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Nachricht vom 26.11.2018    

Die Gegenwart ist ein Schlüssel für die Vergangenheit

Dr. Michael Wuttke bringt die Welt des Tertiärs – genauer: die Welt vor 25 Millionen Jahren – in einem Vortrag im Stöffel-Park dem Publikum näher. Wie sehr alles in Bewegung ist, sich verändert und dass dennoch Vergangenheit und Gegenwart zusammenhängen, wird an diesem Abend deutlich. - Und, humorvoll gesagt: Das geht sogar soweit, dass Fossilien nun dafür sorgen, dass für den Stöffel-Park umgehend ein Laptop angeschafft wird. Denn es gab technische Probleme, die den Vortragsbeginn verzögerten.

Dr. Michael Wuttke und Dr. Wolfgang Dörner. Fotos: Tatjana Steindorf

Enspel. Zunächst also üben sich alle im Museumsgebäude „Tertiärum“ in Enspel in Geduld. Manche Gäste holen sich ein Getränk, andere folgen dem Ratschlag von Dr. Wolfgang Dörner (Vorstand des Stöffelvereins, der an dem Abend Veranstalter ist) und schauen sich die Ausstellung in dem Gebäude an. Dr. Wuttke hat in seinem Leben so viele Vorträge gehalten, dass ihn so etwas nicht aus der Ruhe bringt. Das alles hat etwas (ungewollt) Gemütliches. Doch dann naht die technische Rettung und Dr. Wuttke führt die Zuschauer weit in die Vergangenheit zurück.

Die Land-Meer-Verteilung vor 25 Millionen Jahren ist eine andere, der Westerwald liegt etwa in Höhe des heutigen Norditalien, es existiert eine ausgeprägte Vulkantätigkeit und die Jahresmitteltemperatur liegt bei etwa 14,5 Grad (heute bei 9 Grad Celsius). Durch Wasserdampfexplosionen beim Kontakt aufsteigendes Magma und Grundwasser entsteht bei Enspel ein Maarsee, der vermutlich schon in kurzer Zeit algenreiches grünes Wasser vorweisen kann. Die Landschaft wird über viele hundert Meter im Umkreis mit vulkanischer Asche bedeckt, eine lokale Katastrophe für das Leben. Doch bald rücken Pflanzen und Tiere aus der intakten Umgebung „wieder näher“. Ulmen, Buchen, Eichen, Magnolien wachsen auf dem Kraterwall des See, auch Sumpfzypressen (besonders am Norken-See), heute sind sie etwa in Florida zu finden.

200.000 Jahre existiert dieser Maarsee. Und alles, was letztlich tot oder abgestorben am Boden des Sees landet, kann uns heute sagen, wie das Leben damals aussah. Doch dazu braucht es Forscher mit Geduld, einer ruhigen Hand und einem guten Auge sowie geballtem Wissen, lange Forschung und die unterschiedlichsten Arbeitswerkzeuge. Diese reichen vom Hammer über das Rasterelektronenmikroskop bis hin zur Computertomographie.

Von 1989 bis 2015 wurden Ausgrabungen im Stöffel-Park durchgeführt. Nichts ist dem Wissenschaftler unbedeutend und wahre Detektivarbeit wird geleistet: Merkwürdige Muster auf den Gesteinsschichten? Bakterienmatten stecken dahinter. Algenvorkommen? Das sagt etwas über die Wasserqualität und den Nährstoffreichtum aus. Teils sehr seltene Funde gibt es bei den Süßwasserschwämmen.

Der Farberhalt ist in der Lagerstätte im Stöffel besonders bemerkenswert, betont Wuttke. Bei Käfern ist die Primärfarbe zu sehen – nicht die Pigmentfarbe, sondern die Strukturfarben (aufgrund der Oberflächenbeschaffenheit reflektieren die Lichtstrahlen auf besondere Weise und werden als Farbe wahrgenommen – so bekommt auch eine CD ihre Farbschimmer). An einer Feder wiederum ist anhand der Pigmentverteilung die Farbe „abzulesen“. Wuttke zeigte auch Bilder von Knotenameisen, die ebenfalls in Enspel im Oligozän ein großes Vorkommen hatten und mit rund 20 Arten vertreten waren.



Der Enspelensis-Fisch ist mit dem Karpfen verwandt. Er hat keine Schuppen. Das ist kein Zufall. Wuttke erklärt, dass die Tiere im stehenden Gewässer wenig Kraft für die Fortbewegung aufwenden müssen. Ein festes Schuppenkleid, das Muskeln Halt gibt, ist hier unnötig.

„Nur in vier bis fünf Lagerstätten auf der Welt wurden Kaulquappen gefunden“, betont Dr. Wuttke die Besonderheit der Weichteilerhaltung im Stöffel-Maarsee. Hier gibt es reichlich davon – bis um die 20 Zentimeter wurden sie groß. Auch Salamander, Schildkröten und Krokodile lebten im Westerwald. Ein Hühnervogel-Fund zeigt noch die Steinchen in seinem Muskelmagen. Michael Wuttke weist darauf hin, dass auch Spatzen solche Steinchen brauchen und nicht nur nach Körnern picken.

„Die Gegenwart ist ein Schlüssel für die Vergangenheit“, ist ein Kernsatz für Paläontologen, die jeden Fund mit anderen Funden oder heute existierenden Lebewesen vergleichen und abgrenzen müssen. Leider heißt daher die „Stöffel-Maus“ (die von Petra Schaefers bis auf die einzelnen Härchen genau präpariert wurde) „nur“ Eomys quercyi, denn ein Zahn eines solchen Fluggleiters wurde schon in Quercy in Südfrankreich gefunden. Das Nagetier hatte rotbraunes Fell und konnte wohl bis zu 300 Metern weit gleiten.

Einige Fragen aus dem Publikum zum Klima und zur Ausstellung des Bohrkerns folgen. Der Wunsch ist groß, dass Besucher weiterhin Fossilien vor Ort suchen dürfen. Doch derzeit sieht es wohl schlecht damit aus. Das Stöffel-Park-Gelände ist ein eingetragenes Kulturdenkmal. Die Denkmalpflege setzt daher auf Bewahrung und hat selbst keine personellen Ressourcen, um weitere Grabungen am Stöffel durchzuführen, ist zu erfahren. Wolfgang Dörner hofft, dass eine „Güterabwägung“ irgendwann ein kleines Einlenken ermöglichen könnte – damit wenigstens Kinder und Jugendliche in Kontakt mit Fossilien und so zur Wissenschaft kommen.

Zur Person Dr. Michael Wuttke
Dr. Michael Wuttke ist der ehemalige Leiter des Referates Erdgeschichtliche Denkmalpflege an der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesarchäologie/Erdgeschichte, kurz: GDKE. Der Paläontologe forscht derzeit als ernannter ehrenamtlicher Mitarbeiter am Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt/M.

Die Ergebnisse werden selbstverständlich der Fachwelt vorgelegt. Derzeit hat Dr. Wuttke Publikationen über eine neue Froschart und Süßwasserschwämme in Enspel abgeschlossen. Demnächst wird er sich mit der Frage beschäftigen, was Frösche der Fossillagerstätte Grube Messel fraßen.
(Tatjana Steindorf)


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