Viel besuchte Lesung: "Schokolade für das Afrika-Corps"
Solch ein enormes Interesse an der ersten Veranstaltung im neuen Jahr 2017, in dem Rennerod den 800. Jahrestag seiner Ersterwähnung feiert, hätte niemand vermutet: Bis auf den letzten Platz war Sims Werkstatt, das Kunstkabinett der Buchhandlung Lang, gefüllt mit interessierten Literaturbegeisterten aus der Region. Der Werkstatt reichte bei weitem nicht aus, um die Zuhörer der Lesung von Nadine Dobler zu fassen.
Rennerod. Die junge Lektorin Nadine Dobler ergriff genau diese atmosphärische Dichte und trug im ersten Teil des Abends zwei Passagen aus dem von ihr editierten Roman "Schokolade für das Afrika-Corps" der Wiener Exilantin Alice Penkala vor. Vom Nationalsozialismus vertrieben, flohen 1933 bis 1945 Tausende ins Exil, darunter die bis heute bekanntesten Autoren und Autorinnen ihrer Zeit wie Thomas und Heinrich Mann, Anna Seghers, Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Joseph Roth, Stefan Zweig, und viele andere. Die Bedingungen der Flucht sowie des Lebens und Schreibens im Exil, das Weiter-existieren-müssen in einer völlig fremden Kultur lässt auch der vorgestellte Roman in vielen Momentaufnahmen erkennen.
Sehr früh war der Schriftstellerin Alice Penkala klar, dass sie die Flucht aus dem nationalsozialistischen Wien mit ihrem Mann antreten musste. Nach einer Odyssee landeten beide 1939 in Tanger, dem Schauplatz der Erzählung. Die vorgetragenen Textauszüge ließen erahnen, wie vielschichtig, differenziert, wechselwirkend und überlagernd die Geschehnisse in der marokkanischen Hafenstadt in dieser Zeit waren, wie dicht das Geflecht dieser Schiebergeschichte ist und welche Spannung in dem Thema Flucht und Vertreibung liegt. Die Geschichte handelt von der Beschaffung eines riesigen Postens Schokolade für das Deutsche Afrika-Corps, das an den benachbarten Kriegsschauplätzen im Einsatz war. Dieser Coup entwickelt sich im Verlauf des Romans zu einem Netzwerk aus Gier und Intrige. Die Personen sind satirisch überzeichnete Prototypen der damaligen Gesellschaft Tangers, die in ihrem schwierigen Exilalltag in einer Verstrickung aus Bestechung und Korruption überleben müssen. Momentaufnahmen, schwungvoll und ironisch erzählt, gestalten das spannend und psychologisch scharf gearbeitete Gesellschaftsporträt im Zufluchtsland.
Nach einer kurzen Pause eröffnet sich eine sehr angeregte und interessierte Diskussionsrunde, in der Nadine Dobler souverän und engagiert jede Frage zur Person der Autorin, zu deren besonderen Lebensumständen und den Hintergründen ihres Schriftstellerdaseins beantwortete. Im Laufe des Abends wurde es immer erstaunlicher, dass Alice Penkala so in Vergessenheit geraten ist und umso wertvoller ist die Entdeckung des Manuskripts von Nadine Dobler im Literaturhaus Wien und die Erstveröffentlichung dieses Romans über 70 Jahre später.
Schnell spürte das aufmerksame Publikum, was die junge Literaturwissenschaftlerin an ihrem Beruf so reizt: Es ist die Begeisterung für die Entdeckung von Manuskripten, noch "unbehandelten" Schriftstücken, diese in Form zu bringen und ein Buch für eine breite Öffentlichkeit entstehen zu lassen. Die Teilnehmern dieses Literaturabends erhielten einen umfassenden Einblick in die Hintergründe und die Geschichte eines Exilromans, was den Andrang auf die Signierstunde im Anschluss verständlich machte. (PM Marlies & Helmut R. Lang)
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