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Nachricht vom 01.03.2021    

Was kann Tagespflege leisten?

Tage in liebevoller Gesellschaft für Senioren und eine Entlastung für pflegende Angehörige.

Anneliese Gräßer und Tochter Ute Scheid. Foto: privat

Selters/Dernbach/Westerwald. Tagespflegeeinrichtungen stellen für pflegebedürftige Senioren eine Möglichkeit dar, Pflege- und Betreuungsangebote zu nutzen, ohne stationär in eine Senioreneinrichtung zu ziehen. Sie bilden damit einen wichtigen Baustein in der Pflegekette, der zwischen der ambulanten Pflege und der stationären Pflege anzusiedeln ist. Die emotionale Hürde pflegebedürftiger Senioren und ihrer Angehörigen, dieses Angebot zu nutzen, ist trotz der nachweislich positiven Effekte hoch. Senioren fühlen sich oft im ersten Moment von ihren Angehörigen in eine Betreuungseinrichtung abgeschoben und Angehörige plagt ein schlechtes Gewissen, weil sie denken, ihre persönlichen Pflichten von Fremden erledigen zu lassen.

Was ist die Tagespflege fähig zu leisten? Wie fühlen sich Senioren in den Einrichtungen und sind die Sorgen und Schuldgefühle von pflegebedürftigen Senioren und Angehörigen begründet? Die Redakteure der Katharina-Kasper-Gruppe haben Anneliese Gräßer (92 Jahre) befragt, die das Angebot der Tagespflege im Seniorenzentrum St. Franziskus in Selters nutzt. Auch ihre Tochter Ute Scheid (67 Jahre), stand uns für das Interview zur Verfügung.

Redaktion: Liebe Frau Gräßer, liebe Frau Scheid, Sie wohnen in
getrennten Haushalten, rund 40 Minuten voneinander entfernt. Das ist ja schon eine ganze Ecke, die Sie auseinanderwohnen. Wie kann man dabei täglich den Kontakt halten und aufeinander achten?

Scheid: Das geht so klassisch bei uns gar nicht.

<b>Redaktion: Wie sind sie denn auf die Tagespflege gekommen?
Scheid: Wir haben zuerst ein paar Veränderungen an meiner Mutter wahrgenommen. Sie ist zunehmend ins Negative abgerutscht und hat auch manchmal Angst bekommen. Als wir von einer Tagespflege in der Nähe hörten, entschieden wir uns dazu, das einfach einmal auszuprobieren. Ich musste durchaus ein wenig Druck ausüben, aber sie hat das dann
mitgemacht und zugestimmt, es auszuprobieren.
Gräßer: Ja, ich gehe unheimlich gerne hier hin und es macht halt auch
einfach Spaß.
Scheid: Ja, sie ist auch ganz anders seit der Zeit. Total anders.

Redaktion: Wieder positiver?
Scheid: Aber hallo. Absolut.

Redaktion: Was macht Ihnen am meisten Spaß hier, Frau Gräßer?
Gräßer: Der Zusammenhalt mit den Leuten, die kommen. Man ist nicht einsam. Da kommt mal der dazu und mal ein anderer und der Tagesverlauf wird auch prima zusammen bewältigt. Wir machen alles Mögliche und auch vom Kopf her wird man gefordert. Dann ist auch schnell mal Mittag und dann hab ich hier meinen Liegestuhl. Da wird ein bisschen Mittagsschläfchen gemacht und dann ist man wieder frisch und es kann weitergehen. Die Damen schlagen einem dann vor, was man noch alles zusammen machen kann und dann ist auch schnell wieder halb Drei oder halb Vier. Wenn wir dann zusammen Kaffee getrunken haben, ist es Vier und wir fahren heim.

Redaktion: Als Sie zuhause waren, haben Sie da selbst gemerkt, dass es Ihnen nicht gut ging?
Gräßer: Ich will mal sagen: Man ist zuhause eben allein und auch ein bisschen einsam. Man hat seine Arbeit, das ist schon richtig und die macht man ja auch. Aber hier ist es schon ganz was anderes. Hier freut man sich dann drauf, dass mehrere Leute da sind und dass man sich beschäftigen kann. Man kann sich einbringen. Ich helfe gerne in der Küche mit, wenn etwas ist und das macht Spaß. Da hat man das Gefühl, dass man noch ein bisschen gebraucht wird.
Scheid: Ja, man muss auch sagen, dass meine Mutter inzwischen akzeptiert hat, dass sie die Hilfe braucht und seitdem ist es auch leichter für sie geworden, die Hilfe anzunehmen. Da wollte sie am Anfang nicht dran. Dass sie etwas vergesslich ist, ist ja nicht tragisch und sie hat auch ein großes soziales Umfeld. Sie ist ein sehr offener Mensch und hat viele Freundinnen und die Großnichte wohnt auch im Haus. Die ganze Familie hat natürlich ein Auge auf sie. Auch die Nachbarschaft. Das funktioniert so ganz gut. So lange sie so fit ist, ist das alles in Ordnung so. Als der Lockdown war, habe ich befürchtet, dass sie wieder in ein Tief rutscht. Ich bin dann oft zu ihr hingefahren und habe mit ihr geübt und wir haben uns beschäftigt und Spiele zusammen gespielt. Wir haben viel gelacht, aber es war eine große Herausforderung auch für mich. Dann kam aber jede Woche von ihr dieselbe Frage: „Wann machen die wieder auf?". (zur Mutter) Nicht wahr?
Gräßer: Ja, richtig!



