Niemand wird schlechter, aber viele besser gestellt
Zwei Fragen standen beim Infoabend rund um die vielfältigen Änderungen in der gesetzlichen Pflegeversicherung im Ignatius-Lötschert-Haus in Horbach im Mittelpunkt. Zum Beginn war es die Frage: woher kriegen wir noch Stühle, damit für alle Gäste eine Sitzgelegenheit zur Verfügung steht. Nach über zwei Stunden blieb die Frage im Raum: Woher kriegen wir künftig genug Fachkräfte um die guten Ansätze der neuen Reformen auch umzusetzen?
Horbach. Für den Förderverein der gastgebenden Pflegeeinrichtung, den Ortsverband Buchfinkenland/Gelbachhöhen des VdK und das Forum Soziale Gerechtigkeit als kooperierende Veranstalter freute sich Uli Schmidt (Horbach), der den Abend auch moderierte, über das große Interesse an der Veranstaltung. „In einer Zeit, in der das Gehalt von Menschen, die unser Geld betreuen, wesentlich höher ist wie das der Fachkräfte die unsere Alten betreuen, kann von großem Reformbedarf in der Pflege ausgegangen werden“, stellte er fest. Den Handlungsbedarf bestätigte auch VdK-Kreisverbandsvorsitzender Walter Frohneberg aus der täglichen Beratungspraxis seines Verbandes im Westerwaldkreis in seinem Grußwort.
Von einer notwendigen Reformwelle sprach die rheinland-pfälzische Sozial- und Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler in ihrer thematischen Einleitung. „Mit dem eingeleiteten Systemwechsel wollen wir erreichen, dass die Schwere der Pflegebedürftigkeit unabhängig von der Art der Einschränkung in allen ihren Facetten erfasst wird, also von der Mobilität bis hin zur Gestaltung des Alltagslebens und der sozialen Kontakte“, so der Gast aus der Landeshauptstadt. Die Ministerin wies auch darauf hin, dass es einen Bestandsschutz für alle heutigen Pflegebedürftigen gibt und niemand schlechter, aber viel besser gestellt werden.
Künftig wird es keine drei Pflegestufen mehr geben, sondern fünf Pflegegrade. „Wir werden nicht mehr einstufen sondern eingraden“ meinte Prof. Dr. Sandra Bensch vom Fachbereich Gesundheit und Pflege an der Kath. Hochschule Mainz in ihrem Vortrag. Ausführlich erläuterte die Professorin den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff: „Dieser erfasst die individuellen Beeinträchtigungen und Fähigkeiten der Pflegebedürftigen“, so Dr. Bensch. Um zukünftig die Pflegebedürftigkeit einzuschätzen, werde in sechs Modulen der Grad der Selbständigkeit, also das Ausmaß eingeschätzt, in dem die pflegebedürftige Person sich selbst ohne fremde Hilfe versorgen kann. Zentraler Begriff sei dabei die Selbständigkeit.
Die vielfältigen gesetzlichen Neuerungen in der Pflegeversicherung erläuterte Christoph Spies vom Referat Pflege des Mainzer Sozialministeriums. Die Überleitung von der bisherigen Regelung in die neuen Pflegegrade wird zum 1.1.2017 automatisch erfolgen. „Dabei werden Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen in den nächst höheren Pflegegrad übergeleitet und diejenigen mit zusätzlich erheblicher Einschränkung der Alltagskompetenz direkt in den übernächsten Grad“, so der Referent. Erfreut nahmen die vielen Zuhörerinnen und Zuhörer zur Kenntnis, dass sich beim Pflegegeld und auch bei den Pflegesachleistungen teilweise spürbare Erhöhungen ergeben können. Zudem werde die soziale Sicherung von pflegenden Angehörigen verbessert, so Spies.
Anschließend hatten Fachleute aus verschiedenen Bereichen der Pflege Gelegenheit zum einen Kurzstatement um ihre Erwartungen aus regionaler Sicht an die „Reformwelle“ auszudrücken. Anja Kohlhaas vom Altenzentrum Haus Helena des Caritasverbandes in Hachenburg, hofft auf deutliche Verbesserungen. „Im Einzelfall kann aber auch die Aufnahme in einer stationäre Altenpflegeeinrichtung erschwert werden“, so die Einrichtungsleiterin. „Wer soll denn künftig die Arbeit machen, wenn immer weniger Fachkräfte zur Verfügung stehen?“, fragte Angela Roos als Geschäftsführerin des gleichnamigen Hauskrankenpflegedienstes mit Sitz in Nordhofen. Als Vertreterin der ambulanten Pflege erntete sie viel Zustimmung für ihre Beschreibung des Fachkräftemangels.
Für die Pflegeberatung machte dann Heike Wiebusch noch einige Anmerkungen. Die Mitarbeiterin eines Westerwälder Pflegestützpunktes sagte zu, die Leute da abzuholen wo sie stehen. „Wir wollen über die neuen Gesetze aufklären und werden diese Aufgabe sehr ernst nehmen“, so Wiebusch. Als Vertreterin der Pflegekammer Rheinland-Pfalz begrüßte Prof. Dr. Sandra Bensch den Paradigmenwechsel im Pflegebedürftigkeitsbegriff. „Unsere Hoffnung ist, dass die Pflegebedürftigkeit künftig realistisch fernab von Minutenzählerei erfasst wird“, so Dr. Bensch in ihrer Rolle als Kammervertreterin.
Da aus Zeitgründen an dem Abend Fragen und Diskussionsbeiträge nicht geplant waren, hat das Forum Soziale Gerechtigkeit zugesagt, Ende 2017 nach Hachenburg zu einer Gesprächsveranstaltung einzuladen. „Dann wirken die Reformen schon und es liegen Erfahrungen zur Umsetzung im Westerwald vor“, so Uli Schmidt im Schlusswort.
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