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Nachricht vom 02.02.2023
Region
Wie steht es um die Bundeswehr? Fachleute gaben in Rennerod Auskunft
"Gut (aus)gerüstet? Unsere Bundeswehr, das Geld und der Preis der Sicherheit in der Zeitenwende": Die Veranstaltung in der Westerwaldhalle in Rennerod unter Leitung von Dr. Tanja Machalet (MdB) fand reges Interesse bei den Teilnehmern. Ein informativer Abend rund um die Bundeswehr und die durch Olaf Scholz formulierte Zeitenwende in Deutschland.
Von links: Oberstleutnant Michael Schwab, Dr. Tanja Machalet (MdB), Thomas Hitschler (MdB). (Fotos: Elke Stockhausen)Rennerod. 40 Gäste lokal und ähnlich viele Interessierte online nahmen an der Veranstaltung "Fraktion vor Ort" der SPD in der Westerwaldhalle teil. Ein gemischtes Publikum, bestehend aus Bürgern und Vertretern der Öffentlichkeit wie Rennerods Ortsbürgermeister Raimund Scharwat, der Landrat des Rhein-Lahn-Kreises Jörg Denninghoff und Alexandra Marzi, Bürgermeisterin der VG Wirges, die online beiwohnte. Vertreter der Bundeswehr wie Oberst Stefan Weber, Kommandeur des Landeskommandos Rheinland-Pfalz, und Oberstarzt Dr. Sven Funke vom Sanitätsregiment Rennerod zeigten großes Interesse an den Vorträgen.

Geleitet von Dr. Tanja Machalet erläuterten die Referenten in ihren Vorträgen einiges rund um die "Zeitenwende" und das Sondervermögen für die Bundeswehr, welches 100 Milliarden Euro umfasst. Es sprachen Dr. Thomas Rudolph, MdB und Mitglied im Haushaltsauschuss; Thomas Hitschler, MdB und Parlamentarischer Staatssekretär bei dem Bundesminister der Verteidigung, und Oberstleutnant Michael Schwab, Bezirksvorsitzender Rheinland im Landesverband West des Deutschen Bundeswehrverbandes.

Zusagen finanzieren
Dr. Rudolph, der sich zu Zeit auf Delegationsreise in Indien befindet und per Video zugeschaltet wurde, sprach von der großen Besorgnis, die mit dem Angriffskrieg Putins auf die Ukraine entstand. Dem folgte die Zeitenwende und die Schaffung des Sondervermögens, das nicht für eine große Aufrüstung geschaffen wurde. Vielmehr finanziere es das, was die Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren gegenüber der NATO zugesagt hätten.

Es seien Fähigkeitsprofile im Rahmen der Bündnisverpflichtungen zugesagt worden, die bisher nicht ausreichend mit "Geld hinterlegt" gewesen seien. 100 Milliarden seien notwendig, um die Bundeswehr auf den Stand zu bringen, auf dem sie spätestens 2031 sein soll, so Dr. Rudolph. Hier verwies er auf die Zusage von Olaf Scholz, das NATO-Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) der Bundeswehr zur Verfügung zu stellen. Circa vier Billionen Euro BIP bedeuten 75 bis 80 Milliarden Euro für die Bundeswehr und eine Anpassung des Haushaltes.

20 Prozent für die Rüstung
Der Verteidigungsetat ginge nicht komplett in die Rüstung. 40 Prozent seien Ausgaben für Personal, 40 Prozent fließen in die Instandhaltung, das Material, Mieten, Treibstoff, et cetera. 20 Prozent gingen in den letzten Jahren letztendlich in die Rüstung. Das sei "gar nicht so viel". Auch für das Sondervermögen gälte eine parlamentarische Kontrolle. Beschaffungsvorhaben ab 25 Millionen Euro müssen erst im Verteidigungsausschuss beraten und dann im Haushaltsausschuss beschlossen werden. Ein zusätzliches Kontrollgremium, 13 Abgeordnete aus dem Haushaltsausschuss, dem auch Dr. Rudolph zugehört, sichern eine nachgelagerte Kontrolle der Ausgaben.

Er lobte das BAAINBw in Koblenz, das bereits in der letzten Legislaturperiode eine Verbesserung in der Beschaffungsvorgänge zeigen konnte und deutlich mehr Geld ausgeben wurde, als in den Jahren davor. Schneller und effizienter, Schlagworte seiner Rede. Es ginge zwar nicht alles von heute auf morgen, Prozesse bedürfen Zeit, für 2023 seien bereits 8,5 Milliarden aus dem Sondervermögen im Abfluss.

In der letzten Sitzung vor Weihnachten gab es bereits Vorlagen im Haushaltsausschuss über 13 Milliarden Euro, die beschlossen werden konnten. F35, Puma, ein neues Sturmgewehr, Funkgeräte und Überschneefahrzeuge - eine ganze Menge sei in der Umsetzung. Vieles sei in den nächsten Monaten und Jahren auf dem Weg, die Bundeswehr "schnell wieder deutlich besser" zu machen, diese Aussicht gab Dr. Rudolph.

