Was macht COVID-19 mit der Wäller Wirtschaft?
In diesem Jahr ist alles anders, so auch das Kooperationsseminar „Zukunftswerkstatt“, das die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Westerwaldkreis (wfg) seit 2015 im Sommersemester mit der Universität Siegen durchführt. Statt in Unternehmen Interviews zu führen, haben die Studierenden eine Online-Umfrage zu den Pandemie-Auswirkungen im Westerwaldkreis konzipiert, umgesetzt und ausgewertet. Die Ergebnisse wurden jetzt in der Westerwald-Brauerei in Hachenburg präsentiert.
Hachenburg. Bevor die Studierenden ihre Arbeit vorstellten, wurde die Corona bedingt kleine Runde von Brauerei-Geschäftsführer Jens Geimer durch die „heiligen Hallen“ des noch im Bau befindlichen neuen Sudhauses geführt. Er hieß die Runde herzlich willkommen und schilderte dabei kurz die Situation des Betriebes: „Eine Brauerei lebt ja im Wesentlichen von der zwischenmenschlichen Geselligkeit und leidet daher unter der aktuellen Krise sicherlich mehr als viele andere Industriebranchen.“ Dem fügte er betonend hinzu, dass der generelle Ausfall von Volksfesten sowie die Schließung der Gastronomie im Frühjahr nicht vollständig von den Mehreinnahmen im Einzelhandel kompensiert werden können, aber verglichen mit anderen Branchen und Betrieben wolle er nicht klagen.
Landrat Achim Schwickert betonte in seiner Begrüßung, wie wichtig es sei, auch in dieser Zeit die alltäglichen Themen nicht aus dem Blick zu verlieren und bedankte sich ausdrücklich bei den Studierenden und den Unternehmen, die die Zukunftswerkstatt aktiv unterstützen. „Von einer solchen Kooperation profitieren alle Beteiligten: die Studierenden sammeln praktische Erfahrungen und erleben Unternehmensrealität hautnah. Unternehmen bekommen neue Impulse und Handlungsempfehlungen und wir als Landkreis erfahren, was unsere Wirtschaft umtreibt und wo Unterstützung gewünscht wird“, erläutert Schwickert den Mehrwert der Zusammenarbeit.
Nachdem Robert Kebbekus, Leiter der Zukunftswerkstatt, die neuen Herausforderungen eines vollständig digitalen Seminars dargestellt hatte, kamen die Studierenden zu Wort. In fünf Fünfergruppen wurden unterschiedliche Themenschwerpunkte analysiert, wobei alle die Auswirkungen von COVID-19 auf die Unternehmen im Westerwaldkreis als Oberthema hatten. Die Schwerpunkte waren gegliedert in die allgemeine Unternehmenssituation, die Menschen im Unternehmen, die Beziehungen zu Kunden, die Beziehungen zu Lieferanten und die Chancen, die eine solche Krise mit sich bringen kann.
In allen Bereichen spielte die Digitalisierung eine bedeutende Rolle. Dabei reichte das Spektrum von der Ausstattung der Mitarbeiter mit technischen Hilfsmitteln und die Einrichtung von Homeoffice-Plätzen über die Definition interner Kommunikations- und Abstimmungsprozesse bis hin zur Entwicklung neuer Arbeitsmodelle und automatisierter Produktionsabläufe. Insbesondere bei der Mitarbeiterkommunikation haben Betriebe festgestellt, dass im digitalen Raum Signale wie Köpersprache, Tonfall, Änderung von Puls- und Atemfrequenz nur eingeschränkt wahrgenommen werden können und das „Stimmungsbarometer“ nicht so funktioniert, wie bei der physischen Begegnung. Im Zusammenhang damit wurde auch das Thema der dezentralen Führung als große Herausforderung benannt. Das beinhaltet auch die Punkte Motivation erhalten, Ängste nehmen, Vertrauen ins Unternehmen schaffen oder stärken und die Mitarbeiter in die Lösungsfindung einbinden, die die Studierenden als wichtige Handlungsempfehlung gaben.
Insgesamt trägt die Pandemie dazu bei, dass viele Unternehmen sich fragen, was wirklich wichtig ist und wie emotionale, partnerschaftliche Verbindungen zu Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten aufgebaut werden können. Mehr denn je gelte in dieser Zeit bei allen fünf Gruppen das Motto: „Bindung vor Findung“. Bezogen auf die Lieferanten war allerdings eine Tendenz zu regionalen Bezugsquellen und einer Diversifizierung erkennbar, um zu starke Abhängigkeiten zu vermeiden.
Es werden aber auch Chancen erkannt, die über eine Beschleunigung der Digitalisierung hinausgehen. So haben einige Unternehmen mehr Zeit für Innovation gehabt und neue Produkte und Geschäftsfelder entwickelt. Teilweise sind neue Vertriebswege entstanden und weitere Partner gefunden worden. Durchweg habe die Situation zu einer Flexibilisierung, erhöhter Resilienz und einer Stärkung des Miteinanders geführt.
Ein weiteres erfreuliches Ergebnis war zum einen, dass die Unternehmen nach einer ersten Schockstarre zu einer ‚wir wollen es gemeinsam schaffen‘-Einstellung gekommen sind und schnell wieder positiv nach vorn geschaut haben. Zum anderen werden bei den Unterstützungswünschen (durch die wfg) die Punkte immaterielle Dienstleistung und Standortattraktivität genannt. „Das ist eine schöne Bestätigung dafür, dass wir mit unseren beiden Kernaufgaben Netzwerkaufbau und Standortmarketing den Fokus im Sinne der Unternehmerschaft gesetzt haben“, freut sich wfg-Geschäftsführerin Katharina Schlag.
Abschließend führen die Studierenden an, dass, wenn man die Ergebnisse der IHK-Blitzumfrage im Kammerbezirk Koblenz mit anderen Teilen Deutschlands vergleicht, in der Region ein deutlich besseres Krisenmanagement erkennbar ist. Einzelne Branchen seien unterschiedlich stark betroffen, aber der Westerwaldkreis bleibe, gesamt betrachtet, bisher recht stabil und habe keine größeren Einbrüche zu verzeichnen.
Im Anschluss der Präsentation tauscht sich die Runde rege über das Gehörte aus und ist sich einig darin, dass die Situation sowohl für die Wirtschaft als auch für die Gesellschaft noch andauern wird. „Das zu ignorieren und abzuwarten wird fehlschlagen. Die Lösung kann nur heißen: ruhig beobachten, flexibel anpassen und vor allem, aktiv gestalten“, resümiert Schwickert bei der Übergabe der Teilnahmezertifikate an die Studierenden. (PM)
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