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Nachricht vom 29.01.2017    

Kabarett der Spitzenklasse im Gelbachtal

Edelsteine liegen nicht auf der Straße, man muss sie mühsam suchen. Das gilt auch für ein hochkarätiges Urgestein des politischen Kabaretts: Matthias Deutschmann spielte am Samstagabend, 28. Januar in der ausverkauften Dorfgemeinschaftshalle in Montabaur-Ettersdorf sein neues Programm „Wie sagen wir’s dem Volk?“

Matthias Deutschmann mit seinem Cello. Fotos: Helmi Tischler-Venter

Montabaur-Ettersdorf. Ettersdorf ist tatsächlich ein Stadtteil von Montabaur, liegt jedoch hinter sieben Bergen und unzähligen Kurven verborgen. Über diese absonderliche Lage konnte auch Deutschmann lästern, obwohl er selbst aus dem Westerwald stammt. Seine Tournee führte ihn von Hamburg nach Montabaur, eine klare Steigerung für den Künstler. Immerhin ist er der erste Kabarettist, der von der Kleinkunstbühne Mons Tabor zum dritten Mal eingeladen wurde. Mit gutem Grund: Matthias Deutschmann kann die komplexen politischen und historischen Zusammenhänge zeitgemäß und im Wikipedia-Stil kurz und prägnant erklären.

Die Präsidentenwahl in den USA erlebte er auf RTL5-Niveau, was vielleicht der miesen Alternative zwischen dem sprechenden Deodorant Hilary Clinton und Donald Trump, dem Mann mit dem Charme eines Klosteins, geschuldet war. Goldfinger Trump wäre die Idealbesetzung des Bösewichts im Agenten-Thriller. Angesichts der pfälzischen Wurzeln Trumps stellte Deutschmann selbstkritisch fest, dass wir Deutschen nur Elend in die Welt bringen, sogar als Auswanderer. Der Bauunternehmer Trump wolle mit seiner großen Mauer mit den Chinesen konkurrieren.

Das eigene Land erklärte Deutschmann anschaulich mit einer Verkehrssituation: „Deutschland steht an einer gefährlichen Kreuzung. Von links kommt nichts, aber von rechts!“ Seines Namens wegen kommen Leute in die Vorstellungen mit der Erwartung, Pamphlete gegen Amerika, die Banken und das Establishment zu hören. Für den Fall, dass das Publikum die Bühne stürmt, hat der Künstler immer sein Markenzeichen dabei: „Ich spiele Cello wegen des Stachels, der gibt mir Sicherheit, einen kann ich aufhalten!“

Das Ettersdorfer Publikum wurde von Deutschmann gelobt: „Ein Publikum, das 30 Jahre lang vom Kabarettverein trainiert wurde, macht hier alles mit!“ Sein Vorteil gegenüber den Kabarett-Fans: „Wir alle denken das Gleiche, nur ich kann’s auswendig.“

„Wir sind sensibler geworden“, lautete eine These. Das Sommermärchen geht zu Ende. Der Kaiser ist siech, er zeigt sich nicht mehr in der Öffentlichkeit. Gysi hat aufgehört – er war eine Gehirnhälfte des Bundestags, die andere Hälfte mussten sich viele teilen. Helmut Schmidt ist tot, der eine Lichtgestalt war. Peter Scholl-Latour ist tot: Wer soll uns die Welt nun erklären? Gauck, das Schlossgespenst vom Bellevue, tritt ab. Das Lenor-Gewissen von Angela Merkel hat aus der Saula eine Paula gemacht in ihrer Haltung zu Flüchtlingen, die zur Zeit Kohls noch völlige Ablehnung war. Merkel hat die CDU nach links gezogen, nun ist rechts ein Platz frei, dort entsteht Neues. Die Dresdner haben Angst, dass sie „umgevolkt“ werden, weil Sarrazin erklärte, dass die Indianer einst eine falsche Einwanderungspolitik betrieben haben: zu viele Einwanderer mit gefährlicher Religion, dem Christentum.



Mit Esprit und scharfem Verstand erklärte Deutschmann volksverständlich und Lachmuskeln strapazierend seine Bettlektüre, die aus Bibel und Koran besteht, die komplizierte Geschichte Abrahams, den Ritterschlag Erdogans für Böhmermann, die gefährliche Drohung der Briefkastenfirma Luxemburg an die USA, die bevorstehende Wahl der dritten großen Koalition, Brexit, Front National und die deutsch-französische Geschichte, Putin und sein Problem mit Conchita Wurst, warum der Thüringer Verfassungsschutzes in „Völkischer Beobachter“ umbenannt wird, warum die Schotten zu uns kommen werden, warum wir Flugzeugträger brauchen: unsere Flugzeuge müssen getragen werden. Eine Lösung für den Nah-Ost-Konflikt wäre die EU-Süd-Erweiterung. Alternative: „Der Messias kommt, aber dann gibt es Streit.“

Lob vom Künstler erhielt der Papst, der die roten Schuhe wegkickte und sich Franziskus nennt. Der Original-Franziskus hat in Italien mit den Vögeln gesprochen. „Versuchen Sie das im Westerwald – ruckzuck sind Sie in Andernach!“

Der Kabarettist bekannte seine linken Selbstzweifel und seine europäische Erziehung durch Camillo Felgen bei „Spiel ohne Grenzen“ und durch Hans-Joachim Kulenkampff bei EWG - Einer wird gewinnen: „Wir sind es, zur Dominanz verdammt!“ Die Analysen gaben keinen Anlass zu Optimismus, aber Deutschmann meinte, er kenne seine Verpflichtung: „Ich werde Sie nicht ohne gute Laune rausschicken in den Westerwald, der Winter ist zu hart.“ Deutschmann hielt Wort, das Publikum hatte viel zu lachen und noch mehr Erkenntnisse für den Heimweg gewonnen. Dem Künstler jedoch fehlte die Möglichkeit eines Abgangs nach hinten. Die Ettersdorfer Bühne sei ein offenes Gefängnis. Er spielte auf dem Cello noch eine Zeitlang D-Moll, denn das kann man stundenlang spielen und kostet nichts. Das ist der Tod der Gema!

Matthias Deutschmann wird sicherlich nicht der letzte Kabarettist in Ettersdorf gewesen sein. Uli Schmidt, Sprecher der Kleinkunstbühne Mons Tabor hatte bereits im Juli des vergangenen Jahres angesichts der sehr aktiven Ettersdorfer Dorfgemeinschaft und der Mithilfe der Stadt Montabaur Optimismus verbreitet. (Wir berichteten.) Lange vor dem Veranstaltungstermin waren alle Karten ausverkauft und Schmidt behielt Recht. Das neue Kulturformat soll künftig immer zum Jahresanfang politisches Kabarett im Gelbachtal bieten. Ein neues kulturelles Markenzeichen ist entstanden. htv


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