Redaktion: Die Tagespflege war wegen Corona lange geschlossen, richtig?
Gräßer: Ja. Fast ein halbes Jahr. Aber ich kann es nur empfehlen. Es tut mir gut!
Scheid: Ja und außerdem muss man sagen, dass alle hier sehr nett sind. Unglaublich nett, das muss ich wirklich sagen. Das ist wirklich toll. Ich habe sogar gesagt, ich würde selber hingehen. Und es ist heute ja so: Ich kann die Mutter nicht nehmen. Ich bin auch keine Pflegerin. Ich kann alles organisieren, aber bei einigen Sachen bin ich dann auch überfordert.

Redaktion: Fehlt einem da manchmal das Handwerkszeug, um mit verschiedenen Situationen umzugehen?
Scheid: Ja, absolut und da ist ja auch eine emotionale Bindung. Wäre die nicht da, wäre einiges vielleicht etwas leichter, aber da man keine Distanz hat, ist vieles auch unglaublich schwer.

Redaktion: Merken Sie auch eine deutliche Entlastung, Frau Scheid?
Scheid: Selbstverständlich! Man macht sich ja schon Gedanken, wenn die
Mutter alleine zuhause ist. Wenn ich bei ihr bin, kochen wir zusammen und wir gehen auch Laufen. Sie ist ja noch körperlich sehr fit mit ihren 92 Jahren.

Redaktion: Wie würden Sie die Veränderung durch die Tagespflege
beschreiben, Frau Gräßer?

Gräßer: Ich bin zufriedener. Ich leiste noch was. Auch für mich und das ist gut! Ich mag die Leute, die hier sind und auch die Mitarbeiter machen das gut. Die sind für jeden geeignet. Das merkt man.
Scheid: Ich habe auch das Gefühl, dass die hier mit meiner Mutter Spaß haben.
Gräßer: Ja. Einige von den anderen sind vielleicht ein bisschen
zurückhaltender als ich. Ich sage das, was ich denke. So bin ich halt. Die sind aber alle super. Mehr kann man nicht sagen.

Redaktion: Ich habe ein bisschen rausgehört, dass sich Ihr Verhältnis zueinander wieder verbessert hat, seit die Tagespflege mit dabei ist. Stimmt das?
Scheid: Ja. Das war vorher… ich bin in so eine Depression gerutscht.
Gräßer: Es war angespannt, kann man sagen. (lacht)
Scheid: (lacht) Ja, das ist gelinde ausgedrückt.
Gräßer: Das darf man aber sagen, oder?
Redaktion: Ja, selbstverständlich!

Redaktion: Was denken Sie, hält andere Menschen davon ab, die Tagespflege zu nutzen?
Scheid: Vorurteile! Die Angst abgeschoben zu werden.

Redaktion: Von Seiten der pflegebedürftigen Senioren!
Scheid: Ja.

Redaktion: Was könnte für die Angehörigen ein Grund sein?
Scheid: Schlechtes Gewissen! Das alte Rollenbild ist immer noch so drin.

Redaktion: Man verlangt es also grundsätzlich von sich ab, dass man mit diesen Situationen alleine klarkommen muss? Auch wenn es die vielen Vorteile von Tagespflegen gibt?
Scheid: Das will halt niemand hören. Meine Mutter hat meinen Vater und ihre Mutter gepflegt. Das ist so drin. Meine Mutter hatte auch Panik bekommen, als es sich abzeichnete, dass es bei ihr anders sein könnte. Ich habe ihr gesagt, dass ich alles für sie tun würde, ich aber verschiedene Dinge nicht leisten kann, die sie brauchen wird. Ich kann nicht pflegen. Würde ich es versuchen, würde sie darunter leiden und ich mit ihr.

Redaktion: Viele Menschen denken, die Tagespflege wäre der erste Schritt ins Altersheim.
Scheid: Ja, aber das ist falsch.

Redaktion: Sie soll ja grade dafür sorgen, dass die Menschen länger zuhause bleiben können.
Scheid: Ja, ich würde allen empfehlen, sich erst mal ein Bild von der Tagespflege zu machen, um dieses Vorurteil abzubauen.

Redaktion: Die Tagespflege bietet hierfür auch Schnuppertage an.
Scheid: Genau. So sind wir ja auch hierhergekommen.
Gräßer: Zuhause ist man eben oft alleine. Ich merke auch, dass die anderen, die hier dazu kommen, sagen: „Das war doch heute wieder schön und interessant." Man profitiert davon. Das ist ja der Sinn der Sache.

Das komplette Interview finden Sie auch unter:
https://www.st-franziskus-selters.de/unsere-leistungen/tagespflege (PM)


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