Der Friedhof soll auch ein Ort des Lebens sein
Ein Grabdenkmal mit verwitterter Inschrift und Familienwappen erinnert an die Freiherren von Esch zu Langewiesen. Von dem grauen Steinmonument geht der Blick zu einer hellen, schlanken Holzskulptur der Künstlerin Simone Levy, die den Kreislauf des Lebens symbolisiert. Auf dem Friedhof der Stadt Montabaur spannt sich der Bogen vom 19. bis ins 21. Jahrhundert. Jetzt gilt es, zukunftsfähige Konzepte für das große Areal zu entwickeln und zu verwirklichen.
Montabaur. Stadtbürgermeisterin Gabi Wieland hat eine klare Vorstellung: „Der Friedhof ist nicht nur Ruhestätte für unsere Verstorbenen. Er soll auch zunehmend zu einem Ort des Lebens werden.“ Um frische Ideen und Impulse zu bekommen, ging die Stadt neue Wege: Der Friedhof wurde zur Projektarbeit für Studenten der Fachrichtung Landschaftsarchitektur an der Hochschule Geisenheim. Mehr als 30 junge Leute und ihr Professor machten im April 2016 eine dreitägige Exkursion nach Montabaur, um ihr „Objekt“ kennen zu lernen und sich bei den Verantwortlichen vor Ort zu informieren. Ein Semester lang hatten sie einmal wöchentlich einen Praxistag und suchten nach Antworten auf die Frage: Wie kann der Friedhof sich zu einer parkähnlichen Oase verwandeln, in der Besucher sich gerne aufhalten?
Der Projektbericht füllt ein Buch voller Pläne und Ideen, es enthält sieben kreative Entwürfe. Für Markus Kuch, den Leiter der städtischen Friedhofsverwaltung, ist es eine Quelle, aus der man schöpfen kann. „Natürlich lässt sich nicht alles umsetzen, und es kostet Zeit und Geld, den Friedhof neu zu gestalten. Aber: Wir haben eine Grundlage und können uns manche Rosine herauspicken.“ Markus Kuch, selbst Landschaftsarchitekt, und seine Mitarbeiter haben eine Aufgabe vor sich, die im wahrsten Sinn des Wortes riesig ist. Andere Kommunen mögen Platzprobleme haben. Der Montabaurer Friedhof aber erstreckt sich über 4,5 Hektar und viele unterschiedliche Bereiche von der Peterstorstraße bis hinunter zur Wirzenborner Straße im Gelbachtal. Er bietet viele (Gestaltungs)Freiräume.
Wer Markus Kuch begleitet auf seinem Gang über Wiesen, unter Bäumen, entlang an Gräbern und Gedenkstätten, spürt schnell, wie sehr ihm dieses Terrain am Herzen liegt. Er zeigt auf einen großen Trompetenbaum, der in voller Blüte steht. „Der Friedhof ist eine Naturoase, die es zu schützen gilt: Hier stehen mehr als 700 Bäume - Ahorn, Birken, Linden, Eschen und Mammutbäume. Hinzu kommen Büsche, Sträucher und Hecken. All das und die vielen Wege wollen gepflegt werden. Das ganze Jahr über sind hier zwei bis drei Mitarbeiter des Bauhofs beschäftigt.“
Dass es immer mehr freie Flächen gibt, hat vor allem mit der veränderten Bestattungskultur zu tun. Im Jahr 2018 ist die Zahl der Sargbestattungen unter 20 Prozent gesunken; die traditionellen Doppelgräber gibt es kaum noch. Die meisten Verstorbenen werden in Urnen beigesetzt. „Dafür wird viel weniger Platz gebraucht“, sagt Markus Kuch. Zugleich ist eine große Vielfalt von Bestattungsformen entstanden, die sich auf dem städtischen Friedhof spiegelt - angefangen vom klassischen Urnengrab mit Einfassung über Gräber mit Stelen, Urnenmauern bis hin zu Steintafeln im Gras und gänzlich anonymen Ruhestätten.
Die bislang neueste Anlage ist zu Beginn des Jahres auf dem alten Teil des Geländes entstanden: Der so genannte Basaltgarten besteht aus zwei Kreisen. Im äußeren können Urnen unter Stelen in Feldern beigesetzt werden, die mit Natursteinpflaster eingefasst sind. Im inneren Kreis sind die Urnengrabstätten mit Scheiben aus Basaltsäulen abgedeckt. Angesichts frisch gepflanzter Bäume und lila blühendem Salbei glaubt man tatsächlich eher in einem Garten als auf dem Friedhof zu sein. Aber es sind nur ein paar Schritte bis zu einem historischen Bereich, wo die Natur bewusst sich selbst überlassen wird: Hier bringen Wurzeln alter Bäume ebenso alte Grabsteine in Schieflage, und es ist so schattig, dass große Farne sich ausbreiten.
Der Friedhof zeugt von der (Stadt)Geschichte - auch mit seinen Ehrenhainen für die Gefallenen der beiden Weltkriege, der alten Kapelle und dem Gedenkgarten mit Grabstätten bekannter Persönlichkeiten, darunter die Ordensschwester Bonita Degenhard, der Musikpädagoge Karl Walter und die Ehrenbürger Joseph Kehrein und Philipp Gehling. Den immer steileren Hang hinunter geht es in die neuere Zeit; zum letzten Mal wurde der Friedhof in den 90er Jahren erweitert. Ganz unten im Tal soll die jüngste Idee umgesetzt werden: die Bestattung unter Bäumen bietet Angehörigen die Möglichkeit, ihre Toten natur- und trotzdem stadtnah beizusetzen.
Markus Kuch bleibt offen für Anregungen: „Wir schauen über den Tellerrand und entwickeln den Friedhof weiter. Patienten, Besucher und Mitarbeiter des Krankenhauses gleich gegenüber könnten hier spazieren gehen. Die alte Friedhofskapelle wäre ein schöner Platz für Lesungen und Konzerte. Und was spricht dagegen, dass ein Wanderweg von der Stadt ins Gelbachtal über den Friedhof führt?“
Auch Gabi Wieland ist überzeugt, dass solche Gedankenspiele in die Tat umgesetzt werden können: „Der Friedhof gehört zu unserer Stadt. Ich wünsche mir, dass er stärker wahrgenommen und als Ort angenommen wird, an dem sich Menschen erholen und miteinander sprechen. Vielleicht gibt es hier eines Tages sogar ein Café…“ (PM)
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