Rezension: Strategien für den Wiederaufbau Aleppos
Die Friedensverhandlungen über das Ende des Bürgerkriegs in Syrien geben angesichts verhärteter Fronten wenig Anlass zu Hoffnung. Trotzdem oder gerade deshalb geben die „Freunde der Altstadt von Aleppo“ ihre Bemühungen um einen geregelten Wiederaufbau der einst wunderschönen historischen Substanz nicht auf. Sie archivieren und entwickeln ständig neue Strategien, die die Hoffnung weitertragen.
Berlin. Am 22. April 2016 fand in Berlin eine Konferenz statt unter Leitung der Herausgeber des dokumentarischen englischsprachigen Bandes “Strategies to rebuild Aleppo“: dem Archäologen und Orient-Experten Mamoun Fansa aus Aleppo und den deutschen renommierten Architektinnen Carola Simon und Lena Wimmer.
Die Trümmerlandschaft und die Trauer um die Menschen Aleppos sind Sinnbild und Mahnmal des Krieges in Syrien. Fotos von historischer Substanz – zum Beispiel der Eingangstüren der Zitadelle, dem mittelalterlichen Souk oder Minaretten aus verschiedenen Epochen - vor und nach den Angriffen lassen das Ausmaß der Verwüstung ahnen. Die Bestandsaufnahme stammt aus dem Jahr 2014, inzwischen hat die Zerstörung noch schlimmere Ausmaße angenommen. Doch irgendwann muss auch dieser Kampf beendet sein, dann muss mit Verstand und Weitblick der Wiederaufbau gestaltet werden. Die „Freunde der Altstadt von Aleppo“ entwickeln Strategien für diese Herausforderung. Hauptziel der Arbeitsgruppe ist es, die Rekonstruktion der alten Stadt im Dialog mit der neuen Stadt zu entwickeln und Bewusstsein zu wecken für das kulturelle Erbe und Identität, das zukünftige Aleppo soll alt und neu vereinigen. Es wird der Kooperation mit den früheren Einwohnern Aleppos, mit Stadtplanern, Architekten, Archäologen und einheimischen Handwerkern bedürfen. Das dauert möglicher Weise mehrere Jahre. Es werden Visionen und eine Art Masterplan benötigt werden. Syrische und fremde Experten sind eingeladen, ihre Ideen, Gedanken und Erinnerungen zu teilen mit dem Ziel, mögliche Strategien zu finden für den Wiederaufbau eines neuen alten Aleppo.
David Kasparek, Herausgeber eines Architektenmagazins und Berliner Mitglied der deutschen Architektenvereinigung, stellte die Frage: „Warum glauben wir, dass unsere Architektur und gebaute Umgebung - das schließt historische Gebäude ein – so viel Kraft hat und Einfluss auf unser tägliches Leben, dass wir es zerstören müssen? Das geschieht nicht nur in Kriegszeiten, sondern war immer teil der menschlichen Geschichte. Siehe „Islamischer Staat“, Palmyra und die DDR.“ Eine Berlin-Ausstellung mit Fotos von Häusern, die 1983 und 2013 gebaut wurden, zeige, wie eine Stadt aussieht, deren Planung nicht ordentlich diskutiert wurde.
Auch Carola Simon appellierte, man müsse direkt nach dem Krieg mit dem geplanten Wiederaufbau beginnen, um die Fehler anderer vergleichbarer Nachkriegsstädte zu vermeiden. Das gehe nur mit internationaler Zusammenarbeit der Experten, die Erfahrung haben mit dem Wiederaufbau von Beirut, Kabul, Mostar, Nicosia und Sarajewo und mit der heutigen und früheren Bevölkerung Aleppos.
Mamoun Fansa erinnerte daran, dass die halbe syrische Bevölkerung durch diesen sinnlosen Krieg vertrieben und heimatlos wurde. Sein Anliegen sei es, Bewusstsein für das kulturelle Erbe zu bewahren, denn die Zerstörung materieller Güter führe zu einer Zerstörung der kulturellen Identität. Der Status Aleppos als kulturelles Welterbe soll bewahrt werden.
