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Nachricht vom 24.12.2018    

Wie kann man die „Stille Nacht“ hören, wenn man nichts hört?

Für Gehörlose können die Weihnachtsfeiertage eine ganz besondere Herausforderung sein. Das Miteinander von hörenden und nichthörenden Menschen verlangt den Gehörlosen viel Aufmerksamkeit und Konzentration ab. „Aber die Weihnachtsbotschaft erreicht uns Gehörlose auch über die Augen“, sagt der gehörlosen Karlheinz Hundhausen. Denn: „Hören kann man nicht nur mit den Ohren, hören kann man auch mit den Augen“, stellt Pfarrer Detlef Kogge klar.

Als „Lautsprachenbegleitende Gebärde“ ist auch das „Vaterunser“ genau festgeschrieben. Hier hat Gehörlosen-Seelsorger Detlef Kogge die hiesige „Dialekt-Variante“ parat: Je nach Region – im hiesigen Bereich ist es die norddeutsche – sind die Gebärden unterschiedlich. (Foto: Petra Stroh)

Kreisgebiet. „Der Engel sagte zu ihnen: ‚Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr!‘ Die Menschen hörten die Weihnachtsbotschaft durch den Engel, so hörten es die Hirten, und die wiederum erzählten es weiter. Maria hörte es und bewahrte die Worte im Herzen …“ So steht das Weihnachtsevangelium bei Lukas. Es wird gesprochen, verkündet und gehört. Muss man also hören können, um die Weihnachtsbotschaft zu erfahren?

„Hören kann man nicht nur mit den Ohren, hören kann man auch mit den Augen“, stellt Pfarrer Detlef Kogge klar. Mit dem „Nicht-Hören-Können und trotzdem Verstehen“ kennt sich der evangelische Theologe gut aus! Er ist „Gehörlosen-Seelsorger“. Seit 16 Jahren betreut er die gehörlosen Menschen im Evangelischen Kirchenkreis Altenkirchen. Ebenso ist er für die Gehörlosenseelsorge der Kirchenkreise Koblenz und Wied zuständig, außerdem im Schuldienst an der Landesgehörlosenschule und im Berufsbildungswerk in Neuwied. Seine Arbeitsschwerpunkte und auch das Leben der gehörlosen Menschen haben sich in der Vergangenheit stark gewandelt. Gerade im Vorfeld von Weihnachten hatte er innerhalb seiner Gehörlosen-Gemeinde eine „Zäsur“ der besonderen Art miterleben müssen: Der Gehörlosenverein „Westerwaldperle“, in dem sich Mitglieder aus dem Kreis Altenkirchen zusammengeschlossen hatten, hat sich nach 42 Jahren regen Miteinanders aufgelöst. Auch für Karlheinz Hundhausen aus Wissen, der 36 Jahre dem Verein vorstand, kein einfacher Schritt: „Traurig und ein bisschen heimatlos“ fühle man sich jetzt. Aber die zuletzt noch 14 Mitglieder sahen keine Zukunft mehr: Es mangelt an engagierten Nachwuchskräften, die Interesse an dem traditionellen Vereins-Miteinander haben und die bewährten Strukturen fortsetzen wollen.

Immer noch große Bedeutung
„Die Gehörlosen-Vereine, in denen Gehörlose einst eine Heimat fanden, weil nur hier barrierefreie Kommunikation möglich war, haben an Bedeutung eingebüßt, aber längst nicht gänzlich verloren“, schildert der 59jährige Theologe, der vielfältigen Wandel wahrnimmt. „Das Leben für gehörlose Menschen hat sich enorm verändert und an manchen Stellen sehr verbessert“, merkt der Pfarrer in seiner vielfältigen Arbeit. „Aber es gibt – vor allem auch im Vergleich mit anderen Ländern – immer noch reichlich ‚Luft nach oben‘. Es gibt immerhin weniger Stress um die Bezahlung der Einsätze von Gebärdendolmetschern, aber sie gehören noch nicht selbstverständlich dazu!“ Positiv und hilfreich sieht Kogge die technischen Errungenschaften: Mussten gehörlose Menschen früher eingeschränkt mit Schreibtelefonen oder Faxgeräten agieren, sind sie heute dank Smartphone und Internet mittendrin in der allgemeinen Kommunikationswelt. „Barrierefreier ist es geworden“, resümiert er, „aber längst noch nicht barrierefrei, und es mangelt noch vielerorten an Verständnis für die besondere Situation gehörloser Menschen …“

