Fremde Welten entdecken – unter unseren Füßen
Neue Entdeckungen und echte Abenteuer findet man heute nur selten. Doch es gibt noch neues Terrain zu erkunden: Das beweisen Oliver Heil und Julius Krause. Die beiden Höhlenforscher erläuterten und zeigten mittels Bildern und Filmen (sogar Drohnenaufnahmen) spektakuläre Entdeckungen der Speläologischen Arbeitsgemeinschaft Hessen e.V. (kurz: SAH) im Tertiärum des Stöffel-Park in Enspel.
Enspel. 1993/94 gelang den Höhlenforschern des Vereins eine Sensation: Die Entdeckung eines Höhlensystems, das sie „Herbstlabyrinth-Adventhöhlen“ nannten. Es liegt zwischen den Wäller Ortschaften Erdbach und Breitscheid, tief unter der Oberfläche.
Denn hier befindet sich eine Besonderheit: ein Karstgebiet. Diese „Kalklinse“ ist Karbonatgestein aus dem Erdzeitalter Devon – rund 380 Millionen Jahre alt. Daher wird im nahegelegenen Steinbruch nicht etwa Basalt, sondern Kalkstein abgebaut.
Dieses Gestein kann schon durch schwache Säuren aufgelöst werden – Regenwasser und CO2 aus dem Boden reicht dazu aus, um über Spalten die Unterwelt zu erschaffen. Wenn also wie hier in Breitscheid ein Bach plötzlich verschwindet, um dann nach 1,3 Kilometern in Erdbach wieder aufzutauchen, ist das ein Hinweis auf ein Karstgebiet mit Höhlen. Die sogenannten Steinkammern wurden bereits zur Frühzeit der Menschen als Grabstätte genutzt. Man wusste schon seit Langem, dass dieses Gebiet bei Breitscheid anders beschaffen ist als die Basaltgründe ringsum.
Früher haben Sagen dafür Erklärungen geliefert: Zwerge hätten den undankbaren Dorfbewohnern das Wasser abgegraben. Heute, nicht zuletzt dank der SAH, gibt es die richtigen Antworten auf diverse Fragestellungen (und die Ahnen der Breitscheider sind rehabilitiert).
Ziel der ehrenamtlichen Arbeit der Speläologen (Höhlenforscher) der SAH ist der Schutz und die Erforschung des örtlichen Karstgebirges. Dazu gehört auch die Vermessung der von ihnen aufgefundenen Höhlen. Es ist eine Mammutaufgabe, die Gänge, Winkel und Ecken in der konstant 9 Grad temperierten Höhle zu vermessen. Und das Breitscheid-Erdbacher Höhlensystem ist stattliche 12,8 Kilometer lang – und somit eines der größten Höhlensysteme Deutschlands.
Geschickt und locker erklärten die beiden Referenten das sehr komplexe Thema. Und die Zuschauer kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Julius (21) kommt „von der Fuchskaute“ und ist dem Hobby verschrieben. Er erzählte informativ und leidenschaftlich – und zwischendurch auch im schönsten Platt darüber. „Hauptsache runter“ ist seine Devise, seit er 15 Jahre alt ist. Und nur so geht es: Höhlenforschung wird nicht an der Uni angeboten und ist kein Ausbildungsjob, man muss sie sich selbst aneignen, normalerweise im Verein, und auch selbst finanzieren.
So sympathisch und mitreißend die Referenten waren, so überwältigend waren auch ihre Bilder. Höhlenräume mit den herrlichsten Kristallen, Stalagtiten und –miten in großer Anzahl. Teilweise sehen die Versinterungen in bis zu 100 Metern Tiefe aus wie schneebedeckte Landschaften. Die skurrilen und bizarren Gesteinsformen scheinen einer Märchenwelt entsprungen.
Und der Vortrag machte deutlich, dass der Weg zu solchen Entdeckungen nicht nur langwierig, zeitaufwändig und vorbereitungsintensiv ist. Mit viel Ausdauer und Mut winden sich die Forscher durch Felsspalten, seilen sich über 100 Meter tief hinab, waten und robben stundenlang durch den Schlamm – nur erhellt durch ihre Helmlampen – oder tauchen fast ohne Sicht durch enge unterirdische Kanäle.
Diese Höhlen sind wissenschaftlich höchst interessant und von einmaliger Schönheit in Abermillionen Jahren entstanden. Sie sind Teil eines sensiblen Ökosystems und dienen dem Trinkwasserschutz. Und darüber hinaus wurden sogar urzeitliche Tierfunde gemacht: Höhlenbären und Wollnashorn waren zur Urzeit Westerwälder. Heute ist das Höhlensystem ein Lebensraum für mehr als 70 Tierarten: Springschwänze, Höhlenflohkrebs, Fledermäuse, Höhlenspinnen ... Nur wenige Biologen befassen sich allerdings mit diesem Thema. (Weitere allgemeine Infos dazu: www.hoehlentier.de), obwohl es in Deutschlands Untergrund mehr als 3.000 Tierarten gibt.
Neuentdeckungen sind in Deutschland eher selten, kommen bei der SAH aber öfter vor. Regelmäßig sind daher auch internationale Forscher zu Gast. 2020 findet in Breitscheid das nationale Höhlenforschertreffen statt.
Selbst die NASA hat ein Auge auf Breitscheid gerichtet und entsandte zwei Wissenschaftlerinnen. „Sie fanden hier eine weltweit einzigartige Bakterienform, die sogenannten Poolfinger“, berichtet Oliver Heil. „Auf dem Mond und dem Mars gibt es Höhlen, und wenn es dort Leben gibt, dann vermutlich in Form von vielleicht ähnlichen Mikroben wie auf der Erde“, fügt er hinzu.
Seine Frage „Wo kann man noch etwas entdecken auf der Welt?“ beantwortet Julius Krause mit der Feststellung: „In der Höhle gibt es Zonen, da waren bislang nur vier Menschen. Selbst auf dem Mond waren schon mehr.“
Da bleibt nur „Glück tief“ zu wünschen für die kommenden Erforschungen.
• Lesetipp: Gut aufbereitet, verständlich und schön bebildert ist die Publikation
„Das Herbstlabyrinth und der Karst in Breitscheid im Westerwald“. Erhältlich per E-
Mail unter vorstand@sah-breitscheid.de
• Spendentipp: Finanzielle Unterstützung kann der eingetragene Verein, der aus reinen
ehrenamtlichen Höhlenforschern besteht, immer gebrauchen.
• Besuchertipp: Sehen Sie sich die Schauhöhle in Breitscheid an. Voranmeldung ist
aufgrund des großen Interesses nötig: Tickethotline 0231 917 2290, Internet:
schauhöhle-breitscheid.de.
• Kontakt und weitere Publikationen über das Internet: https://sah-breitscheid.de/ (Tatjana Steindorf)
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