Wallmerod: Die Gemeinde im protestantischen Niemandsland wird 25
25 Jahre ist es inzwischen her, dass sich ein kleines Grüppchen Protestanten in einer durch und durch katholisch geprägten Gegend zusammengetan und eine Kirchengemeinde gegründet hat. Seitdem ist die Evangelische Kirchengemeinde Wallmerod aus der Region nicht mehr wegzudenken. Nach einem Vierteljahrhundert ist eine der jüngsten Gemeinden des Dekanats Selters für viele zur Heimat geworden.
Wallmerod. Noch bis in die 1960er-Jahre fühlen sich etliche Protestanten in und um Wallmerod heimatlos. Eine eigene Kirche haben sie damals nicht, sondern treffen sich im Saal des Amtsgerichts zu ihren Gottesdiensten. Das ändert sich erst 1965, als sie von ihren katholischen Geschwistern die Christuskirche erwerben. Eine eigenständige Kirchengemeinde sind sie damit aber noch lange nicht. Stattdessen gehören Wallmerod selbst und viele der umliegenden Dörfer wie Berod, Hundsangen, Steinefrenz oder Zehnhausen zur Kirchengemeinde Hadamar. Andere Orte fallen in den Bereich der evangelischen Gemeinden Montabaur, Wirges, Wölferlingen und Willmenrod.
Doch das evangelische Leben in und um Wallmerod wird im Laufe der Jahre immer aktiver. In den 1980er-Jahren gründen engagierte Protestanten einen Bibelkreis, der sich regelmäßig in der kommunalen Gemeindeverwaltung Wallmerod trifft. Ende der 1980er-Jahre weicht der Kreis dann auf einen Raum in der Amtsapotheke aus, und ein Pfarrvikar betreut den seelsorgerlichen Dienst sowie die Gottesdienste in der Evangelischen Christuskirche. Als er Anfang der 1990er-Jahre die Gemeinde verlässt, stehen die evangelischen Christen wieder vor einer Lücke. Die engagierten Männer und Frauen wenden sich noch einmal an die Kirchenleitung und bitten sie, einen Pfarrer einzustellen – und somit eine Gemeinde zu gründen. Am 1. Juli 1992 geht der Wunsch endlich in Erfüllung: Wallmerod bildet mit 22 Dörfern eine eigenständige Kirchengemeinde. In einem Gebiet, in dem vier von fünf Menschen katholisch sind.
Die frühen Jahre der Kirchengemeinde sind indes nicht leicht. Die Protestanten treffen sich in einem angemieteten Haus mit einem provisorischen Gemeinderaum. Der erste Pfarrer, Andreas Krone, bleibt vier Jahre. Danach übernehmen Heike und Heinrich Meissner die Stelle. Das Pfarrer-Ehepaar erinnert sich noch gut an die beengten Verhältnisse in der Dachwohnung des improvisierten „Gemeindezentrums“, an ihre theologische Fachliteratur, die wegen Platzmangels zwischen den Marmeladengläsern im Keller steht. Aber die Protestanten halten durch – und sind motiviert bis in die Haarspitzen. Sie bringen sich und die neue Kirchengemeinde im katholischen Wallmerod ins Gespräch, gründen Kreise, einen Kirchenchor, veranstalten Hilfsbasare. Dafür ernten sie Anerkennung von ihren katholischen Geschwistern. Zumindest von den meisten. Manche schlagen ihnen auch die Tür vor der Nase zu, als sie sich vorstellen wollen.
Im Laufe der Jahre verlieren die Konfessionen solche Berührungsängste. Mit der evangelischen Gemeinde wächst das Bewusstsein fürs ökumenische Miteinander, und inzwischen gibt es gemeinsame Gottesdienste, Andachten und Bibelabende sowie einen Arbeitskreis Ökumene. Doch nicht nur die Offenheit gegenüber den katholischen Geschwistern wächst. Die evangelische Kirchengemeinde besteht zu einem großen Teil aus Aussiedlern aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Und das ist keineswegs selbstverständlich. Denn deren Frömmigkeit ist eher mennonitisch denn landeskirchlich geprägt. Aber diese ursprünglich aus Osteuropa kommenden Christen fühlen sich in Wallmerod wohl, engagieren sich und geben der Gemeinde etwas bemerkenswert Warmherziges. Das gilt auch für die jüngste Gruppe, die in Wallmerod ein geistliches Zuhause gefunden hat: für die rund ein Dutzend Iraner, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland geflohen sind und sich von Pfarrerin Heike Meissner haben taufen lassen. Inzwischen sind auch sie aus den Sonntagsgottesdiensten nicht mehr wegzudenken.
Die Evangelische Kirchengemeinde Wallmerod ist für viele zur Heimat geworden. Für Protestanten, Aussiedler, Flüchtlinge. Letztlich waren sie alle „Fremde“, die etwas Eigenes geschaffen haben: eine junge, lebendige Gemeinde mitten im protestantischen Niemandsland, in der sich Frauen, Männer, Kinder und Erwachsene bei Gottesdiensten, im Chor, im Besuchsdienstkreis und vielen anderen ehrenamtlichen Projekten begegnen. „Es gibt hier nun mal wenige einheimische Protestanten“, fasst Pfarrerin Heike Meissner zusammen. „Wir kommen alle von außen. Ob aus Montabaur, dem Ruhrgebiet, Russland oder dem Iran. So etwas verbindet.“ Die Statistik gibt ihr recht: In 25 Jahren ist die Zahl der Gemeindeglieder von rund 1600 auf 2200 gestiegen. „Wallmerod ist eine Gemeinde, die wächst“, sagt die stellvertretende Vorsitzende des Kirchenvorstands Anneliese Kirberger. „Und das macht Mut für die Zukunft!“
Trotz der ermutigenden Zahlen: Wallmerod muss sich immer wieder neu finden, glaubt Pfarrer a. D. Heinrich Meissner. „Gerade im Bezug auf Kinder- und Jugendarbeit wollen wir Schwerpunkte setzen und vertrauen, dass wir mit Gottes Hilfe weiter wachsen“, sagt er und nennt die Krabbelgruppen, die Kirchenmäuse und die Präsenz in den Grundschulen als wichtige Impulsgeber für die Zukunft. „Egal, wer uns als Pfarrerin oder Pfarrer nachfolgt: Er oder sie wird einen gut bestellten Weinberg vorfinden“, sagt Heinrich Meissner. „Einen Weinberg, der gepflegt werden will.“ (bon)
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