Werden im Westerwaldkreis die „Falschen“ abgeschoben?
MEINUNG | Der Willkommenssommer für Flüchtlinge liegt drei Jahre zurück. Auch im Westerwaldkreis hat die Unterstützung für die bei uns gestrandeten Menschen aus Kriegs- und Hungergebieten nachgelassen, aber sie ist noch nicht ganz erloschen. Noch immer kümmern sich in einzelnen Orten Helferinnen und Helfer um deren schnelle und volle Integration in unsere Gesellschaft. Sie glauben noch an das „Wir schaffen das!“ der Kanzlerin und scheuen weder Mühen noch finanzielle Belastungen. Damit, wie die Situation der Flüchtlinge im Kreis derzeit ist, hat sich der Sprecher des Forums Soziale Gerechtigkeit, Uli Schmidt, beschäftigt.
Westerwaldkreis. Dabei beschreibt er auch positive Beispiele aus seiner Heimatgemeinde in der VG Montabaur. Sein Fazit: neben viel Frust und zu viel hemmende Bürokratie gibt es noch Hoffnungen bei Helfern, Flüchtlingen und Unternehmen.
Schmidt: „Von der Willkommenskultur ist nicht mehr viel zu spüren: heute rennen immer mehr Leute den zwischen CSU und AfD angesiedelten dumpfen Parolen hinterher. Die sprachliche Verrohung hat dabei ein Ausmaß angenommen, das nur noch ekelhaft ist. Sind die vielen Flüchtlinge, die in einem Kühllaster elend erstickt sind, wirklich „Asyltouristen“ gewesen. Und sind die Ärzte ohne Grenzen wirklich eine Filiale der „Abschiebemafia“? Die Zyniker der Rechtspopulisten, die aus der Entwicklung politisches Kapital schlagen wollen, sollte man mal in Lesbos für eine Nacht im Winter in ein kaltes Zelt sperren.
Doch der Zeitgeist hat sich gedreht und auch die Politiker aller demokratischen „Altparteien“ trauen sich kaum noch ihre Meinungen pro Asyl öffentlich zu äußern. Oder haben sie keine eigene mehr, aus Angst davor, in den Umfragen weiter zu sinken? Auch die Medien bekleckern sich in dieser Situation nicht alle mit Ruhm durch sachliche Berichterstattung: jede noch so geringe Straftat eines ausländischen Jugendlichen wird von einigen Blättern und Sendungen tagelang in allen Einzelheiten dargestellt. Sind es deutsche Straftäter, ist das meist keine Notiz wert. Da ist was in Unordnung gekommen - wohl, weil es um Auflage und Einschaltquoten geht.
Tatsache ist, dass der Staat vom Bund bis zu den Kommunen viel Geld in verschiedene Maßnahmen investiert hat, um die 2015 angekommenen Flüchtlinge schnell zu integrieren, insbesondere in das Arbeitsleben. Dass dies bei Vielen gut gelungen ist, zeigt das Beispiel einiger Asylbewerber aus meiner Gemeinde:
- Pakistani, 25 Jahre: als „Dublinflüchtling“ gekommen, macht eine Ausbildung zum Straßenbauer bei einem Tiefbauunternehmen in Holler – dieses hatte zuvor jahrelang einen Azubi gesucht und trotz vieler Bemühungen keinen gefunden.
- Pakistani, 24 Jahre: macht eine Ausbildung zum Elektriker bei einem Betrieb in Stahlhofen – dieser hat schon 30 Jugendliche ausgebildet, den Pakistani bezeichnet die Geschäftsführung als einen der Besten davon.
- Iraner, 29 Jahre: macht eine Ausbildung zum Fachlageristen bei einem Bekleidungsunternehmen in Montabaur - und hat hoffentlich in Kürze seinen Führerschein in der Hand.
- Iraner; 41 Jahre: hat nach einigen Weiterbildungskursen bei der HWK eine feste Anstellung als Schweißer bei einem Metallunternehmen in Nistertal. Das Unternehmen kann den Bedarf an Arbeitskräften nicht decken, es gibt zu wenig Facharbeiter in der Branche.
- Mehrere Pakistani: arbeiten in der heimischen Gastronomie als Küchenhelfer und sind in dieser Funktion unverzichtbar (es gibt keine anderen Arbeitskräfte für diese Tätigkeiten).
- Pakistani, 42 Jahre: arbeitet seit zwei Jahren als Bäcker (in dem Beruf hat er ohne Ausbildung bereits viele Jahre in der Heimat gearbeitet) in einem heimischen Familienbetrieb – der ist ohne diesen überaus fleißigen, zuverlässigen und beliebten Mitarbeiter mittelfristig in seiner Existenz bedroht, da sich keine gleichwertige Arbeitskraft findet.
