Kritische Fragen an große Genossenschaften
Rüdiger Jung hielt in Selters einen Vortrag über die großen Ideen eines Mannes, der vor 200 Jahren in Hamm an der Sieg geboren wurde und dessen damaliges Wirken in unserer Region die Welt verändert hat: Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Der Pianist Peter Bongard griff den Vortrag mit ausgesuchter Klaviermusik auf.
Selters. Professor Dr. Rüdiger Jung, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler aus Neuwied, erklärte, dass es auf der Welt 800 Millionen Genossenschaftsmitglieder gebe, der Name Raiffeisens weltweit bekannt sei und er vielleicht sogar einer der bekanntesten Deutschen sei, aber nur drei Prozent wüssten, dass Raiffeisen eine tatsächlich lebende Person war. Jung machte deutlich: „Raiffeisen ist nicht zu verstehen, ohne seinen christlichen Glauben, der ihn zum Dienst an der Gesellschaft antrieb“. In einem Dialog zwischen Raiffeisen und seiner Frau (gesprochen von Gudrun Hummerich) wurde eine seiner weltverändernden Grundideen deutlich: Alle sollten einen Vorteil aus der Genossenschaft haben. Im Gegensatz zu den Hilfsvereinen, die Raiffeisen ins Leben gerufen hatte, und bei der Reiche den Armen spendeten, sollten die Genossenschaften zum Vorteil aller sein.
Kritisch hinterfragte Jung, was von den Grundideen, wie Gemeinwohl, soziale Unmittelbarkeit und Demokratie heute noch vor allen in den großen Genossenschaften stecke. Er forderte von Banken und großen genossenschaftlich organisierten Unternehmen mehr Regionalität, mehr Mitentscheidung und mehr Orientierung am Gemeinwohl. Jung zeigte aber auch Beispiele, wo der genossenschaftliche Gedanke Raiffeisens noch gut funktioniere, wie bei einer Wohnungsgenossenschaft, die einen ganzen Stadtteil Triers vor dem Zerfall gerettet hat, einer Schülergenossenschaft, die Geld für Partnerschulen erwirtschaftet oder einem Dorfladen am Rhein, der zum sozialen Treffpunkt geworden ist.
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Mit Musik reagierte Pianist Peter Bongard auf die Gedanken des Vortrages, etwa mit „Amazing Grace“ auf die christliche Basis Raiffeisens, mit „Lean on me“ auf Raiffeisens Angst, nicht genug zu tun und mit „Man in the mirror“ auf die Forderung, dem Vorbild Raiffeisen näher zu kommen, das eigene Spiegelbild zu betrachten und selbst mehr für das Gemeinwohl zu tun. Bongards einfühlsames und gleichwohl fokussiertes Klavierspiel und der inhaltliche Bezug trugen erheblich zum Gelingen des Abends bei. (PM)
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