HSBB-Vortragsabend über Erdoğans Einfluss in Hachenburg
Am vergangenen Donnerstag, 19. April, konnten Interessierte in der Hachenburger Stadthalle einem zweistündigen Vortrag von Sigrid Herrmann-Marschall zum Thema „DİTİB - Erdoğans Arm in Hachenburg? Auswirkungen auf Kinder- und Jugenderziehung“ beiwohnen. Eingeladen hatte die Bürgerinitiative „HachenburgSollBuntBleiben“ e.V. Moderiert wurde die Veranstaltung von der ehemaligen Islam-Beauftragten und Islamkritikerin Dr. Lale Akgün. Neben dem eigentlichen Veranstaltungsbericht hat unser Mitarbeiter Mario Löhr auch Hintergründe zu DİTİB zusammengestellt.
Hachenburg. Anfang Oktober 2017 begann der Bau der Moschee in Hachenburg. Die Tatsache, dass sich die Hachenburger Muslime bereits zuvor dem Dachverband DİTİB freiwillig angeschlossen hatten, führte zu heftigen Debatten. Die Bürgerinitiative (BI) „HachenburgSollBuntBleiben“ e.V. (HSBB) forderte wiederholt eine Trennung der islamisch-türkischen Gemeinde von der DİTİB.
Der Vortrag
Nun hatte die BI zu einem Informationsabend in die Hachenburger Stadthalle eingeladen. Das Thema: „DİTİB - Erdoğans Arm in Hachenburg? Auswirkungen auf Kinder- und Jugenderziehung“. Zu Beginn des Abends hieß Klaus-Peter Kuhl als Vorsitzender der Bürgerinitiative alle Gäste in der Stadthalle Hachenburg willkommen. Er dankte allen Spendengebern und erklärte dann, dass man auf der Facebook-Seite von HSBB wegen dem anstehenden Vortrag eine Drohung erhalten habe. Diese Tatsache rechtfertigte das leichte Polizeitaufgebot vor Ort. Kuhl versicherte aber: „Angstkultur darf niemals Teil einer Demokratie sein.“ Hierfür erhielt er sofortigen Applaus.
Dann folgte seine Hauptthese: „Demokratie bedeutet Trennung von Staat und Kirche.“ Man habe in Deutschland zwar das Recht auf freie Religionsausübung. Allerdings würden Genitalverstümmelung, Ehrendmorde, Vergewaltigungen und Hetze sich nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren lassen. Kuhl zitierte abschließend den amerikanischen Bürgerrechtler Martin Luther King: „Frag nicht, wo jemand herkommt und woran er glaubt, sondern wo er mit uns hin will.“
Unterschiede in der Auslegung des Korans
Er übergab dann das Mikrofon an Dr. Lale Akgün. Die Islamkritikerin und frühere Bundestagsabgeordnete versicherte, dass sie als überzeugte Sozialdemokratin und Muslimin den folgenden Vortrag gänzlich unterstütze. Sigrid Herrmann-Marschall eröffnete dann ihren Vortrag. Die Islamismus-Expertin und Bloggerin erklärte die fünf Grundpfeiler des praktizierenden Islamgläubigen: 1.Glaubensbekenntnis; 2. gemeinsames Pflichtgebet; 3. Almosengabe; 4. Fastenzeit im Ramadan; 5. Pilgerreise nach Mekka. Diese Grundpfeiler wären den meisten praktizierenden Muslimen gemein. Jedoch gäbe es frappierende Unterschiede in Bezug auf die Auslegung des Korans.
