die überfordernden fünfstündigen Klausuren, die ausschließlich im Fach Deutsch dieses hohe Zeitmaß erreichen. Seit der letzten großen Änderung der Abiturprüfungsordnung schultern die Germanisten in rheinland-pfälzischen Gymnasien mit weitem Abstand das Gros der mündlichen Abiturprüfungen, ohne dass nach dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes anderweitig Entlastungen erfolgen würden.
Der Landesverband hat sich bisher in allen bildungspolitischen Diskussionen für die Beibehaltung der dezentralen Prüfungen – trotz erheblicher Mehrbelastungen – eingesetzt. Nach den organisatorischen Veränderungen vom November 2015 werden Stimmen der Deutschlehrkräfte immer lauter, die ein Zentralabitur fordern, sodass der Landesverband Rheinland-Pfalz unter den jetzigen erheblichen Auflagen ein Votum zugunsten der Alternative „Zentralabitur“ künftig ernsthaft erwägen muss. Der Bundesverband des Fachverbands Deutsch fordert generell, deutlicher und klarer festzulegen,
welche Leistung von allen Abiturienten für die Prüfungen im organisatorischen Rahmen gebracht werden muss, oder den Anspruch der Vergleichbarkeit aufzugeben, der der Öffentlichkeit lediglich Sand in die Augen streut.