Ehemalige Gaststätte Hering „Gezanjusde“ in Hellenhahn abgerissen
Es war das Jahr 1857 als der Bäckermeister und Fuhrmann Hermann Hering mit seiner Ehefrau Anna Maria (geborene Gros) in dem elterlichen Anwesen in Schellenberg eine Gaststätte eröffnete. Damals gehörten noch eine Bäckerei und ein Kolonialwarenladen dazu.
Hellenhahn-Schellenberg. Als man sich zur Ruhe setzte, übernahm 1924 Sohn Hermann Josef mit seiner Ehefrau Agnes (geborene Gros) den Betrieb und renovierte die Gaststätte vier Jahre später. Es war ein Gasthaus, wie man es bis in die früheren sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts kannte. In der Gaststube standen ein großer Ofen, eine Theke und einige Tische. Holzdielenfußboden und Wandvertäfelung sorgten für Gemütlichkeit. Hier traf man sich, um ein „Siegtal-Bier“ zu trinken oder auch einen Schnaps (Kloaren), sich zu unterhalten, Skat oder Doppelkopf zu spielen. Die Toiletten (Obtritt) befanden sich draußen auf dem Hof.
Um besser Kirmes feiern zu können, wurde in den Nachkriegsjahren auf dem Grundstück ein erster einfacher Saalbau errichtet. Eine Zapfanlage und einige Tische und Bänke waren das Mobiliar. Hier fanden Vereinsversammlungen oder auch bereits Fastnachtssitzungen statt. Nebenan entstand zur Kirmes ein überdachter Tanzplatz, das „Zelt“ genannt. Die örtliche (Feuerwehr-) Kapelle spielte zum Tanz auf. Die jungen Damen standen am umlaufenden Schutzgeländer und warteten darauf, zum Tanz aufgefordert zu werden. Derweil wurde auch im Hof unter einem großen Nußbaum gefeiert. Felix und Frieda Schmidt schlugen im Hof einen kleinen Verkaufsstandauf, auch ein altes Karussell drehte seine Runden, stets umlagert von den Kindern.
Den gestiegenen Anforderungen an einen „richtigen Saal“ wurde mit einem Neubau Rechnung getragen, der 1956 fertiggestellt wurde. Dieser bot nun bis zu 400 Personen Platz. Jetzt konnten auch größere Veranstaltungen durchgeführt werden. Kino wurde von den „Lichtspielen Steup“ in Höhn geboten. Der Eintritt kostete 99 Pfennig. Unvergessen auch die Aufführungen des Theatervereines oder die Fastnachtssitzungen mit legendären Büttenrednern oder akrobatischen Tanzvorführungen. Der Gemischte Chor „Liedertafel“ feierte hier seine glanzvollen Erfolge nach Sangeswettstreiten oder Meisterchorsingen. Familienfeste aller Art, oder auch die Seniorenfeiern konnten in diesem neuen Saal ausgerichtet werden.
Auch zu traurigen Anlässen, wie Beerdigungskaffee traf man sich im „Saalbau Hering“. Als die Pfarrkirche St.Petrus in Ketten renoviert wurde, fanden hier sogar Gottesdienste statt. Gaststätte und Saal waren Vereinslokal von Sportverein, Gesangverein und Feuerwehr. In der dritten Generation der Gaststätte Hering hatte inzwischen Sohn Theodor mit seiner Ehefrau Monika (geborene Göbel) den Gastronomiebetrieb übernommen. 1965 begannen sie damit, ein Wohnhaus anzubauen, das auch die Gaststätte mit modernen Gasträumen beherbergte. Die „aal Wirdschaft“ mit dem angegliederten Ökonomieteil wurde 1968 abgerissen. Damit ging das erste Stück alter Tradition zwangsläufig verloren.
1982 feierte man mit vielen Freunden und Geschäftsfreunden das 125-jährige Bestehen der Gastwirtschaft Hering. Als die Kinder von Theo und Monika heranwuchsen, halfen diese wie selbstverständlich bei Feiern oder Veranstaltungen mit.1988 gründeten Monika Hering und ihre Schwester Erna Stickel den Möhnenverein, der von sich reden machen sollte.
1990 verstarb die sehr beliebte Gastwirtin Monika Hering. Als 1995 auch Theo Hering verstarb, war in der Familie niemand, der die alteingesessene Gastwirtschaft weiterführen wollte.
Der Betrieb wurde an ein auswärtiges Ehepaar verkauft. Aber auch hier verstarben die Besitzerin und später ihr Ehemann. 2012 erwarb die Ortsgemeinde Hellenhahn-Schellenberg das Anwesen in einer Zwangsversteigerung. Durch jahrelangen Leerstand verlor dieses offenbar so an Substanz, dass nur der Weg des Abrisses blieb. Der erfolgte im Herbst dieses Jahres. Das Kapitel „Gasthaus Hering“ war endgültig zugeschlagen.
Wieder ist ein Stück Gasthausgeschichte zu Ende gegangen. Man ging zu “Chresdehanjuste“ (Gezanjusde) oder einfach zum „Jupp“ oder zum „Theo“. Die Kneipe war damals noch Kommunikationsort schlechthin. Den Bierkasten zu Hause im Keller gab es noch nicht, allenfalls eine Flasche „Kloare“. Die rauchgeschwängerte Gaststube und der Bollerofen in der Raummitte verbreiteten Gemütlichkeit. Es wurde Skat geklopft, über Dorfpolitik gesprochen und oft auch einer über den Durst gedrungen. Dem bisweilen bärbeißigen Gastwirt ‚Jupp‘ stand Ehefrau Agnes zur Seite, die auch schon einmal Wogen glättete, wenn das Poltern des Ehemannes zu stark oder der Lärm zu laut war.
Man kam zusammen, in Freud und Leid. Zusammenhalt wurde noch großgeschrieben.
Den Bierkasten zu Hause im Keller gab es noch nicht, allenfalls eine Flasche „Kloare“. Sonntags wurde an das Küchenfenster geklopft, um Bier in Krügen oder Milchkannen, später dann in Flaschen, nach Hause zu holen. Zigaretten gab es noch einzeln in den 50-ziger Jahren. Auch Wurstwaren wurden dort geordert, geliefert vom „Großseifer Metzger“.
Die alten Dorfkneipen, wo man sich zum ‚Schwätzen‘ traf, sind überwiegend Geschichte. Tradition wurde gleichsam zu Grabe getragen. ‚Action‘ ist heute gefragt und angesagt. Die Besuche in In-Lokalen beginnen oft erst nach Mitternacht. Zu dieser Zeit war man in früheren Zeiten längst zu Hause und schlief schon den Rausch aus. Mit dem Abriss der ’neuen Wirtschaft‘ ist unwiderruflich auch dieses Stück Geschichte im Dorfleben von Hellenhahn-Schellenberg entschwunden. Unwiderruflich. Der Platz, wo Gastwirtschaft und Saalbau standen, ist jetzt eingeebnet. Die Geschichte „Gasthaus Hering“ ist zu Ende. „Gezanjusde“ gibt es nicht mehr.
Willi Simon. (Einige Daten wurden aus der von Hermann Hering verfassten Dorfchronik entnommen)
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