Herrmann-Marschall erklärte, dass 75 Prozent aller in Deutschland lebenden Muslime Sunniten seien. Unter den Sunniten befänden sich auch die sogenannten Hanbaliten, die man leicht mit Salafisten in Verbindung bringen könne. Diese radikalen Muslime interpretieren den Koran als das wahre, heilige Wort Gottes. Die Trennung von Kirche und Staat werde folglich vehement abgelehnt. Auszüge aus dem Koran dienten Herrmann-Marschall zur Unterstreichung der These, dass man die Taten der radikalen Muslime durchaus mit dem Koran legitimieren könne: Sie nannte exemplarisch die Koran-Stellen:
● „O ihr, die ihr glaubt, nehmt euch nicht die Juden und Christen zu Freunden, sie sind untereinander Freunde, und wer von euch sie zu Freunden nimmt, siehe, der ist von ihnen.“ (5:51)
● „Ihr seid die beste Gemeinschaft, die für die Menschen hervorgebracht worden ist. Ihr gebietet das Rechte und verbietet das Verwerfliche und glaubt an Allah.“ (3:110)
● „Wahrlich, schlimmer als das Vieh sind bei Allah jene, die ungläubig sind und nicht glauben werden.“ (8:55)
Differenzierung zwischen praktizierenden Muslimen und Extremisten wichtig
Mehrfach betonte Herrmann-Marschall, dass man distinguieren müsse zwischen friedlich praktizierenden Muslimen und Extremisten. Problematisch sei im Falle Hachenburg aber, dass die DİTİB dieser Tage „islamistisch, an der Grenze zum Inakzeptablem“ agiere. Sie versicherte den Zuhörern, dass die DİTİB längst nicht alle Muslime repräsentiere. „Wenn ein Muslim der DİTİB sagt, er würde für alle Muslime sprechen, so lügt er.“ Die DİTİB vertrete nur einen Teil der türkischen Muslime, nämlich den, der die Angebote der DİTİB wie Imame oder finanzielle Unterstützung annehme.
Herrmann-Marschall kritisierte: „Die Hachenburger Muslime haben sich freiwillig und unbeeinflusst der DİTİB angeschlossen.“ Eine Moschee hätten Gläubige auch ohne Zusammenarbeit mit DİTİB planen können. In Hachenburg stelle sich nun also folgender Fragekomplex: Ist das ein Dachverband, dem man wirklich folgen will? Stehen die Hachenburger Muslime hinter diesen Haltungen und Handlungen? Möchten sie sich mit diesen Haltungen identifizieren? Die DİTİB-Gemeinde Hachenburg erklärte am 24. März per Pressemitteilung: „Für uns türkische Muslime ist das türkische Präsidium für religiöse Angelegenheiten (kurz Diyanet) die höchste religiöse Autorität und damit Orientierungspunkt unserer religiösen Identität. Jegliche Trennungsaufforderung offenbart daher eine grundlegende Unkenntnis der islamischen Religionsausübung.“
Herrmann-Marschall prangerte die Tatsache an, dass bei einer muslimischen Erziehung häufig Respekt, Gehorsam, Ehrenhaftigkeit, Zusammengehörigkeit, türkische Identität, Religiosität und Kollektivismus im Vordergrund stünden. Dies sei offenkundig nicht integrationsfördernd. Soziologisch gesprochen führe diese Erziehung zu „Othering“ - ein „Wir-gegen-die-Denken“ sei die Folge. Sie machte darauf aufmerksam, dass DİTİB-Imame mehr als nur Korankunde in den Moscheen betreiben. Vermehrt gäbe es Berichte über Prügelstrafen in DİTİB-Moscheen. In Kinderbüchern, die als Lehrmaterial verwendet würden, sei von „Ungläubigen“ die Rede, was den Prozess des „Othering“ nur weiter vorantreiben würde.
Besonders schockierend sei der Fall Mustafa. E.: Der Imam aus Braunschweig hatte ein Bild auf Facebook gepostet, welches die israelische Flagge auf Toilettenpapier abgedruckt zeigte. Spricht man den Dachverband auf derartige Vorkommnisse an, schweige er nicht selten. Besonders relevant schätzt Hermann-Marschall die Rolle Erdoğans beim DİTİB ein. Erdoğan stehe für Nationalismus, Islamismus und den Traum vom Osmanischen Reich. Von Herrmann- Marschall gezeigte Videos über türkische Zukunftsvorstellungen veranschaulichten den Anwesenden in der Hachenburger Stadthalle, dass in der Türkei derzeit tatsächlich von einem neuen großtürkischen Reich geträumt werde. Zu sehen gab es Bildmaterial von Erdoğan, der Kinder im Parlament instrumentalisierte und sie nationalistische Slogans aufsagen ließ.
Herrmann-Marschall: Lage in der Türkei erfordert Neubewertung von DİTİB
Ein weiteres Video zeigte eine Rede der von Erdoğan gegründeten Regierungspartei AKP. Herrmann-Marschall kündigte sie vor dem Abspielen nicht unpassend mit dem Wort „faschistisch“ an. Der Redner kündigte im Video vor ausgelassenen AKP-Anhängern in Istanbul an, dass die Türkei 2053 das reichste Land mit der größten Armee sein werde. Mit Hilfe des Islams würde man dann wieder Licht in die Welt bringen. Der Redner im Video richtete sich insbesondere an die Jugendlichen und erklärte, dass man an der Erziehung „neuer Erdoğans“ arbeiten müsse.
