Wie sieht die aktuelle Situation in Pflege- und Seniorenheimen aus?
Von Wolfgang Tischler
INTERVIEW | Auch in unserer Region steigen die offiziell gemeldeten Fallzahlen des neuartigen Coronavirus täglich weiter an. Bund und Länder haben ein umfangreiches Kontaktverbot für Seniorenheime erlassen. Welche Auswirkungen hat dies auf die Bewohner und Pflegekräfte?
Region. Ein kompetenter Gesprächspartner ist der Landtagsabgeordnete Sven Lefkowitz, der bis Mitte letzten Jahres die Senioren-Residenz Sankt Antonius in Linz/Rhein geleitet hat und in Mainz unter anderem ordentliches Mitglied im Ausschuss für Soziales und Arbeit ist.
Sven, was hat dich bewogen in der jetzigen Situation bei deinem alten Arbeitgeber auszuhelfen?
Sven Lefkowitz: Bei mir waren, wie bei vielen Mitmenschen, Termine weggefallen und ich habe überlegt, wie ich diese gewonnene Zeit sinnvoll nutzen kann. Also machte ich ein Angebot dort, wo ich mich gut auskenne, in der Pflege. Da ich von meiner ehemaligen Stelle in Linz im Guten gewechselt habe, war ich in Linz zur Aushilfe willkommen. Bislang habe ich dort fünf Tage in der Verwaltung und drei Tage in der Pflege gearbeitet. Es war für mich auch interessante Erfahrung, wieder als normaler Mitarbeiter und nicht als Vorgesetzter zu arbeiten.
Wie nehmen die Bewohner des Heimes die Kontaktsperren auf und wie gehen sie damit um?
Sven Lefkowitz: Die Kontaktsperren waren richtig und wichtig, denn es gab einige Angehörige, die es nicht verstehen wollten und sich nicht an die Regeln hielten. Hier hatte ich aus verschiedenen Einrichtungen im Kreis entsprechende Meldungen erhalten. Die Bewohner empfinden es ganz unterschiedlich, je nach Grad der Orientierung. Die Beschäftigten und besonders die Betreuungsmitarbeiter müssen nun für Abwechslung sorgen, was bislang zum Teil die Angehörigen gemacht haben. Auch innerhalb der Pflegeeinrichtungen gibt es nun für Mitarbeiter und Bewohner eine konsequente Trennung nach Wohnbereichen. Diese neue Situation fordert alle Beteiligten. Die Bewohner haben für die außergewöhnliche Situation viel Verständnis.
Welche besonderen Herausforderungen hat das Personal in der Krise?
Sven Lefkowitz: Es ist die derzeitige Unsicherheit, ob und wann der Virus auf die Einrichtung übergreift. Ein bestimmendes Thema ist die Schutzausrüstung. Ist genug Material vorhanden, bekommen wir rechtzeitig Nachschub? Hinzu kommt, dass derzeit eine große Anzahl von Fake News die Runde macht, die aus nicht seriösen Quellen kommen und zur Verunsicherung des Personals beitragen. Mit einem Satz zusammengefasst: Es ist wie die Ruhe vor dem Sturm.
Wie halten die Angehörigen noch Kontakt?
Sven Lefkowitz: Vorab muss ich sagen, dass die Angehörigen sich in Linz vorbildlich verhalten. In der jetzigen schweren Zeit ist die Digitalisierung auch für unsere älteren Mitmenschen ein Segen. Mit Unterstützung der Betreuungsmitarbeiter gibt es Videotelefonie oder Bildkontakt über Tablets. Kleine Videos werden geschickt. Es gibt Mails von Angehörigen, die ankommen und den Bewohnern vorgelesen oder für sie ausgedruckt werden. Da ist ja auch noch der klassische Brief, mit dem dann auch Fotos und selbst gemalte Bilder von Enkeln ankommen. Das Schöne ist, nicht nur Verwandte und Bekannte schreiben, nein, es kommen auch Briefe von wildfremden Menschen, die Mut machen wollen. Es ist schwierig, aber die Kreativität überwindet die Grenzen.
Wenn du einen Wunsch in der jetzigen Situation äußern könntest, wie würde er lauten?
Sven Lefkowitz: Gemeinsam durchhalten, solange es notwendig ist. Nicht, dass wir durch zu schnelle Lockerungen einen neuen stärkeren Krankheitsausbruch haben und alles Bisherige umsonst war. Also das soziale und wirtschaftliche Leben sehr kontrolliert wieder anfahren. Mein innigster Wunsch ist, dass die Pandemie aus den Einrichtungen fernbleibt.
Sven wir danken dir für das Telefongespräch.
Das Gespräch wurde von Wolfgang Tischler geführt.
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