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Nachricht vom 26.07.2021 |
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Region |
Flut-Katastrophe: Betroffene kamen zur Ruhe auf einem Hof im Wisserland
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Diese Erinnerungen würden Michaela (70) und Martin (73) aus Antweiler im Oberahrtal gerne wieder los. Verliebten sie sich einst in ihre neue Heimat, nimmt die Angst seit der Flut in ihrem Leben eine große Rolle ein. Und nicht nur die. Der Hof unserer Reporterin schenkte den beiden eine kurze Auszeit von der Katastrophe. |
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Wisserland/Ahrtal. Als Michaela und Martin aus Antweiler im Oberahrtal vergangene Woche am 19. Juli mit ihrem Wohnmobil auf unserem Hof Fähringen im Wisserland aufliefen, war meine erste Frage: „Wie geht es Euch?“
Michaela antwortete sichtlich mitgenommen: „Gut, auch unser Haus wurde verschont, aber wir können nicht mehr, da muss großes Gerät ran.“
Wir haben die beiden sichtlich traumatisierten Antweiler erst einmal ankommen und sich ein wenig erholen lassen in ruhiger Umgebung. Die beiden benötigten eine kurze Auszeit nach der Katastrophe, um mit neuer Kraft wieder durchstarten zu können. Für vier Tage konnten sie Ruhe und ein Gefühl der Normalität finden.
Im Gespräch mit Michaela und Martin gewann ich viele Erkenntnisse. Bilder im Fernsehen sind anders als Erzählungen von Menschen, die dabei waren. Die folgenden Zeilen sollen den lieben Menschen aus Antweiler – auch vertretend für die vielen anderen Opfer der Flutkatastrophe – ein wenige Gehör verschaffen und bei der Verarbeitung des Erlebten mitwirken.
Sachlich von Anfang an
Martin fing in seinen Erzählungen weit vorne an. Er will verstanden werden, denn er ist zwar eigentlich ein Ortsfremder - ein Hinzugezogener, der aber mittlerweile seine Heimat in Antweiler gefunden hat und sich sehr im Ort engagiert. Das gemeinsam mit seiner Frau Michaela, die sich vor rund acht Jahren in das Anwesen in der Bergstraße verliebte. Bot es ihr mit Scheune und Hof doch die Möglichkeit, ihrem Hobby der Raku-Keramik-Herstellung nachzugehen, so zog es Martin zu einem Ort wo es warm ist und Wein gibt.
Im Oberahrtal spielt der Weinbau zwar weit weniger eine Rolle als im Mittelahrtal. Von der Quelle der Ahr in Blankenheim bis Antweiler fährt man rund 30 Minuten. Vor Antweiler mit seinen etwa 600 Einwohnern, liegt Müsch, dahinter der in den letzten Tagen oft genannte Ort Schuld. Ein wunderschöner Ahr-Radweg dazwischen, den es bis auf wenige Reste mittlerweile schlicht und ergreifend nicht mehr gibt.
1910 gab es im Antweiler eine Hochwasserkatastrophe, die 100 Bahnarbeitern das Leben kostete und nach Aufzeichnungen lediglich vom Hochwasser im Jahr 1804 übertroffen worden war. Auch damals schwollen gerade die kleinen Nebenbäche und -flüsse der Ahr (Ahrbach, Nohner Bach, Trierbach, Hühnerbach und viele weitere) rasch an.
Durch Extrem-Wetterbedingungen mit Starkregen haben die Sturzfluten in den vergangenen Jahren insgesamt auch im Kreis Ahrweiler zugenommen. Das letzte Extrem-Ereignis von 2016 jährte sich im Mai zum fünften Mal. Danach, so Martin, „wurde der Fluss in den Mittelpunkt genommen“ und es wurden umfangreiche Hochwasserschutzprogramme aufgelegt. Allein in Antweiler wurden über eine Million Euro investiert, um die prekäre Situation für die Anlieger zu beseitigen. Dabei wurde die Ahr teilweise für ihre Ausläufer renaturiert, künstliche Inseln geschaffen, Ufergrundstücke abgesenkt, weitere umfassende Maßnahmen getroffen, mit dem Ziel auch die Fließgeschwindigkeit der Ahr zu minimieren.
Genau das muss nun nach Martins Schilderungen mit ein Grund für das Aufstauen der Ahr Mitte Juli gewesen sein: Die Ahr selbst rückte in den Fokus des Hochwasserschutzes –
nicht aber die der kleinen Nebenflüsse und Bäche die weitestgehend unberücksichtigt blieben. Dies führte bei dem langanhaltenden Regen, der sich im Tiefdruckgebiet einfach nicht von der Stelle bewegte, dazu, dass Bäche und Flüsse es nicht mehr schafften.
An Engstellen kam es zu Verstopfung. Kleine Bäche stauten sich zu einer Flutwelle von zwei bis drei Metern an, die umliegende Bäume, Autos, Wohnwagen vom Camping Stahlhütte, Traktoren, Baumaterialen mit sich rissen. So verpufften die vorherig getroffenen Schutzmaßnahmen, sodass der Fluss an sich völlig überfordert wurde.
Das Ganze, so Martin und Michaela, geschah innerhalb von wenigen Stunden und führte durch die Unterschätzung der Gewalt der Natur zur Jahrhundertkatastrophe.
