Gespräch mit Malu Dreyer: Wie kann die Kulturszene des Westerwalds überleben?
Von Helmi Tischler-Venter
Landtagspräsident Hendrik Hering hatte Kulturschaffende und Organisatoren aus dem Westerwaldkreis am 23. August zu einer Gesprächsrunde mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer im Europahaus Bad Marienberg eingeladen. Hering betonte, er sei stolz auf das Kulturangebot des Westerwaldes. „Eine freie, offene Gesellschaft kann ohne Kultur nicht existieren“, lautet sein Credo.
Bad Marienberg. Malu Dreyer bestätigte, zu einem normalen Leben gehöre der Austausch mit der Kultur. Die Corona-Pandemie habe die Gesellschaft komplett betroffen, stärker als die Bankenkrise. Auch die neue Normalität sei immer noch sehr einschränkend, weitere Lockerungen, die eigentlich geplant waren, seien aufgrund wieder steigender Kranken-Zahlen nicht möglich. Da die Herausforderungen für Künstler und Veranstalter besonders drastisch seien, sei der Austausch total wichtig: „Ich bin interessiert daran, von Ihnen zu lernen, wie es Ihnen geht und wie es weitergehen kann, damit die Kulturszene im Land erhalten bleibt.“
Die Ministerpräsidentin nahm sich viel Zeit für das Gespräch und machte sich Notizen bei den Aussagen der selbständigen Künstler, deren Existenzgrundlage seit März weggebrochen ist. Figurentheatermacherin Petra Schuff erklärte, sie müsse an ihre Rentenersparnisse gehen, weil sie das demütigende Betteln um finanzielle Unterstützung aufgegeben habe. Dreyer zeigte sich nach Schuffs Schilderung betroffen, wie behördenseits mit Künstlern umgegangen werde. Die Unterstützung müsse reibungslos laufen.
Beate Macht, Kulturreferentin von Stadt und VG Hachenburg, bestätigte, sie bekomme das Leid und Leiden vieler Künstler mit, die nicht wissen, wie es weitergehen soll. Die Hachenburger Kulturzeit entwickelte als alternative Idee die „Picknick-Konzerte“, die freudig angenommen wurden. „Kulturzeit-Freunde“ zahlen mehr Eintritt, weitere Ideen befinden sich in der Entwicklung. In Hachenburg sei Kulturarbeit auch Bildungsarbeit und ein Beitrag zur Demokratie. Die Corona-Krise habe das Problem, dass sich kulturelle Veranstaltungen sowieso nicht tragen, durch die stark beschränkten Besucherzahlen noch verschärft. Macht warnte davor, die Gage der Künstler zu beschneiden, auch die Eintrittskarten dürften nicht teurer gemacht werden. Die Referentin verwies auch auf westerwälder Probleme: Auf dem Land sind die Menschen verkehrstechnisch sehr schlecht angebunden, die Kinder müssen immer gefahren werden, aus Angst kommen weniger Leute, Schulen und Kindergärten kommen aus Vorsicht nicht mehr zu Veranstaltungen, obwohl die Themen zum Schulstoff gehören und das Theatererlebnis für die Kinder wichtig ist. „Inwieweit trägt die Politik das mit?“, lautete ihre Frage an die Ministerpräsidentin. Deutlich wurde im Gespräch, dass die Lehrkräfte Klarheit brauchen, wie sie handeln können.
Auch für die Kino-Betreiber ist die Angst der Menschen, die sie von Kino-Besuchen fernhält, existenzbedrohend, denn die Vorschriften machen den Kino-Besuch nicht angenehm und 80 Prozent Rückgang durch Corona sei finanziell nicht länger zu stemmen. Gebraucht würden Zuschüsse, keine rückzahlbaren Kredite, für die das Eigenkapital fehle.
Martin Rudolph, Geschäftsführer des Stöffel-Parks, reagierte spontan auf Angebote und heißt Künstler auch für Ausstellungen willkommen. Der Stöffel-Park selbst hat immer auf kleine Veranstaltungen gesetzt und kann auf dem großen Gelände Corona-konforme Veranstaltungen mit wenigen Leute organisieren, aber die Künstler kommen finanziell nicht zurecht.
