„POP“ wählen: Partei ohne Partei mit Mathias Tretter
Von Helmi Tischler-Venter
Weil politisches Kabarett 75 Jahre nach Auschwitz wichtiger denn je ist, engagiert die Kleinkunstbühne Mons Tabor jährlich einmal am Gelbach die Großen ihres Fachs. Am 25. und 26. Januar war das eine besondere Kabarettgröße: Mathias Tretter, zum letzten Mal mit seinem Programm „Pop“. Wie gut der Mann ist, zeigten zwei völlig ausverkaufte Vorstellungen und die weite Anreise zweier Münchener, die das Programm unbedingt noch erleben wollten. Ein Erlebnis war es tatsächlich, weil jedes Wort bedeutsam und jeder Satz eine skurrile Erleuchtung war.
Montabaur-Ettersdorf. Warum benutzt ein Mann Lippenstift? Um von der Tatsache abzulenken, dass er eine Sehhilfe benötigt. Weil Tretters Feinmotorik nicht mit Kontaktlinsen kompatibel ist, muss es die Brille sein, Viagra im Gesicht. Man ist immer noch Mann. Warum nicht Make-up? Es rasieren sich heute doch auch alle überall! Haare sind eklig, weil wir vom Affen abstammen und nicht vom I-Phone.
Mit seinem fränkischen Freund Ansgar pflegt Tretter das „Windowing“: analoges Chatten am Inter-Face zwischen privatem und öffentlichem Raum, im Fenster gegenüber dem Büdchen, eine Beschäftigung, die vornehmlich von Rentnern und Rentnerinnen im Erdgeschoss mit Daunenkissen auf dem Fenstersims ausgeübt wird. „Wir verblöden vor der Realität mit DDD – Doppelripp, Daunenkissen, Dosenbier.“
Ansgar ist promovierter Philosoph, der wieder einen Job an der Uni hat. Als Hausmeister oder „Caretaker“. Wegen des Lippenstifts diffamiert er Tretter als Polibido-Kabarettisten und post-post-modernen Spießer.
Ansgar hat eine Exit-Strategie aus seinem Drogenkonsum: Er will in die Politik gehen und dazu eine populistische Partei rechts von der AfD und links von den Grünen gründen. Sie soll radikal gegen Islam, antichristlich und judenskeptisch sein. Die finanzielle Wahlkampfhilfe kommt demnächst aus Moskau. Ein riesiges Wählerpotential sieht er in der zunehmenden Zahl der Atheisten, die er in die warme Gemeinschaft der Gottlosen holen will. Name der Partei: Pop – Partei ohne Partei, Politik ohne Politikgetue, progressiver Populismus – ein „Pompenprojekt“! Eine Partei der politischen Amateure, schließlich wurde ins höchste Amt der Welt ein Amateur gewählt aus Hass auf die Profis. Die Evolution dreht sich zurück.
Den Dialog mit dem Freund performte der Würzburger mit leichter Körperdrehung, zwei verschiedenen Stimmlagen und fränkischem Dialekt für Ansgar. Populisten sind Linguisten: „Wir sind die Einzigen, die die Sprache des Volkes sprechen“, meint Ansgar. Gibt es einen geheimen Studiengang „Völkisch“? Werden die Medien von „ganz oben“ gesteuert? Fast die Hälfte der Bevölkerung ist dieser Überzeugung, das können nicht nur Ostdeutsche sein. Gibt es ein Politbüro, das jeden Tag vorschreibt, was abgeschrieben werden muss? Sitzt dort Angela Merkel im Kleopatra-Kostüm mit Lyra-Raute? Gibt es die Zeitungen unterschiedlicher politischer Provenienz nur zum Vertuschen der Zentralsteuerung?
Mathias Tretter beharrt darauf, kein Kreativer zu sein, sondern Künstler, das sei das Gegenteil von einem Kreativen. Der Kreative ist Sklave des Zwecks, willenlose Hure der Kulturindustrie. Der Künstler soll sein Programm bei der Parteigründung bringen. In der Paulskirche. – In Lautenstadt an der Gollach.
Tatsächlich habe er Ansgars Gründungsparty moderiert mit der spannenden Antrittsrede des Vorsitzenden zum Thema Sicherheit, die sich auf Anschläge mit christlichem Hintergrund bezog, die Ehe. Das beste Mittel gegen Terror sei der Atheismus, der noch nie religiös motivierte Anschläge verursacht habe. Alle sollen glauben an ein Leben vor dem Tod. Ansgar analysierte: „Wir haben genügend Sicherheitskräfte, wir müssen sie nur aktivieren: Schützenvereine! Die sind bestens ausgestattet, personalstark und Amateure.“ Die Bundeswehr hat dann Zeit für Brauchtumspflege.
Die Zukunft ist eingetütet: Google arbeitet an der Unsterblichkeit mit dem Ziel, dass dem optimierten Menschen totale Freiheit gewährt wird durch 95 Prozent Arbeitslosigkeit und 30 Tage Urlaub im Monat. Damit könnte kein Mensch umgehen. Man braucht den Tod nicht, um in die Hölle zu kommen. Glaube, Liebe, Hoffnung: Wen lieben und was hoffen, wenn man unsterblich ist? Fazit: „Der Sinn des Lebens ist der Tod. Ohne den wird alles irgendwann langweilig.“ Hallelujah! Trotz heftigen Beifalls gab Matthias Tretter keine Zugabe, weil mir keine Steigerung nach dem kyrillischen Choral eingefallen ist.“
Freuen können sich Kabarettfreunde bereits auf die folgenden Veranstaltungen der Kleinkunstbühne: Die „Westerwälder Kabarettnacht“ am 20. und 21. März in der Oberelberter Stelzenbachhalle mit „HG. Butzko“ und „Schwarze Grütze“ sowie die Konzertreihe „Musik in alten Dorfkirchen“ mit fünf Konzerten zwischen Mai und Oktober.
Ein Höhepunkt in 2020 wird sicher das dann schon 30. Westerwälder Kleinkunstfestival „Folk & Fools“ im November in Montabaur. htv
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