14. Juli ab 11 Uhr
Es fing mit mäßigem Regen an. Michaela ging noch zu einer befreundeten Familie im Ort, ab 11.15 Uhr setzte der Starkregen ein. Martin holte Michaela mit dem Auto bei der Freundin ab. Um 12 Uhr hoben sich zwar noch nicht die Gully-Deckel, aber mit dem starken Zufluss ergoss es sich in Richtung Ortsmitte und Gemeindehaus. Ab 12.30 Uhr füllte sich der Platz immer mehr. Die Durchfahrtstraße war zu diesem Zeitpunkt noch einigermaßen befahrbar. Die Freundin vom Nachbarhaus an der Hauptstraße brachte ihren Wagen noch zu Martin und Michaela auf den Hof. Der Nachbarhof der Freundin war bereits durch das reißende Wasser des Hühnerbachs überflutet.
Innerhalb von zwei Stunden eskalierte die Situation und wurde bis zum Abend immer bedrohlicher. Ein Feuerwehrmann wollte den Platz in der Dorfmitte noch überqueren. Martin rief ihn zurück, „wahrscheinlich wäre er sonst weggerissen worden“.
Um 19 Uhr war die Hauptstraße in Antweiler ein reißender Fluss. Die Freundin deren Wagen noch gerettet wurde, konnte nicht mehr aus ihrem Haus. Sie verbrachte die Nacht voller Angst zuhause.
Fast jedes Haus in Antweiler ist mehr oder weniger betroffen, so Martin. Einige sind einsturzgefährdet. Viele Brücken auch in den Nachbarorten sind eingestürzt. Wo Straßen waren, sind keine mehr da, klaffen tiefe Löcher. 5000 Hühner vom Hühnerhof in unmittelbarer Nähe sind ertrunken, Gräber von den Friedhöfen weggeschwemmt. Fünf Feuerwehrleute der ortsansässigen Einsatzwache sind ertrunken. Darunter ein 21-jähriges Mädchen, das Leute vom Campingplatz in Stahlhütte retten sollte.
Die Bilder haben wir alle zuhauf im Fernsehen und in den sozialen Netzwerken gesehen. Doch dabei zu sein ist anders und im Anschluss bleibt für die Betroffenen grenzenloses Entsetzen und Schockzustand.
Michaela und Martin bezeichnen es mit den Worten „wie im Krieg“. Von Ohnmacht erfüllt, ungläubiges Staunen und keine Chance, etwas zu tun, um die Naturgewalt aufzuhalten.
Gedanken schwirrten durch den Kopf. Was machen wir nun? Wo fangen wir an? Ein erster Gedanke: Die Kinder informieren: Wir leben noch! Doch wie, ohne Handynetz? Wem helfen wir zuerst? Wo sind die Stiefel?
Aufräumen: Wo zuerst? Was kann weg? Nichts mehr zu retten.
Den Beiden wurde schlecht und schummrig: von Benzin und Öl geschwängerte Luft, überall lagen demolierte Autos, umgekippte Wohnwagen.
Es brauchte großes und schweres Gerät, um weiter voranzuschreiten.
Dankbar sind die beiden , wenigstens kurzzeitig für die vier Tage auf dem Hof unserer Autorin erlebt zu haben – so etwas wie Normalität mit fließendem Wasser und normalen Lebensumständen ohne Dreck, Sirenen und Blaulicht. Sie merkten, es gibt noch ein Leben nach dem „Tod“.
Was sie bewegt ist auch die Tatsache, dass sie als „Nachkriegsgeneration“ bisher stolz darauf gewesen seien, von Krieg und Unruhen verschont geblieben zu sein. Doch seit Corona 2020 begann ist nichts mehr wie es war, von völligem Stillstand und ungewohnten Maßnahmen bis jetzt zu dieser verheerenden Katastrophe, die kriegsähnliche Zustände in der Region hinterließ, was für die beiden unfassbar und unglaublich ist.
Die Bilder im Kopf lassen sie auch nach der sehr kurzen Auszeit nicht los. Als Sie nach vier Tagen am Freitag, dem 23. Juli, wieder in ihre zerstörte Heimat aufbrechen, merkt man den beiden ihre Nervosität und auch Angst an. „Ich möchte nicht dran denken, was uns erwartet“, so Michaela.
Beklemmung und Angst ist seit dem Erlebten immer mit dabei: in engen Tälern, bei Bächen und Wiesen, wo Bäume liegen. Es hat sich schon jetzt einiges im Dorf getan. Wenn auch äußerlich. Durch die Hilfe professioneller Kräfte.
Die Angst bleibt
Es könnte nochmal los gehen mit dem Regen: um etwa ab 19 Uhr (Stand 26. Juli). Ein Lautsprecherwagen fährt vorbei und ruft dazu auf, sich vom Fluss fern zu halten und einen Unterstand aufzusuchen.
Dankbar dafür, dass ihr Haus noch steht, bleibt die Angst in den Knochen. Real, weil einige Hänge abzurutschen drohen.
Betonen möchten Michaela und Martin: „Wir sind nicht so furchtbar betroffen wie viele andere Orte an der Ahr. Gottseidank.“ (KathaBe)
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Nachricht vom 26.07.2021 |
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