Herrmann-Marschall fasste das Gesehene zusammen: „Die jetzige Lage in der Türkei ist zunehmend nationalistisch, islamistisch, totalitär und militaristisch. Demnach muss man die DİTİB neu bewerten.“ Die Propaganda Erdoğans scheine auch zu funktionieren. So hätten 62.000 junge Menschen in Deutschland auf Facebook die Seite „Osmanische Generation“ abonniert. Erste DİTİB-Videos aus Deutschland seien nun auch im Netz aufgetaucht. Sie zeigen Kinder in Uniformen, die mit Waffenattrappen auf einer Bühne zu bombastischer Musik marschieren. Gemessen an den Plänen der AKP sei diese Entwicklung laut Herrmann-Marschall „höchst beunruhigend“. Es sei also im Interesse der Hachenburger Muslime, sich von DİTİB fern zu halten anstatt zu kooperieren. Damit endete der Vortrag in der Hachenburger Stadthalle.
Ob die Hachenburger Muslime Erdoğan-Anhänger sind, lässt sich nicht bestimmen. Dagegen spricht vielleicht die Tatsache, dass seit 2017 die Asylanträge türkischer Staatsangehöriger deutlich angestiegen sind. Viele Muslime schweigen womöglich aus Angst vor Ausgrenzung oder Schlimmerem. Erdoğan hat bekanntlich Neuwahlen angekündigt. Die Regierungspartei AKP will in einem Wahlbündnis mit der MHP antreten. Bei einer Wiederwahl würde Erdoğans Macht deutlich ansteigen.
Exkurs: Hachenburger Muslime und die BI
Die Hachenburger Muslime verstehen offensichtlich die Besorgnisse der Hachenburger BI nicht. Am 27. Oktober 2017 strahlte die „ARD“ einen Fernsehbericht über die angespannte Lage in Hachenburg aus. Ein ortsansässiger Muslim konstatierte in Bezug auf die DİTİB: „Wie sollen wir denn da beeinflusst werden? Wir sind selber schlau und wissen selber was gut ist und was schlecht ist. Wir leben hier.“ Ein weiterer Muslim: „Wir sind Westerwälder. Wir sind Hachenburger. Wir sind hier zu Hause.“
Hintergrund: DİTİB im Detail
Die 1984 gegründete Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (Diyanet İşleri Türk İslam Birliği, abgekürzt DİTİB) koordiniert als Dachverband die türkisch-islamischen Moscheegemeinden in Deutschland und untersteht der Leitung des türkischen Ministerpräsidentenamtes. Grünen-Politiker Cem Özdemir warnte 2016 im „Focus“ vor dem Moscheenverband DİTİB: „Wenn wir unsere Schulen für muslimischen Religionsunterricht über DİTİB öffnen, lassen wir zu, dass Erdoğans Ideologie im Unterricht in unserem Land verbreitet wird. Das finde ich unerträglich.“ Der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban teilt Özdemirs Sorgen. Eben weil die DİTİB dem Ministerpräsidentenamt unterstellt sei, wäre eine Einmischung der türkischen Regierung leicht möglich. Zu Zeiten Atatürks habe man die Trennung von Religion und Staat respektiert. Unter Erdoğan sei dies nicht mehr der Fall. Ghadban resümiert: „Seit Jahren findet in Deutschland eine Islamisierung der Gesellschaft statt.“ Stefan Muckel, Professor für Öffentliches Recht und Kirchenrecht an der Universität zu Köln, erkennt ebenfalls eine „eindeutige“ Abhängigkeit der DİTİB vom türkischen Religionspräsidium Diyanet: „DİTİB hat organisatorische und institutionelle Verbindungen zum Diyanet. Das lässt sich der Satzung entnehmen, da gibt es bestimmte Rechte für hohe Bedienstete des türkischen Amtes für religiöse Angelegenheiten."
