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Nachricht vom 19.12.2022
Region
Lehrstunde in Psychologie beim Jugendschöffengericht in Montabaur
Mit einem sicherlich nicht alltäglichen Fall des versuchten Betrugs hatte sich das Jugendschöffengericht in Montabaur unter dem Vorsitz von Richter Dr. Orlik Frank-Piltz zu befassen. Kernpunkt des gesamten Verfahrens waren die teils unglaublichen emotionalen Schilderungen des 20-jährigen Angeklagten, denen man folgen konnte oder auch nicht.
Fotograf: Wolfgang RabschMontabaur. Welche Straftaten wirft die Staatsanwaltschaft Koblenz dem Angeklagten vor?
Angeklagt sind zwei Personen, von denen einer es jedoch vorzog, sich der Strafjustiz durch Flucht zu entziehen und nun per Haftbefehl gesucht wird. Das Verfahren gegen den anderen Angeklagten wurde abgetrennt, sodass verhandelt werden konnte. Dem heute (20. Dezember) erschienenen Angeklagten wird vorgeworfen, sich mit dem Mitangeklagten des gemeinschaftlich begangenen versuchten Betrugs und der Urkundenfälschung schuldig gemacht zu haben. Um über Check-24 einen Kredit über 17.000 Euro zu erhalten, haben die Angeklagten gefälschte Arbeitsverträge, gefälschte Kontoauszüge und gefälschte Lohnbescheinigungen vorgelegt. Der heute erschienene Angeklagte legte eine gefälschte Lohnbescheinigung über 3.565 Euro netto vor, obwohl er zu der Zeit mit einer geringfügig ausgeübten Beschäftigung nur etwa 450 Euro monatlich zur Verfügung hatte. Im Wissen der gefälschten Unterlagen hat der Angeklagte als Bürge den Kreditantrag unterschrieben, der aber von der betreffenden Bank sofort als Fälschung erkannt wurde, sodass es zu keiner Auszahlung kam.

Nachdem Oberstaatsanwältin Martina Lenz die Anklageschrift verlesen hatte, erklärte der Vorsitzende Richter, dass keine Absprachen zur Herbeiführung einer tatsächlichen Verständigung stattgefunden haben. Der Bundeszentralregisterauszug (BZR) des Angeklagten wies keine Eintragungen auf.

Zu seinen persönlichen Verhältnissen erklärte der Angeklagte, dass er die Fachhochschulreife erlangt habe, zurzeit aber eine Ausbildung zum Friseur macht und 500 Euro monatlich netto zur Verfügung hat, er ist ledig und wohnt noch zu Hause bei den Eltern.

In sich zusammengesunken und mit stockender Stimme erzählte der Angeklagte, wie es aus seiner Sicht gelaufen ist, er sich demnach eigentlich als Opfer sieht. Alles begann noch während der Schulzeit, als er und der andere Angeklagte dicke Freunde wurden. Eine Freundschaft, die wohl über das übliche Maß an Freundschaft hinausging.

Kann man die Story des Angeklagten glauben?
Der Angeklagte berichtete: „Mein Freund tat mir leid, weil er ohne Eltern aufwuchs. Ich habe nicht erkannt, dass er mich bereits von Beginn an manipuliert und ausgenutzt hat. Nach der Schulzeit trennten sich kurz unsere Wege, bis er mich anrief, er sei zu Hause rausgeflogen, ob er nicht kurz bei mir unterkommen könnte, was ich natürlich nicht ablehnte. Er erzählte mir, dass er jetzt als Großunternehmer tätig sei und eine Firma gegründet habe, die alsbald Millionengewinne erzielen würde. Mir imponierte dies sehr, weil ich es glaubte oder auch glauben wollte, was er mir erzählte, ich wollte auch diesen Erfolg haben. Um eine Firma zu gründen, lieh ich mir bei meinen Eltern 5.000 Euro, die er angeblich in die Firmengründung investierte. Dann benötigte er dringend Geld, weil er bei BMW einen Sportwagen in einer Spezialanfertigung bestellt hatte. Mir erklärte er, dass er den BMW nicht bezahlen könne, da die Gelder aus der Firma eingefroren wären. Er bräuchte aber dringend das Geld, weil er sonst vor Gericht landen würde. Ich glaubte seinen Ausreden.“

„Ich solle mir keine Sorgen machen und ihm vertrauen, er würde schon alles regeln. Wenn ich zweifelte, sagte er nur ‚Vertraue mir‘. Er suggerierte mir, dass wir es allen zeigen würden, die an uns zweifeln. ‚Wir zwei gegen den Rest der Welt‘, das war sein Motto. Ich habe ihm auch geglaubt, dass die Firma tatsächlich existieren würde, weil er für die Firma eine Website angelegt hatte. So leichtgläubig war ich, weil ich nicht glauben wollte, dass er mich so belügen und betrügen würde“, schilderte der Angeklagte weiter.

An dieser Stelle unterbrach der Richter den Angeklagten und sagte: „Sehen Sie es mir nach, aber sie waren doch finanziell ein „Würstchen“ und hatten auf der anderen Seite einen Freund, der angeblich Millionen verdiente. Wie passt das zusammen?“

Der Angeklagte jammerte weiter: „Ich schäme mich so sehr, was ich getan habe, obwohl ich ja die Lohnabrechnungen und den Kreditantrag unterschrieben habe. Dem ständigen Druck seitens meines Freundes war ich nicht gewachsen, es ging alles von ihm aus, ich habe lediglich unterschrieben.“ Auch dass er eine gefälschte Lohnabrechnung, wonach er rund 3.600 Euro monatlich netto bei der nicht existenten Firma verdient habe, wäre auf Druck seines Kumpels von ihm unterschrieben worden.

Nach der Aussage des Angeklagten zog das Gericht sich zu einer kurzen Erörterung der Sach- und Rechtslage zurück. Nach der Unterbrechung teilte der Vorsitzende Richter mit, dass er und die Schöffen zu dem Schluss gekommen wären, man könne es verantworten, das Verfahren mit Auflagen einzustellen. Man würde dem Angeklagten zubilligen, dass er sich in einer toxischen Ausnahmesituation befunden habe.

Wie wird toxisch deklariert?
Toxische Menschen sind Personen, die einen nachweisbar negativen Einfluss auf ihr unmittelbares Umfeld ausüben. In ihrer Gegenwart fühlt man sich schlecht, falsch und minderwertig. Ferner lügen und manipulieren toxische Menschen gezielt, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen.

Mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers wurde das Verfahren gemäß der Paragrafen 45 und 46 Jugendgerichtsgesetz (JGG) eingestellt. Dem Angeklagten wurde auferlegt, innerhalb einer Frist von drei Monaten insgesamt 30 Sozialstunden abzuleisten.

Letztes Wort Dr. Frank-Piltz: „Man kann nur hoffen, dass Sie durch dieses Verfahren aufgerüttelt wurden, es ist an der Zeit, dass sie endlich aufwachen. Wenn Sie es jetzt nicht kapieren, ist Ihnen nicht mehr zu helfen. Nehmen Sie diesen Rat als freundlichen Hinweis des Gerichts zur Weihnachtszeit mit nach Hause.“
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