Seine Gottesdienst-Gemeinde wird zu einer alternden und schrumpfenden Gemeinde. „Mobilität und Sehfähigkeiten lassen nach – wie bei vielen älteren Menschen; aber die Gehörlosen treffen diese zusätzlichen Einschränkungen besonders hart.“ Sie müssen weite Strecke für die Gottesdienste zurücklegen. Jüngere Menschen finden sich kaum bei Versammlungen und Gottesdiensten ein. „Ein gesellschaftlicher Trend, der aber nur bedingt mit der Gehörlosigkeit zu tun hat!“

Direkter Austausch
Immer wieder reagiert Kogge auf die Veränderungen. Musik – in einem „normalen“ Gottesdienst wichtiges Verkündigungselement – wird bei ihm durch optische Hinführungen, etwa Power-Point-Präsentationen, ersetzt. In der Gottesdienstgemeinschaft der Gehörlosen gibt es auch kein starres „Hintereinander-Sitzen“, sondern Verbundenheit im direkten Augenkontakt. Statt „einer predigt, und viele hören zu“, tauscht man sich direkt aus, fragt, was einen bewegt und teilt die christliche Botschaft so direkt miteinander. Detlef Kogge selbst beherrscht die Gebärdensprache (vor allem auch den hiesigen „Dialekt“) und kommuniziert mittels Mails, aber vor allem per Whatsapp-Nachrichten.

Es wird „ran gezoomt“
Die Weihnachtsgeschichte kann er mit den Händen erzählen. „Mit den Händen wird eine ‚Theaterkulisse‘ aufgebaut, in der sich die Weihnachtsgeschichte abspielt. Die Hirten im Zentrum, die Engel mit dem großen Chor.“ Dann, so Kogge, wird „ran gezoomt“. Mittels Mimik wird klar, wie etwa der Hirte an der Krippe staunt ob des Erlebten. „Wenn man das so ‚spielt‘, ist man mittendrin. Wie einst als Kind beim Krippenspiel“. Ganz nah dabei, und viel intensiver als beim Lesen der Texte, findet Kogge. In solchen Zusammenkünften und Gottesdiensten sei es dann so still, wie sich manch Hörender die „stille Zeit“ wünscht. Trotz eifrigen Austauschs bleibt es ruhig im Raum und ein Hauch von „stiller Nacht“ weht. An Heiligabend und Weihnachten selbst gibt es keine speziellen Gottesdienste für gehörlose Menschen. Das Zusammenkommen ist bei den großen Entfernungen ein zu großer Aufwand.



Gehört Detlef Kogge damit zu den seltenen Exemplaren von Pfarrern, die in der „Arbeitshochphase“ des Jahres frei haben? „Als Gehörlosen-Seelsorger habe ich an Weihnachten tatsächlich dienstfrei“, schmunzelt er. Aber seit einigen Jahren weiß er sich an anderer Stelle gut im Einsatz: Er ist über die Feiertage, die manchmal auch so reich an schmerzlichen Momenten sind, als Notfallseelsorger im Einsatz. Damit entlastet er die Gemeindepfarrer und –pfarrerinnen enorm, die zeitlich gar nicht flexibel sein können, und steht denjenigen Menschen bei, denen in ihrer Not der Blick auf die Krippe versperrt ist.