Dass man miteinander reden und arbeiten muss, um die Kulturarbeit weiter zu betreiben, ist auch die Meinung von Ulli Schmidt, der Kulturveranstaltungen im unteren Westerwald organisiert. Seine Kleinkunstbühne Mons Tabor ist seit Januar passiv und hat die Zeit genutzt, um in eine neue technische Ausstattung zu investieren. Die Bühne hatte dafür in den letzten Jahren Geld angespart und von den Fördertöpfen des Landes profitiert. Schmidt hat gerade für Montabaur und Umgebung ein Netzwerk gegründet. Er hat die Idee, größere Industrie-Hallen für Veranstaltungen zu nutzen und sucht dafür Kooperationspartner. Kulturarbeit müsse weitergehen, weil sie immer auch eine politische Dimension besitze und im Moment die Demokratie gefährdet sei.
Dreyer freute sich über die Kreativität, mit der in dieser Situation gearbeitet wird. Die Politikerin versprach, das Land spare nicht, weil Unterstützungsleistung überall nötig sei. Im Nachtragshaushalt sei der Rettungsschirm für Kommunen aufgespannt worden, damit diese den Gewerbesteuer-Ausfall auffangen können. Bis Ende des Jahres würden alle Kulturförderungen aufrechterhalten, ganz gleich, ob Veranstaltungen stattfänden oder nicht. Es sei im Interesse der Landesregierung, dass das Geld auch bei den Künstlern ankomme. Gage solle nicht reduziert werden. Ihre Sorge galt der Überlegung: „Was machen wir, wenn die Zahlen nicht runtergehen und wir ab Herbst nach innen gehen müssen? Was kann man tun?“ Man schaue auch nach Studien über Lüftungsanlagen und alle Entwicklungen, die helfen können.
Peter Klöckner, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Hachenburg wies noch einmal auf die existentiellen Probleme der Künstler hin, dafür vermisse er einen zentralen Ansprechpartner. Malu Dreyer verwies auf die Kulturberater des Landes für alle Kulturschaffenden, die über Förderprogramme informieren.
Thomas Pagel, Betreiber der Hähnelschen Buchhandlung sah sich sogar als Gewinner der Corona-Krise Ihm fehle lediglich das Marketing, da er keine Lesungen mehr anbieten könne, was eine Katastrophe für die Autoren sei, von denen viele von Lesungen lebten. Autorin und Westerwaldbotschafterin Annegret Held entgegnete ganz gelassen: „Ich mag Katastrophen, wenn plötzlich nichts mehr geht.“ Als Alleinerziehende sei sie oft pleite gewesen. Sie sei kreativ und finde einen eigenen Weg, so arbeite sie zurzeit beim DRK in Hachenburg. Held wies auch darauf hin, dass es ihr per Telefonat gelungen sei, die Beiträge für Krankenkasse und Künstlersozialkasse zu senken. Diese solle auch Arbeitslosigkeit abfedern, war der von Künstlern geäußerte Wunsch.
Zum Abschluss überlegte die Ministerpräsidentin, dass einheitliche Rahmenbedingungen aufgestellt werden müssen (Die Berufsgenossenschaft gibt den Theatern andere Maße vor als die Politik), damit Kulturveranstaltungen funktionieren und man müsse einen Handlungsrahmen für die Schulen vorgeben, die mit der Situation gut umgehen.
Das Dilemma sei, die Balance zu finden zwischen dem Schutz der Bevölkerung einerseits und dem Kulturbedürfnis andererseits. Wie ist es zu schaffen, dass alle gut da durchkommen? Veranstaltungen neuer Formate im Herbst/Winter seien wichtig, nicht nur für die Künstler, sondern auch für die Bevölkerung. Klar ist: „Solange es keinen Impfstoff gibt, wird es nicht mehr so sein wie zuvor.“ Die Kulturszene habe Überlebenschancen und die Landesregierung helfe weiter. htv
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