Kleinster Herzschrittmacher der Welt erstmals im St. Vincenz implantiert
Premiere in der Kardiologie des Limburger St. Vincenz-Krankenhauses: Erstmals wurde dort einer Patientin der kleinste Herzschrittmacher der Welt implantiert. „Auch wenn wir insgesamt in Zeiten des Corona-Virus die Anzahl an Operationen reduzieren, um Kapazitäten für Covid-19 Patienten zu schaffen, findet die Behandlung kardiologischer Notfälle selbstverständlich weiterhin statt“, so Prof. Dr. Stephan Steiner, Chefarzt der Kardiologie am St. Vincenz.
Limburg. „Ich freue mich sehr, dass Dr. Andreas Klisch, leitender Oberarzt der Kardiologie, einem dieser Notfälle, einer 79-jährigen Patientin mit Bradykardie (einem sehr langsamen Herzschlag), nun das erste kabellose Schrittmachersystem erfolgreich implantieren konnte.“ Die sog. Kardiokapsel (Medtronic Micra® Transcatheter Pacing System (TPS)) ist im Gegensatz zum klassischen Herzschrittmacher, der in etwa die Größe einer Streichholzschachtel hat, lediglich so groß wie eine Vitamintablette. Dies ermöglicht es, dass die Kardiokapsel minimalinvasiv unmittelbar ins Herz geführt werden kann – folglich werden keine sichtbaren Narben oder eine Ausbuchtung im Brustbereich hinterlassen.
Während einer 30- bis 45-minütigen Operation wird die Kardiokapsel bei örtlicher Betäubung über einen Katheter über die Leistenvene in die rechte Herzkammer geschoben. Sobald das kleine Gerät positioniert ist, wird die Kapsel mittels sogenannter Nitinol-Ärmchen nahe der Herzspitze im Muskelgewebe verankert. Von dort gibt sie über einen Pol elektrische Impulse direkt an die Herzspitze ab. So solle dafür gesorgt werden, dass sich das gesamte Herz erregt werde und zusammenziehe, erklärt Prof. Dr. Steiner. Bei Bedarf könne die Kapsel während des Eingriffs umpositioniert oder entfernt werden.
Herkömmliche Schrittmacher werden in einer Gewebetasche unterhalb des Schlüsselbeins implantiert. Von dort aus führen spaghettilange Drähte („Elektroden“) zum Herzen, die es elektrisch stimulieren. Diese Drähte gelten häufig als Schwachstelle des herkömmlichen Schrittmachers, da sie dauerhaft der Bewegung des Herzen ausgesetzt sind und Bakterien potenziell einen Zugang ermöglichen können, wodurch eine Herzklappenentzündungen verursacht werden kann. Die Kardiokapsel ist das erste kabellose Schrittmachersystem. Sie trägt eine Batterie, einen Herzmesser und einen Taktgeber in sich und kann dadurch auf Drähte verzichten. Ein weiterer Vorteil des kleinsten Herzschrittmachers der Welt besteht darin, dass Patienten, denen die Kapsel implantiert worden ist, weiterhin MRT-Untersuchungen aller Körperregionen durchführen lassen können. Mit älteren Schrittmachermodellen sind solche Untersuchungen nicht möglich, da durch das Strahlungsfeld, das bei einer MRT entsteht, die metallenen Elektroden des Schrittmachers erhitzt werden.
In den letzten Jahren hat die Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Internistische Intensivmedizin unter Chefarzt Prof. Dr. St. Steiner) ihr Leistungsspektrum bezüglich der Implantation von Herzschrittmachern und Defibrillatoren nachhaltig ausgebaut. Darüber hinaus konnte unter Leitung von Oberarzt Dr. Andreas Klisch die Elektrophysiologie (Behandlung von Herzrhythmusstörungen mittels Kathetertechniken) als einer der Behandlungsschwerpunkte etabliert und kontinuierlich fortentwickelt werden. Insgesamt stehen am St. Vincenz folgende Verfahren für die kardiologische Diagnostik zur Verfügung:
• Echokardiographie (Herzultraschall, mit dem sich die Herzgröße, die Bewegung des Herzmuskels und die Pumpfunktion sowie eventuelle Herzklappenprobleme darstellen lassen)
• Belastungs-Echokardiographie
• Transösophageales Echokardiographie (Ultraschall-Untersuchung des Herzens, bei der die Ultraschallsonde über die Speiseröhre (Ösophagus) bis auf Herzhöhe vorgeschoben wird. Die Untersuchung wird auch Schluckecho genannt. Verschiedene Herzerkrankungen lassen sich damit besser erkennen als mit einer normalen Echokardiographie, bei welcher der Schall durch den Brustkorb gedämpft wird.