Für den Seelsorger selbst ist sowieso der Advent die „berührende Zeit“: „Was dabei für mich immer im Mittelpunkt steht, ist der Adventskalender. Jeden Morgen ist es für mich wichtig, mit einer kleinen Adventsgeschichte, einem speziellen Bild, einem Gedicht oder einem Text – über den man ein wenig nachdenkt – zu beginnen. Das erwärmt mir oft das Herz für den ganzen Tag, manchmal gebe ich auch etwas in einer Andacht weiter. Deshalb gibt es immer zwei Kalender, einen für zuhause und einen für den Büroflur unserer Integrationsfirma InForma“, erzählt er.

„Weihnachten ist schon lange keine ‚Stille Nacht‘ mehr“
Für den gehörlosen Karlheinz Hundhausen und einen Bekannten, der in seiner Hörfähigkeit stark eingeschränkt ist, ist die Weihnachtszeit schon lange keine „stille Zeit“ mehr. Das geschäftige Treiben, der immer stärkere „Konsumterror“ mit seinen permanenten Verführungen, zerstört für sie die Vorweihnachtsidylle immens. Nichtdestotrotz lieben sie als Gehörlose und damit als „Augenmenschen“ bestimmte Weihnachtsmärkte. Eine Gelegenheit, sich als Gehörlose in der Vorweihnachtszeit gemeinsam – und mit „hörenden Angehörigen“ – einzustimmen auf das besondere Fest.

Das „Besondere“ an Weihnachten ist und bleibt für sie das familiäre Miteinander, das Innehalten und die Freude mit- und aneinander. Gerne erinnern sie sich – wie viele Menschen – an die Besonderheit der „kindlichen Weihnacht“: das spannungsgeladene Warten auf die Bescherung, der schön geschmückte Baum und die Freude an den kleinen und großen Geschenken.

Muss man die Weihnachstbotschaft hören können?
Dass sie als Gehörlose Weihnachten dennoch anders erleben als hörende Menschen, beantworten beide mit einem eindeutigen „Ja“. Vor allem das Leben mit einer „hörenden Familie“ bedeutet anstrengende Anpassung und fordert heraus. Etwa beim Kirchgang in einen „normalen Weihnachtsgottesdienst“. „Übertragungsleitungen“, die technisch beim „Hören“ helfen könnten, fehlen vielfach in den Kirchen, sind falsch eingestellt oder die zur Technik „passenden Sitzplätze“ an einem solchen Feiertag anderweitig blockiert. Anhand von Gestik und Mimik können sie als „Augenmenschen“ nur teilweise das einfangen, was die Hörenden besonders an weihnachtlichen Ritualen, etwa beim gemeinsamen Gesang, schätzen. So bedeutet „Weihnachten“ für die beiden Gehörlosen, immer wieder Aufmerksamkeit, Konzentration und Kraft einzusetzen. Ziemlich weit weg von „entspannten Feiertagen“.

Muss man eigentlich hören können, um die Weihnachtsbotschaft mit ihrem vielen „Reden“ zu empfangen? Bei dieser Fragestellung ist sich Karlheinz Hundhausen einig mit Gehörlosen-Seelsorger Kogge: „Die Weihnachtsgeschichte muss so nahegebracht werden, dass sie das Herz erreicht!“ Ob dies über das Ohr oder das Auge geschieht, ist letztlich nicht entscheidend.

Wer Hinweise, Fragen etc. zur Gehörlosen-Seelsorge hat, kann sich wenden an: Pfarrer Detlef Kogge, detlef.kogge@informa.org. 02631-917150. Gehörlose Menschen sind stets willkommen bei den angebotenen Gottesdiensten. Im Raum Altenkirchen finden sie unregelmäßig statt, Interessierte sollten sich melden und werden dann entsprechend informiert. In Koblenz gibt es jeweils am zweiten Sonntag eines Monats um 14 Uhr in der Christuskirche (Friedrich-Ebert-Ring/Hohenzoller Straße) ein regelmäßiges Angebot. (PES)



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