In der Podiumsdiskussion kam man zu der Erkenntnis, dass es besser sei, den Begriff „Neuentwicklung“ (Redevelopment of Aleppo) anstelle von „Wiederaufbau“ (Reconstruction) zu benutzen, um klarzustellen, dass keine Kopie der Vergangenheit gemeint ist.
Weil das Stadtarchiv während des Krieges zerstört wurde, ist das digitale Archiv der Vereinigung von zunehmendem Wert. Nach der ersten Zerstörung geschichtlicher Substanz hatte eine Reihe privater Initiativen begonnen, oft im Geheimen, die Schäden zu dokumentieren. Die Daten wurden untereinander geteilt und archiviert. Da alle Meldungen schwer zu koordinieren waren, übernahm die „Aleppo friends Association“ diese Aufgabe. 2016 wurde eine große Menge registrierter Daten der DAI (Deutsches Archäologisches Institut) übergeben, das einen Kooperationsvertrag mit der BTU Cottbus unterzeichnet hat.
Nach der Podiumsdiskussion führte Lena Wimmer Gespräche mit verschiedenen Experten. Zum Beispiel mit der Architektin und Designerin Esra Can Akbil, die in Nikosia arbeitet. Sie meinte: Wir glauben, dass, wenn wir sie uns nicht gedanklich vorstellen, wir nie eine gemeinsame Zukunft schaffen werden.“ Weiterhin statuierte sie als Resultat ihrer Arbeit am Famagusta-Projekt, Zypern: „Die Arbeit in einer Konfliktzone kann man nicht am Tisch entwerfen, man kann die Leute nicht beiseite schieben beim Entscheidungsfindungsprozess, denn, egal, welche Entscheidungen man am Tisch auch trifft, so sind es die Menschen, die mit ihnen leben müssen. Und nur, wenn sie deine Ideen wirklich akzeptieren oder wenn sie glauben, dass ihre Ansicht auch in Betracht gezogen wird, werden sie unterstützend sein. Das ist sehr, sehr wichtig!“
Bauingenieur Tamim Qasmo, der in Aleppo lebt, 1969 an der dortigen Universität graduierte und an vielen Projekten in Syrien und Saudi-Arabien mitarbeitete, formulierte den doppelten syrischen Konflikt so: „Unsere Identität unterscheidet uns von anderen, sie ist der Unterschied zwischen dir und mir. Daher ist die Identität das andere Gesicht der Diversität. In Syrien zerstört jeder Syrer, der die Identität eines anderen zerstört, zugleich auch seine eigene.“
Professor Friedrich Schipper äußerte die Angst der Konferenzteilnehmer, dass der Krieg immer noch weitergeht und heute keiner sagen kann, wann er enden wird und welche politische und humanitäre Situation wir dann vorfinden werden. Daher seien Planungen im Voraus sehr schwierig. Von größter Bedeutung sei der Landbesitz: Wer wird welches Land besitzen oder beanspruchen? Wer wird die Entscheidungen fällen? Welche Rolle können externe Fachleute spielen?
Viel Vertrauen wird von dem Freundeskreis in Deutschland, Kuwait und in den Aga Khan gesetzt, wenn es um die Unterstützung und den Wiederaufbau von Aleppo geht, wie Adu Qudsi betonte, der 1940 in Syrien geboren und nun auch Bürger der USA ist. Er hatte in den siebziger und achtziger Jahren eine erfolgreiche Kampagne für den Erhalt der Altstadt Aleppos geführt und die Politiker von dem Projekt überzeugt. Außerdem bereitete er 1986 die Aufnahme Aleppos in die Unesco Weltkulturerbe – Liste vor. htv
Das Buch ist im Nünnerich-Asmus-Verlag erschienen, ISBN: 978-3-945751-96-1 zu 17,90 Euro.
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