Zwölf Apostel bewachen 95.000 Bücher
Der in Klöstern übliche Buchbestand nimmt in der Regel großen Raum ein. In der Zisterzienserabtei Marienstatt wurde 1909 ein Neubau errichtet, der in Anpassung an das vorhandene Gebäudeensemble barock gestaltet wurde. 105.753 Medien sind derzeit gelistet, davon 95.000 Bücher. Bald ist wieder die Kapazitätsgrenze erreicht, denn der Bestand wächst kontinuierlich. Im vergangenen Jahr kamen 1.628 Bücher dazu.
Marienstatt. Eine kleine Gruppe bibliophil interessierter Menschen wartete ehrfurchtsvoll im Vestibül an der Pforte auf Jörg Ditscheid, einen von zwei ehrenamtlichen Bibliotheksbetreuern des Klosters. Er erläuterte bei einer Führung anschaulich den Werdegang der Sammlung, den Bestand und seine Systematik. War man beim Betreten des langen Barocksaals noch geneigt, mit den faszinierenden Werken Tage verbringen zu wollen, so änderte man wegen der Kälte bald seine Meinung. Roste im Fußboden zeugen von der ursprünglichen Absicht, die Bibliothek mit einer Dampf-Heizung auszustatten. Zum Wohlergehen der Bände nahm man davon Abstand und hält die Raumluft kühl und trocken.
Nach der Säkularisierung waren nur noch etwa 3.000 Bücher im Bestand des Konvents, doch nachdem die Abtei Marienstatt 1888 als erstes Kloster wiederbesiedelt worden war, wuchs die Anzahl durch Schenkungen aus anderen Klöstern. Da die Schriften im Haus verteilt waren, fasste der Konvent zu Anfang des 20. Jahrhunderts den Beschluss, einen Neubau für die Bibliothek zu errichten. 1908 feierte man Richtfest des revolutionär modernen Betonbaus in Ständerbauweise. Außen herum wurde der Beton in Bruchstein gefasst und innen kaschieren Regale die Betonsäulen. Zwischen diesen wurden in den 1990er Jahren weitere Regale errichtet und ein neuer Korkfußboden sowie elektrisches Licht entlang aller Regale verlegt.
In mit grünem Filz abgedeckten Vitrinen ist historischer Altbestand ausgestellt: Handschriften und Druckwerke bis 1900. Allerdings wurde davon keine Handschrift in Marienstatt hergestellt. Bei der Säkularisation wurden diese verkauft oder gar im Matsch als Unterlage für Kutschen verwendet. Die älteste Handschrift, ein Psalterium, das 150 Psalme verzeichnet, wurde um 1300 in einem unbekannten Franziskanerkloster in Nord-Ost-Frankreich gestaltet, weiß Ditscheid zu berichten. Nur ein Rechenbuch aus Marienstatt von Abt Benedikt Bach ist vorhanden. Es gehört eigentlich ins Archiv.
In der Vitrine mit Druckwerken befinden sich Inkunabeln, Bibeldrucke, deren Initialen noch per Hand nachgemalt wurden. In der ältesten gedruckten Bibel des Hauses wurde offensichtlich studiert. Die Anmerkungen am Rand und das Handsymbol sind unübersehbar. Heute würde man papierfreundlichere Post-its verwenden. Einbände wurden mit Holz und Leder gebunden. Ditscheid demonstrierte an einem gewichtigen Folianten die Begriffe „ein Buch aufschlagen“ und „zuschlagen“. Es bedurfte einiger Kraft, um Metallverschläge und Holzdeckel zu öffnen und zu schließen.
Den Wert des Buches betonen filigrane Einbände zum Beispiel bei Gebetbüchern. Es entstanden auch kuriose Verbindungen: In einer theologischen Ausgabe von 1649 sind Schildbürgerstreiche beigebunden. Manche kalligrafischen Druckwerke sehen aus wie von Hand geschrieben. Das kleinste Buch beinhaltet das „Vater unser“ in sieben Sprachen und ist nur mit Pinzette und starker Lupe handhabbar.
Als Beitrag zum Lutherjahr sind Lutherbibeln – die älteste von 1576 – und ein Katechismus von Luther um das Jahr 1807 sowie Schriften von und gegen Luther in einer Vitrine hervorgehoben.
Eine weitere Vitrine beherbergt historische Funde aller Art: Stücke historischer Wasserleitung, Bodenfliesen und einen alten Kippkorken mit der Aufschrift „Marienstätter Klosterbräu“.
Das Ordnungssystem der Bücher ist wie in den meisten Klöstern nach Themengebieten angelegt. Die einmal gewählte Ordnung müsse immer beibehalten werden, betont Ditscheid, sonst entstehe Chaos. Große Buchstaben an den Regalstirnen kennzeichnen die Themenbereiche. Da es sich um eine theologische Sammlung handelt, steht A für Bibeln, die Quelle. Q dagegen umfasst Sammelwerke sowie Erwachsenenbildung, weil der Begriff zu neu ist für ein altes System. Hauptsammlungspunkte sind Kirchen-, Regional- und Ordensgeschichte. Es handelt sich um ein Freihandsystem, das meist ohne Katalog genutzt werden kann. Die Registratur geschieht durch den PC.
Der Buchstabe L bezeichnet die Literatur über Heilige. Statuen der zwölf Apostel bewachen das kostbare theologische Wissen. Diese Figuren im Stil des Hadamarers Barock waren ursprünglich im Mittelschiff der Kirche aufgestellt. Da jeder Apostel ein Buch in der Hand hält, fand man den neuen Standort passend.
Neben den Geistlichen können Studenten mit wissenschaftlichem Interesse oder Heimatforscher die Bibliothek nutzen. In jedem Buch befindet sich ein Leihzettel. Den erstaunten Einwand einer Besucherin, die alten Folianten dürften doch sicherlich nie den Raum verlassen, begegnete der Bibliothekar, der Bestand gehöre dem Konvent und wenn ein Mönch ein Buch mit in seine Zelle nehme, um darin zu studieren, so tue er das.
Wer an einer der sehr informativen und kurzweiligen Bibliotheksführungen im Kloster Marienstatt teilnehmen möchte, hat dazu nach Anmeldung unter: bibliothek@abtei-marienstatt.de Gelegenheit. htv
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