Künstlerische 'Korrekturen' ausgestellt
Politisch wie gesellschaftlich verändert sich in diesen Tagen so viel wie noch vor einem Jahr undenkbar: Worte wie Wählerverschiebung, verlorener Bindekraft, ungeahnten Migrationsbewegungen, Einwanderungsströme, Deckelung oder Ober- und Untergrenzen haben neue Dimensionen erhalten. Die Kunst ist da in manchen Prognosen oft schneller als die Realität.
Rennerod. Dies präsentiert ganz augenfällig die neuste Ausstellung 'Korrekturen' mit Arbeiten von Konrad Schmidt aus Mainz in Sims Werkstatt. So schnell wie sich die Bundesrepublik am letzten Wahlsonntag in einen politischen Flickenteppich verwandelt hat, so schillern bereits seit Jahren die Bildbearbeitungen in undenkbaren Konstellationen, überlagernden Denkmodellen und ungewohnten Sehweisen auf unsere Landschaft.
Mit wachem Erstaunen fragt man sich, was man hier überhaupt sieht: eine Satire der Realität, eine neue Ordnung von Räumen und Standpunkten?
Auf weißem Grund sind Zuschnittergebnisse von bruchstückartigen Landkartenausschnitten montiert. Die Kompositionen folgen jeweils einem Ordnungsprinzip, was in den Bildtiteln wie 'Begradigung des Mains in Frankfurt', die 'Italienische Küste in Kreisform' oder 'Die USA in Gestalt eines Pentagon' benannt wird. Die Montage des Bildes nach dem definierten Ordnungsprinzip ermöglicht dem Künstler Konrad Schmidt unvorhersehbare Kettenreaktionen. Der Auftakt der eigentlichen Veränderung ist initiiert, das Spiel von Sichtweisen und Denkmodellen ist eröffnet. Kalkulierte und spontane Eruptionen lassen Gebilde entstehen, die ästhetisch wie auch inhaltlich eine überraschende Vielfalt der neuen Ordnung erkennen lassen.
Wer sich vom Zustand der innerdeutschen und europäischen Demokratie oder der Handlungsunfähigkeit der europäischen Währungsunion deprimieren lässt, hat vielleicht nur die falsche Einstellung. Konrad Schmidt hat die richtige: die Dialektik von Ordnung und Unordnung, das Nichternstnehmen von Grenzen und das Neuordnen von Flächen und Räumen. Er ist ein crossmedialer Künstler, ein Materialvernetzer, aber nicht im Internet, sondern ganz haptisch: er zerschneidet Karten, klebt, baut und kombiniert sie neu und wie in einen Trichter fließen die Krisen hinein. Er verarbeitet sie in seinem künstlerischen Malwerk zu neuen bildhaften Antworten.
Ein gekonnter Rückgriff auf die archaisch-anarchistische Energie in der Kunst und auf ambivalente Assoziationen. Ein Fluss wird bereinigt, gleichzeitig sinkt der Grundwasserspiegel, Fundamente trocknen aus, alles gerät in Bewegung. Ein Szenario spontaner Disorganisationen und Chaos in einem neuen Regelwerk. Eine Grenze wird willkürlich gezogen, neue Staaten entstehen, Regime werden gestürzt, um den großen gesellschaftlichen Umbruch zu bewältigen. Mit spielerischer Leichtigkeit eröffnen sich ungeahnte neue Perspektiven, Überlegungen und Visionen.
Den Werken von Konrad Schmidt unterliegt bei allem Ernst des Themas eine verspielte Heiterkeit unter dem Schillerschen Motto: das Leben ist Kunst, also ist noch nichts verloren. Es macht Spaß, sich auf das Spiel von Veränderungen und ungewohnten Sichtweisen einzulassen und Denkstrukturen zu lockern. Sie öffnen Diskussionsgrundlagen und sind Initiator für spannende Gespräche. Vielleicht ist diese dadaistische Kunst die Antwort auf die scheinbar unlösbaren gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit.
Die Ausstellungseröffnung dieser ungewöhnlichen Schau ist am Freitag, den 8. April um 19 Uhr in Sims Werkstatt. Der Künstler ist anwesend. Neu: Jeden Montag 17 Uhr Führung durch die Ausstellung. Ausstellungsdauer bis 30. Juni 2016.
Korrekturen. Bearbeitungen von Konrad Schmidt. Ausstellungseröffnung: Freitag, 8. April um 19 Uhr. Sims Werkstatt der Buchhandlung & Antiquariat Lang, Hauptstraße 71 (Eingang Am Markt), 56477 Rennerod, Telefon 02664 – 227, antiquariat-lang@t-online.de.
Lokales: Rennerod & Umgebung
Jetzt Fan der WW-Kurier.de Lokalausgabe Rennerod auf Facebook werden!
Weitere Bilder (für eine größere Ansicht klicken Sie bitte auf eines der Bilder): |