Beeindruckende Gedenkfeier zur Reichspogromnacht in Selters
Auch in diesem Jahr gedachte Selters in einer bewegenden Feier den Opfern der Reichspogromnacht vom 8. November 1938. Die stille Feier wurde von den Schülerinnen und Schülern der IGS Selters unter der Leitung ihrer Lehrerin Katharina Kulbatzki gestaltet. Die Schüler/innen schrieben vorher auf 70 Kerzen die Namen von 70 Menschen aus Selters, die 1938 aus Selters vertrieben wurden, 38 Menschen aus Selters wurden ermordet.
Selters. In bewegenden Szenen stellten die Schüler/innen die menschenverachtende Grausamkeit dar, mit der die jüdischen Mitbürger in Selters und in ganz Deutschland behandelt wurden. Sie wurden bepöbelt, geschlagen, beleidigt, getreten und bespuckt. Mit szenisch gestalteten Standbildern versuchten die Schüler/innen die damaligen Situationen nachzustellen, und an das unfassbar Geschehene zu erinnern. Ein Opfer schrie in seiner Verzweiflung „Warum hilft mir keiner?“ Die Szenen wirkten in ihrer Intensität absolut authentisch und hinterließen bei den Besuchern der Gedenkfeier einen tiefen Eindruck.
Die Gedenkfeier eröffnete Anja Göbel mit dem Lied „Don-aj, Don-aj“, welches aus dem Warschauer Ghetto stammt. In der letzten Strophe des beeindruckenden Liedes heißt es: „Arme Kälbchen darf man binden und man verschleppt und schlachtet sie. Wer Flügel hat, fliegt in die Höhe und ist bei niemand ein Knecht.“
„Können wir uns, trotz des Erinnerns an die damaligen Ereignisse, einen guten Abend wünschen?“ Mit dieser Frage begrüßte Stadtbürgermeister Rolf Jung die Besucher der Gedenkfeier. Weiter führte Jung aus: „Das Ja kam sicherlich nicht aus einem unbeschwerten Herzen, jedoch mit dem Wissen, dass wir heute in Frieden leben.“
Sodann begaben sich die Besucher in eindrucksvoller Stille zu zwei Häusern, in denen damals jüdische Mitbürger wohnten, die deportiert wurden. Diese zwei Häuser wurden stellvertretend für alle Juden aufgesucht, die damals in Selters lebten. In der Bahnhofstraße 18 wurden vier Kerzen neben den dort im Bürgersteig eingelassenen Stolpersteinen aufgestellt, um an Julius Lichtenstein zu erinnern, der am 25. Oktober 1944 in Auschwitz ermordet wurde, sowie an Fritz und Paul Lichtenstein, und Frieda Schönmann, die in die USA fliehen konnten, bevor sie deportiert wurden. Karl Julius Sonnenberg wurde am 4. Mai 1945 in Bergen-Belsen ermordet, seiner wurde in der Rheinstraße 41 gedacht, dort wurde eine Kerze aufgestellt.
Nach der Rückkehr zum Marktplatz hatten die Schüler/innen das Wort. Sie stellten sich und den Besuchern die Frage „Was macht mein Leben reicher?“ Anschließend gaben sie diese Frage, die auf einem roten Zettel geschrieben war, an alle Anwesenden weiter. Dann brachte Diakon Dieter Wittemann die unfassbaren Verbrechen in einem Gebet zum Ausdruck, welches mit den Worten „Bewahre in mir ihr Gedenken, bewahre in mir meine Scham, Gott, sei mir gnädig.“ Anschließend wurde das gemeinsame „Vater unser“ gebetet, das Pfarrer Michael Schweitzer noch einmal in der Muttersprache Jusu, auf Aramäisch, wiederholte. Die Gedenkfeier schloss mit dem Segen „Birkat Kohanim“, der seit über 3.000 Jahren in Synagogen und häuslichen Feiern der Juden gesprochen wird. Pfarrer Schweitzer sang diesen Segen auf Hebräisch und sprach ihn dann in Deutsch.
In großer Stille standen die Besucher noch lange zusammen, um das soeben Erlebte und Gehörte zu verinnerlichen. Nach 81 Jahren war spürbar, wie die damaligen Verbrechen auch heute noch die Herzen berühren. wear
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