Gerade der letzte erfolgreiche Fall sorgt derzeit für Kopfschütteln und macht die Tücken unseres Asylrechts beziehungsweise deren Auslegung deutlich. Der Bäckereimitarbeiter ist im Betrieb und im Dorf bestens integriert, sein Aufenthalt soll aber nach abgeschlossenem Asylverfahren beendet werden. Wenn er danach freiwillig ausreist, darf er noch bis Oktober bleiben, so die Ausländerbehörde. Rechtlich nicht zu beanstanden, aber: die Bäckerei braucht ihn unbedingt und will ihn behalten! Der Pakistani ohne Chance zur Schulbildung im Heimatland, will noch zwei oder drei Jahre hier Geld verdienen, damit er seinen fünf Kindern Schule und Ausbildung finanzieren kann. Kinder, die dann hoffentlich später nicht als Armutsflüchtlinge zu uns kommen müssen. Gibt es eine bessere Entwicklungshilfe?
Aus anderen Kreisen ist bekannt, dass in solchen Fällen von der Ausländerbehörde der im Asylrecht vorhandene Spielraum großzügiger zu Gunsten der heimischen (Handwerks-) Unternehmen genutzt wird. Eine freiwillige Ausreise und Rückkehr über ein Arbeitsvisum ist hier aus mehreren Gründen meist auch keine praktikable Lösung. Von dem von der Bundespolitik in Aussicht gestellten Einwanderungsgesetz gar nicht zu reden.
Hier soll offensichtlich von der Ausländerbehörde auf Weisung von oben Härte demonstriert werden, auch wenn diese in dem Fall gesellschaftlich und wirtschaftlich keinen Sinn macht. Doch solche Leute mit einem festen Wohnsitz und guter Integration kann man leicht abschieben und dadurch protzen, dass der Westerwaldkreis (außer den Kreisen mit Aufnahmeeinrichtung) die meisten Flüchtlinge in Rheinland-Pfalz abschiebt. Und in der betroffenen Bäckerei geht dann über kurz oder lang der Backofen (wie in so vielen andere auf dem Land) mangels Arbeitskräften aus. Denn sie brauchen dringend einige der Flüchtlinge, die was schaffen wollen und die auch vor Nachtarbeit keine Angst haben. Oder wollen wir warten, bis der letzte Handwerksbetreib keine geeigneten Leute mehr findet?
Um das klar zu sagen: auch bei den Flüchtlingen gibt es (wie in Deutschland und Europa) solche und solche. Darunter auch junge Leute, die wenig schaffen und sich nicht integrieren wollen, die aber auch nicht als politisch Verfolgte unser Asylrecht in Anspruch nehmen können. Die schwirren dann kreuz und quer durch Europa, ohne dass sie irgendjemand dabei stört – und die zuständigen Behörden haben davon meist keine Ahnung. Diese Asylbewerber sollten abgeschoben werden, was den Behörden aber oft zu mühsam ist, von den vieldiskutierten Gefährdern und Kriminellen ganz zu schweigen. Dann nimmt man doch lieber die gut integrierten, die besser zu „fassen“ sind. Auch wenn deren Arbeitgeber das dann auch nicht „fassen“ können."
Fazit von Uli Schmidt: "Es soll und muss abgeschoben werden: aber im Westerwaldkreis wird leider noch zu oft versucht die „Falschen“ – also die arbeitswilligen und gut integrierten - abzuschieben! Unverständlich ist, dass die Wirtschaft das offensichtlich einfach hinnimmt und deren Verbände nix dagegen tun.
Ich bin nach wie vor dafür, dass alle arbeitsfähigen Asylbewerber was schaffen und keine Sozialleistungen kassieren. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die meisten integrations- und leistungsbereit sind und es gibt insbesondere im Handwerk, Gastronomie und Pflege genug Arbeitgeber, die für mehr oder weniger qualifizierte Tätigkeiten immer dringender Personal suchen. Deshalb sind die zu uns gekommenen Menschen für die Wirtschaft im Westerwald ein wichtiges Potential für den Arbeitsmarkt. Viele heimische Unternehmen waren und sind weiterhin bereit in deren Aus- und Weiterbildung zu investieren. Dazu meinte mir gegenüber ein heimischer Gastronom in der Kreisstadt, der bereits gute Erfahrungen mit Flüchtlingen gemacht hat: „Ich brauche die Jungs, denn die machen gute Arbeit – Deutsche finde ich dafür nicht“. Viele ähnliche Aussagen kommen aus dem Handwerk vom Tiefbau bis zur Elektrobranche. Oder Ähnliches aus einer Altenpflegeeinrichtung: „Wir können auf die Leute nicht verzichten!“.
Zumal die arbeitsintegrierten Flüchtlinge ihren Unterhalt ohne Sozialleistungen selbst bestreiten und kein Deutscher Angst davor haben muss, dass ihm was weggenommen wird. Im Gegenteil: einmal integriert, tragen sie zur Steigerung unserer Wirtschafts- und Steuerkraft bei.
Leider müssen die Unternehmen im Westerwaldkreis noch zu oft feststellen, dass gesunder Menschenverstand und unternehmerisches Denken mit dem Asylrecht und dessen Bürokratie nicht zusammenpassen. Es wird Zeit das zu ändern!“
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