"Warum Julia Klöckner die Wahl verlor"
Zu diesem damals sehr gewagten oder optimistischen Thema lud der SPD-Ortsverein Stelzenbach bereits im Januar ein zum „Roten Talk im Grünen Baum“ für den 18. April mit dem Politik- und Kommunikationsberater Professor Dr. Klaus Kocks aus Horbach. Die Zuhörer erlebten eine sehr schwungvoll und unterhaltsam vorgetragene Analyse und eine rege Diskussion im Anschluss.
Horbach. Willi Wirges konnte im gut gefüllten Gastraum zum „Grünen Baum“ über 40 interessierte Besucher begrüßen. Der Horbacher Uli Schmidt freute sich, dass der Wagemut, den sein alter Weggefährte Klaus Kocks seinerzeit bewies, durch die Landtagswahl Realität wurde. Kocks begründete diese Themenwahl mit dem „Taubenschiss“ auf Gorbatschows Glatze. Das Muttermal gab Antwort auf die Frage: Was müssen Politiker haben, die es unter den heutigen Bedingungen schaffen? Als Prämisse setzte er voraus, dass es keine Volkspartei mehr gibt und nie mehr geben wird. Das Wahlergebnis zeigte für die beiden großen Parteien SPD und CDU fast gleiche Ergebnisse, weil die Parameter, nach denen früher gewählt wurde – Religionszugehörigkeit, regionale Zugehörigkeit, Weltanschauung – wegen des Wandels in Gesellschaft und Politik obsolet sind. In Hessen und Baden-Württemberg ist der Anteil der beiden großen Parteien zusammengenommen fast zur Hälfte des Vorwertes implodiert. Die Wahlen entscheiden sich zunehmend nach amerikanischem Muster nach den Kandidaten. Wahlentscheidend ist, ob der Kandidat als Führungsfigur mit Charakter angesehen wird. Er muss glaubwürdig und authentisch herübergekommen. Kocks bezeichnete das als den Kretschmann-Effekt. Doch genau dieser Effekt sei ein flüchtiges Gut. Der Professor erinnerte an die plötzliche Entzauberung der Politiker Scharping, Fischer oder Schröder.
Der Politikerin Julia Klöckner attestierte Kocks eine ganze Reihe positiver Attribute. Sie sei ein großes Talent, sehr gut beraten, gut aussehend, eloquent und mit vernünftiger Vita. Allerdings überdrehte sie die Schraube: Im Wahlkampf erschien sie zu schick, zu schön, zu schlau, so wirkte sie überperfektioniert und künstlich. Zudem rückte sie als Präsidiums-Mitglied in der Flüchtlingsfrage von Merkel ab mit ihrer A2-Lösung, das war ein gefährliches Spiel.
Im Vergleich zu ihr wurde Malu Dreyer als glaubwürdigere Figur gesehen. Die Kandidatin ließ alle Dinge auf ihr Persönlichkeitsbild einzargen, einschließlich des Rollstuhls. Große Leitfiguren der Politik waren nie perfekt sondern mit liebenswerten Fehlern wie der schielende Tony Blair oder eben Gorbatschow mit dem Taubenschiss auf dem Kopf.
Sehr unterhaltsam und mit launigen Worten zeichnete der Referent Politiker und Wähler. Der Wähler wolle verführt und informiert werden, aber wenn er das Kalkül erkenne, werde er verstimmt.
Stellenanzeige
Leitung der Abteilung 4/6 Grünflächen (m/w/d) Rathaus Siegen |
Uli Schmidt fasste die Analyse in wenige Statements zusammen: Es gibt keine Volksparteien mehr. Ideologie spielt in der Politik keine Rolle mehr. Klöckner verlor die Wahl durch Klöckner. Dagegen überzeugte Malu Dreyer durch ihre Glaubwürdigkeit, daher sei auch der Boykott der Elefantenrunde richtig gewesen. Politiker dürfen nicht gekünstelt sein.
Auf die Frage eines Besuchers, ob die CDU Stimmen an die AfD verloren habe, wies Dr. Kocks darauf hin, dass beide große Parteien Stimmen an die AfD verloren hätten, die SPD sogar noch mehr als die CDU. Allerdings habe die Figur Kretschmann überzeugt und Baden-Württemberg habe die beste Flüchtlingspolitik gemacht. Die Wahlbeteiligung sei sehr wichtig, außerdem die Entscheidung für eine Person. Die AfD sei sehr kompetent im Kopieren politischer Stile, ihr volksverführerisches Potential werde größer und Frauke Petry sei eine sehr gefährliche Frau, weil sie nicht dumm und dumpf sei.
Auf die Frage, was die Bayern anders machen, verwies Kocks auf Söder als neuen Politikertyp, der ein eiskalter Populist sei. „Zur Not sagt er auch die Wahrheit.“
Der Politikberater appellierte, die Parteien müssten lernen, ihre Nachwuchskräfte anständig zu behandeln. „Die CDU kann das, die SPD nicht. Die SPD hat nie eine Führungsfigur akzeptiert, auch nicht Willy Brandt.“ Die Partei müsse offen sein und attraktiv für solche Leute.
Kocks outete sich als rückhaltloser Befürworter des TTIP-Abkommens, weil unser gesamter wirtschaftlicher Wohlstand auf Freihandel beruht. Er zeigte als Beispiel Dommermuth mit seinem globalen Unternehmen. „Wir haben draußen bereits Weltwirtschaft.“ Als Ausnahme forderte Kocks, dass Auseinandersetzungen vor deutsche Gerichte gehören.
Für seine schmunzelnde Schlussanalyse: „Wenn der Dicke (Gabriel) auf mich hören würde, wäre er längst Kanzler“, erntete der Professor herzliches Gelächter und Applaus.
Moderator Uli Schmidt dankte Dr. Klaus Kocks, dass er die 250 Meter Fußweg auf sich genommen und den Zuhörern einen unterhaltsamen Abend geboten hatte. Er verwies auf die weiteren Veranstaltungen „Roter Talk im Grünen Baum“, die als Angebot für die Menschen gedacht sind, die in der Region wohnen und die politische Diskussion fortführen wollen. Das nächste Thema am 15. Juni lautet: „Wie geht das mit der Rente weiter?“ htv
Lokales: Montabaur & Umgebung
Jetzt Fan der WW-Kurier.de Lokalausgabe Montabaur auf Facebook werden!
Weitere Bilder (für eine größere Ansicht klicken Sie bitte auf eines der Bilder): |