• Nuklearmedizinische Szintigraphie (eine schwach radioaktive Markersubstanz wird in die Vene injiziert, reichert sich u.a. in den Herzkranzgefäßen an und gibt Auskunft über eventuelle Gefäßverengungen (Stenosen) in den Herzkranzgefäßen.
• Kardiale Computertomographie-Untersuchungen zur Beurteilung der Herzkranzgefäße und der koronaren „Kalklast“
• Kardiale Magnetresonanztherapie (MRT-Untersuchungen beispielsweise bei Herzmuskelentzündungen oder Speicherkrankheiten
• Herzkatheter-Untersuchungen (arterielle Untersuchungen des Herzens mit Röntgenkontrastmittel).
• Elektrophysiologie unter Leitung von Dr. Andreas Klisch: moderne Diagnostik und Therapie von Herzrhythmusstörungen unter Nutzung 3- D- Technik.
Neue OP-Methode in der Vincenz-Kardiologie: das Interview zum Thema mit Dr. Andreas Klisch
Dr. Klisch, Sie sind im St. Vincenz-Krankenhaus der Pionier für die Implantation des kleinsten Herzschrittmachers der Welt. Wie hat sich für Sie der Moment angefühlt, als Sie die kleine Kapsel, in das Herz der Patientin implantiert haben?
Dr. Klisch: Ich bin sehr beeindruckt von diesem medizinischen Fortschritt. In nur etwa 30 Minuten kann die Kardiokapsel direkt im Herzen der Patientin verankert werden und die dabei zu erwartenden Komplikationen sind sehr gering. Ich bin überaus froh, dass wir diese Methode nun auch im St. Vincenz anbieten können.
Worin liegt der Vorteil der Kardiokapsel gegenüber herkömmlichen Schrittmachern?
Dr. Klisch: Das Risiko für Infektionen ist bei der Kardiokapsel im Vergleich zu herkömmlichen Herzschrittmachern extrem gering. Das liegt daran, dass bei traditionellen Schrittmachern Elektroden (Drähte) zum Herzen führen, die ein gewisses Potenzial für Entzündungen bergen. Die Kardiokapsel dagegen wird direkt im Herzen platziert und kommt somit ohne Elektroden aus. Außerdem besteht während der Implantation herkömmlicher Schrittmacher ein gewisses Risiko für eine Lungenverletzung (Pneumothorax) – dieses liegt bei etwa ein bis zwei Prozent. Beim „Micra“ (Medtronic Micra® Transcatheter Pacing System) liegt das Risiko einer Lungenverletzung bei null Prozent, da die Kapsel über die Leiste eingeführt wird.
Ist diese Form der Behandlung für jeden Patienten mit Bradykardie sinnvoll?
Dr. Klisch: Aktuell sollte der „Micra“ nur bei Patienten mit Vorhofflimmern implantiert werden. Die nächste Generation der Kardiokapsel kann dann auch bei Patienten mit Sinusrhythmus eingesetzt werden. Eigentlich war die Markteinführung dieses Modells für Mai 2020 geplant. Wegen der Coronakrise rechnen wir allerdings frühestens Anfang Herbst mit der Verfügbarkeit dieser neuen Generation.
Mit herkömmlichen Herzschrittmachern sind einige medizinische Verfahren, wie etwa eine MRT-Untersuchung nicht möglich. Wie sieht dies in Bezug auf die Kardiokapsel aus?
Dr. Klisch: Mit der Kardiokapsel kann eigentlich jede MRT-Untersuchung durchgeführt werden.
Wie hoch sind in etwa die Kosten für die Kardiokapsel? Ist die Kapsel eine Kassenleistung?
Dr. Klisch: Die Kardiokapsel kostet derzeit etwas mehr als 7.000 Euro. Zur Frage nach der Kassenleistung: Wenn wir die Indikation, also die medizinische Begründung, für den Einsatz der Kardiokapsel sehen, werden die Kosten von der Krankenkasse übernommen. Begründet werden kann der Eingriff vor allem bei schwachen Patienten mit erhöhtem Infektionsrisiko, wie z.B. Dialysepatienten oder auch bei Patienten mit generell erhöhtem OP-Risiko. Insgesamt müssen sich die Patienten wegen der Finanzierung keine Sorgen machen. Es wird keinen Fall geben, in dem der Patient mit Kosten rechnen muss.
Nach Angaben des Herstellers hat die Batterie des Schrittmachers eine Lebensdauer von circa zehn Jahren. Was passiert danach?
Dr. Klisch: Da die Kardiokapsel so ein geringes Volumen hat, können ohne Probleme noch zwei weitere Kapseln direkt ins Herz implantiert werden. Sollte für den Patienten im Verlauf des Lebens eine andere Art eines Herzschrittmachers notwendig werden, kann dieser problemlos unter die Haut nahe des Schlüsselbeins implantiert werden und die Elektroden werden dann von dort ins Herz geführt.
Vielen Dank für das Interview und Ihre Zeit! (PM)
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