Pfarrer bleibt auch im Ruhestand ein Brückenbauer
Am 4. Advent 2019 feiert Peter Boucsein-Kuhl in der Rückerother St.-Pankratius-Kirche einen Gottesdienst, bei dem er Gott noch einmal besonders intensiv spürt: Der Rückerother Pfarrer erlebt, wie Menschen über Konfessionsgrenzen hinweg gemeinsam Lobpreislieder singen und beten. Heute nennt er diesen Gottesdienst einen Höhepunkt – ein Abend, der vieles von dem vereint, was ihm am Glauben wichtig war und ist. Auch noch mit 65 Jahren, am Ende seiner Dienstzeit.
Rückeroth. „Mein Wunsch ist, Christen aller Richtungen an einen Tisch zu holen. Das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben“, sagt der Pfarrer. In Washington D. C. engagiert er sich ab 1982 als frisch ordinierter Pastor im ökumenischen Verbund unter anderem für obdachlose Frauen. Dann kommt er 1983 nach Montabaur und pflegt von Anfang an den Kontakt zu den katholischen Geistlichen. Die Zeit in der Kreisstadt prägt ihn, und er prägt als Pfarrer die Gemeinde. Während dieser Jahre entstehen nicht nur viele Hauskreise, sondern auch neue Gottesdienstformen und kirchliche Vereine. Kurz: Mit Peter Boucsein wächst die Montabaurer Gemeinde und fängt nochmal richtig Feuer. Mitte der 1990er-Jahre breitet es sich im Westerwald aus: Er gehört zu den Gründungsmitgliedern des missionarischen Church-Planting-Projekts „Andreasgemeinde Herschbach“.
26 Jahre lang ist Boucsein in Montabaur tätig. Nur wenige Pfarrer sind so lange auf einer Stelle. „Ich war mit der Gemeinde verheiratet. Heute würde ich meine Prioritäten anders setzen“, sagt Boucsein-Kuhl rückblickend. Denn das Arbeitspensum, zu dem auch das Engagement in der Kirchensynode gehört, kostet ihn letztlich seine Ehe.
Als sich seine Frau und er 2008 trennen, weiß er, dass es Zeit für einen Ortswechsel ist. Er geht nach Wiesbaden, ins Problemviertel „Schelmengraben“. Dort erlebt er eine völlig andere Sozialstruktur als in der Kreisstadt. Aber seiner Mission, Christen jeglicher Couleur zusammenzubringen, bleibt er auch im sozialen Brennpunkt treu. „Der Schelmengraben ist das ärmste Viertel Wiesbadens. Dort leben Menschen aus 64 Nationen. Wer soll denen denn die Tür öffnen, wenn nicht wir als christliche Gemeinde?“, sagt Boucsein und sorgt dafür, dass in seiner neuen Kirche fortan nicht nur Einheimische, sondern auch christliche Gruppen aus afrikanischen und arabischen Ländern Gottesdienste feiern.
In dieser Zeit baut Boucsein-Kuhl einmal mehr Brücken. Er wird zum Dolmetscher zwischen den Kulturen und deren Eigenheiten. „Die vielen ,russlandsdeutschen‘ Christen feiern ihre Gottesdienste eher still und ernst, während die der afrikanischen Gemeinden oft laut und emotional sind. Es war schon eine Herausforderung, zwischen diesen Frömmigkeitsstilen zu vermitteln“, sagt er lächelnd. Aber Peter Boucsein-Kuhl bekommt die Christen in Wiesbaden an einen Tisch, an den „Tisch des Herrn“, wie er sagt. „Es hat funktioniert: Wir haben immer mal wieder zusammen Gottesdienst gefeiert.“
2015 kehrt er schließlich in den Westerwald zurück und wird Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Rückeroth. Er weiß, dass es seine letzte Station ist. „So viel Kraft für Gemeindeaufbau-Arbeit wie früher hatte ich nicht mehr“, sagt er. Akzente setzt er in seinen letzten fünf Jahren trotzdem. Er ruft die „Gottesdienste mit besonderer Note“ ins Leben, in denen auch mal klassische Musik oder Volkslieder durchs Kirchenschiff oder über die Rückerother Felder schallen. Außerdem bleibt er auch im Westerwald Brückenbauer, veranstaltet etwa für die Bewohner des damaligen Notaufnahmelagers für Flüchtlinge in Herschbach ehrenamtlich Gitarrenkurse. Und schließlich reaktiviert er die Rückerother Lobpreisgottesdienste der 1990er-Jahre. Die sind fortan ökumenisch und bescheren ihm am 4. Advent 2019 jenen unvergesslichen Moment in der Rückerother Kirche.
Einen offiziellen Abschied kann er vorläufig wegen der Coronapandemie nicht feiern. Und so gibt er den Staffelstab recht geräuschlos an seinen Nachfolger Stefan Thomanek weiter, der die Gemeinde im August übernimmt. „Ich bin froh, dass ich in Rückeroth, Wiesbaden und Montabaur immer ein gutes Team und tüchtige Sekretärinnen und Küsterinnen um mich hatte – viele Menschen, die meine Macken ertragen haben und für mich in die Presche gesprungen sind“, blickt Boucsein-Kuhl zurück und meint damit besonders das Verwalten und langfristige Organisieren, das ihm bis heute nicht liegt. Peter Boucsein-Kuhl ist eben eher Zuhörer und Seelsorger; einer, der Menschen akzeptierend begegnet, statt den Stab über ihnen zu brechen. Das haben viele offenbar zu schätzen gewusst. „Ein schönes Lob ist immer, wenn die Leute zu mir sagen: ,Herr Pfarrer, mit Ihnen kann man reden!‘“
Peter Boucsein-Kuhl holt Menschen an einen Tisch und begegnet ihnen ohne Vorurteile. Nicht nur in Deutschland, sondern seit einigen Jahren auch in Afrika. Während ihrer Reisen nach Namibia haben er und seine zweite Frau Andrea Männer und Frauen kennengelernt, die zu Freunden geworden sind. Für sie und das Land will sich das Ehepaar Boucsein-Kuhl demnächst noch mehr engagieren. „Viele sagen: Gegen die Armut können wir doch nichts machen. Doch, das können wir! Deshalb will ich in der Lebenszeit, die Gott mir noch schenkt, mich für die Menschen in Namibia stark machen.“ Langweilig wird es dem Gottesmann also auch in Zukunft nicht. (bon)
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