Wie das Grundgesetz das gute Miteinander von Kirche und Staat regelt
Sie gehört zu den umstrittensten Stellen des Neuen Testaments: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat.“ Ruft der Apostel Paulus die Christen hier zum blinden Gehorsam gegenüber der Staatsmacht auf? Eher nicht, glaubt Pfarrer Dr. Axel Wengenroth. Der Dekan des Evangelischen Dekanats Westerwalds versteht diese Passage aus dem Römerbrief sogar als Leitlinie, wie ein gesundes Miteinander von Kirche und Staat funktionieren kann. In Deutschland ist dieses Verhältnis im Grundgesetz geregelt – und das schon seit 70 Jahren. Aus diesem Anlass hat das Dekanat nun zu einer Aktionsreihe eingeladen, die mit dem gut besuchten Gottesdienst in der Westerburger Schlosskirche und Wengenroths Predigt ihren Abschluss fand.
Westerburg. Eröffnet vom virtuosen Spiel des Organisten Mathias Donath, blickt zunächst der Westerburger Pfarrer Eckehard Brandt auf die Geschichte des Grundgesetzes zurück. Anhand historischer Fotos schildert er, wie die westlichen Alliierten nach dem Krieg das Ziel verfolgten, einen demokratischen Staat mit stabiler Verfassung zu gründen. Am 23. Mai 1949 war es nach monatelangen Beratungen schließlich so weit: Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland war geboren. In ihm wurde nicht nur die Würde des Menschen als unantastbares Gut festgelegt, sondern unter anderem die Gleichberechtigung von Mann und Frau verbürgt. „Außerdem nimmt die Präambel Bezug auf Gott. Damit wird anerkannt, dass es jemandem über uns gibt, dem wir Menschen Rechenschaft schuldig sind“, erläutert Pfarrer Brandt.
Seitdem ist das Grundgesetz nicht nur das Fundament eines guten, stabilen Miteinanders, sondern ein ausgesprochenes Erfolgsmodell, findet der Pfarrer: „Obwohl es ursprünglich nur als eine Übergangslösung gedacht war, wurde das Grundgesetz ein regelrechter Exportschlager und hat weltweit andere Verfassungen inspiriert.“
Doch es gibt eben auch diejenigen Nationen, in denen die Würde und Freiheit des Einzelnen durchaus antastbar ist. Und wenn sich Obrigkeiten gar noch auf das besagte Pauluszitat berufen, um das Volk klein zu halten, werden biblische Aussagen gründlich missverstanden oder gar missbraucht, unterstreicht Dekan Wengenroth während seiner anschließenden Predigt. „Eine Bibelstelle wie diese ist für Demokraten nur schwer zu ertragen. Dabei meint Paulus gar nicht die bedingungslose Unterwerfung gegenüber der Staatsmacht. Er fordert uns auf, demjenigen das zu geben, was ihm gebührt und bezieht sich auf eine ähnliche Aussage Jesu: dem Staat die Steuern, Gott jedoch die Ehre.“ Wengenroth betont, dass nicht nur die Bürger, sondern auch der Staat Pflichten hat: „Er hat für Frieden und Freiheit zu sorgen. Er herrscht über den Leib, nicht über die Seele und den Verstand. Diese Aufgabe kommt Gott zu. Übernimmt der Staat diese Aufgabe, verliert er jedes Maß und wird totalitär. Er hat dafür zu sorgen, dass die Kirchen und Religionsgemeinschaften diese Verantwortung rechtssicher und in Freiheit ausüben können.“
Dann stellt Wengenroth die Frage, wer in einer Demokratie denn die Obrigkeit ist. „Das ist doch das Volk! Gehorsam gegenüber der Obrigkeit heißt für uns also, dass wir uns zum Wohle des Volkes engagieren. Wir als Christen sind dazu aufgerufen, ,der Stadt Bestes’ zu suchen – im sozialen Engagement, politischen Diskurs und im Gebet für die Volksvertreter. Das Grundgesetz ermöglicht es in vorbildlicher Weise, dass sowohl der Staat als auch die Kirche ihre jeweiligen Aufgaben erfüllen können“, fasst der Dekan zusammen.
Mit dem Gottesdienst, durch dessen Liturgie Pfarrerin Sabine Jungbluth geleitet hat, endet die Aktionsreihe „Unser Grundgesetz – 70 Jahre unantastbar“. Zuvor hatte das Dekanat zu einem Vortrag mit dem Theologen Dr. Martin Schuck und zu einem Filmabend über eine Mutter des Grundgesetzes, Elisabeth Selbert, eingeladen. (bon)
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