Die DİTİB steht für die Islaminterpretation des sunnitischen Islams ein. 90 Prozent aller Muslime auf der Welt sind Sunniten. Auch in der Türkei dominiert heute die sunnitische Islaminterpretation. Zwischen Sunniten und Schiiten herrscht seit Jahrhunderten Hass. Der Streit entfachte sich im siebten Jahrhundert in Bezug auf die Frage nach einem legitimen Nachfolger des Propheten Mohammed. Die Mehrheit der Muslime forderte die freie Bestimmung eines Nachfolgers. Eine Minderheit insistierte hingegen, dass der Nachfolger zwingend aus der Familie Mohammeds stammen müsse. Die Anhänger dieser Minderheit nannten sich „Schiat Ali“, woraus sich der heutige Begriff „Schiiten“ ableiten lässt.
Die DİTİB betreut die in Deutschland lebenden türkischen Muslime, errichtet und erhält Gebetsstätten, bildet Laienprediger aus, veranstaltet kulturelle Aktivitäten, Sprachkurse und führt Berufsbildungsmaßnahmen durch. 2014 waren 896 Moscheevereine an die DİTİB angeschlossen. Starke Kritik wurde 2015 laut, als die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) darüber berichtete, dass auch radikale Islamisten in DİTİB-Moscheen aktiv waren. Die DİTİB beteiligte sich allerdings auch als Mitinitiator bei der Massenveranstaltung „Gemeinsam für Frieden und gegen Terror“. 20.000 Muslime nahmen 2004 in Köln an der Demonstration teil.
2016 geriet die DİTİB erneut in die Kritik, als der „Stern“ über einen Kindercomic der türkischen Religionsbehörde Diyanet berichtete. In besagtem Comic wurde der Märtyrertod verherrlicht und da sich die Stellungnahme der DİTİB nicht ausreichend vom Inhalt des Comics distanzierte, stellte das Land NRW vorerst die Zusammenarbeit mit dem Moscheenverband ein. Auch hat die DİTİB sich der Spionage schuldig gemacht. Informationen über Fethullah Gülen wurden von DİTİB-Imamen nach Ankara übersendet. Eine Zusammenarbeit mit dem türkischen Geheimdienst MİT konnte nachgewiesen werden. 2017 erhielt die DİTİB hierfür den Negativpreis „Big Brother Award“ in der Kategorie Politik. (jmlp)
Quellen:
● http://www.ardmediathek.de/tv/Landesschau-Rheinland-Pfalz/Streit-um-Moschee-in-Hachenburg-Das-ha/SWR-Rheinland-Pfalz/Video-Podcast?bcastId=207880&documentId=47249458
● https://www.welt.de/politik/deutschland/article166638959/Tausende-Tuerken-beantragen-Asyl-in-Deutschland.html
● https://www.wiwo.de/politik/ausland/tuerkei-erdogan-nennt-termin-fuer-neuwahlen/21188366.html
● http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/streit-um-ditib-ein-undurchsichtiges-spiel-14394916.html
● http://www.deutschlandfunk.de/innenministerium-zum-islamverband-ditib.1773.de.html?dram:article_id=376083
● http://www.spiegel.de/politik/deutschland/muslime-gegen-terror-protest-mit-tuecken-a-328704.html
● https://bigbrotherawards.de/2017/politik-ditib
● https://www.focus.de/politik/deutschland/erdogans-statthalter-in-deutschland-tuerkische-pegida-oezdemir-greift-moscheenverband-ditib-an_id_5757476.html
● http://www.ditib.de/default1.php?id=5&sid=10&lang=de
● http://www.sueddeutsche.de/politik/islam-was-schiiten-und-sunniten-trennt-1.840806
● https://www.welt.de/politik/ausland/article145657154/Warum-Sunniten-und-Schiiten-sich-so-hassen.html
● http://www.kath.net/news/53746
● http://www.zeit.de/politik/2017-01/tuerkei-ditib-deutsch-tuerkischer-islamverband-spitzelei-guelen-anhaenger
● http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/f-a-z-und-report-muenchen-berichten-ueber-dschihadisten-in-dinslaken-13699018.html
● https://www.stern.de/politik/ausland/tuerkei--religionshueter-animieren-kinder-per-comic-zum-maertyrertod-6772240.html
Weitere Informationen zum Thema:
Sigrid Herrmann-Marschall: https://vunv1863.wordpress.com/
Dr. Lale Akgün: http://laleakguen.de/
BI HSBB: https://hsbb.news/
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