"Die Bundeswehr ist blank"
Natürlich müsse man auch die der Ukraine zur Verfügung gestellten Waffensysteme ersetzen. Der Dialog mit der Industrie müsse schnell erfolgen, es dürfe nicht Jahre dauern, bis die Waffensysteme wieder zur Verfügung ständen. "Die Bundeswehr sei blank", die Worte des Inspektors des Heeres, sei bereits durch Olaf Scholz erörtert worden. Die Unterstützung der Ukraine dürfe die Landes- und Bündnisverteidigung nicht gefährden.

"Wir sind eine Bündnisarmee", so das Stichwort des Referenten. Die Organisation in der NATO müsse funktionieren und dies gelänge durch das Sondervermögen und die Ersatzbeschaffungen in den folgenden Jahren. Sein Augenmerk richtete er auch auf die USA. Man können nicht sagen, dass immer jemand gewählt würde wie Joe Biden, der sehr eng mit Olaf Scholz zusammenarbeite. Hier müsse man stärker Verantwortung für die eigene Verteidigung in Europa übernehmen.

Eine Einigung finden
Es folgte Thomas Hitschler, der bereits unter Christine Lambrecht Staatssekretär war. Er berichtete, dass seine Erfahrungen am 24. Februar 2022 at acta gelegt werden konnten. Die staatspolitische Verantwortung, die ab diesem Tag von Nöten war, zeigte einen Zusammenhalt der Parteien im Bundestag. Alle wären sich im Ziel sehr einig gewesen: "Findet da schnellstmöglich eine Einigung!" So der Anspruch der Bürger, der erfüllt würde.

Hitschler stellte nochmals klar dar, dass das Sondervermögen rein investiv sei, dies sei wichtig zu wissen. Es würden keine Mittel für Personal oder Betrieb der Bundeswehr verwendet werden. 2013 lag der Etat der Bundeswehr bei 30 Milliarden Euro, die Bugwelle der Investitionen können mit dem Sondervermögen abgebaut werden, denn in den vergangenen Jahren sei zu wenig in die Bundeswehr investiert worden. Die Begründung: Nach der Zeit des Kalten Krieges, speziell Ende der 1990er Jahre, hätte man mit den Auslandseinsätzen nicht mehr die Notwendigkeit gesehen, eine Massenarmee vorzuhalten und legte das Augenmerk auf einen spezialisierten Kern. Ab 2014, die Annexion der Krim durch Rußland, begann man das "Ruder rumzureißen".

Beschaffung revolutioniert
Mittlerweile betrüge der Haushalt für die Bundeswehr 50 Milliarden Euro, noch immer in der Aufteilung 2/5 Personal, 2/5 Betrieb, 1/5 Investition. Der Tornado, am Ende seiner Nutzungsdauer, wird durch die F35 ersetzt. Als "Foreign Sales Case" kaufte man ein Produkt von der Stange mit einem rund-um-sorglos Paket, finanziert durch das Sondervermögen. Der Beschaffungsvorgang dauert nicht einmal ein Jahr, Hitschler bezeichnete dies als "revolutionär".

2025/26 sollen die ersten Flugzeuge in Büchel eintreffen. Sikorsky CH-53, der Transporthubschrauber der Bundeswehr, der aufgrund seines Alters schwieriger zu unterhalten sei, wird durch den amerikanischen Chinook abgelöst. Schnell verfügbar, in den Kostenrahmen passend und interoperabel. Hitschler beschrieb ihn mit den Worten "Chinook, ein guter Hubschrauber."

Zwei Beispiele für die Verwendung der Gelder und ein Zeichen für ein Umdenken: Während man früher Zeit hatte und zehn bis fünfzehn Jahre für die Entwicklung einplanen konnte, müsse es heute schnell gehen. Während in 2022 24 bis 25 Millionen Euro Ausgaben dem Bundestag vorgelegt wurden, sei man 2023 bereits bei 74 bis 75 Millionen Euro.

Das BAAINBw erntete Lob als "ein hochengagiertes Amt mit hoher Leistungsfähigkeit", das durch die notwendigen Rahmenbedingungen schnell agiert. Auch die Kollegen im Bundesministerium der Verteidigung erwähnte er positiv. Nach der Zeit des "Wohlfühlens in der Verlangsamung von Prozessen" seien heute alle "großartig motiviert".

Dennoch fehle es an Personal, der Regenerationsbedarf betrüge 20.000 Mitarbeiter jährlich. Konkurrenzkampf um Personal, das spüre auch die Bundeswehr. Das Thema Äußere Sicherheit sei ernst zu nehmen und die Bundeswehr wisse, dass in kurzer Zeit viel geschafft werden müsse.

Putin nachhaltig schlagen?
Oberstleutnant Michael Schwab, der für den Bundeswehrverband sprach, verglich die Vereinigung mit den Gewerkschaften. "Wir streiken nicht", dies sei wichtig. Schwab bezeichnete den 24. Februar 2022 als Wendepunkt für die Bundeswehr und die gesamte Gesellschaft. Der Blick müsse geweitet werden und es sei mit dem Schlimmsten zu rechnen. Denn was wäre, wenn es nicht gelinge, Putin bis 2025 nachhaltig zu schlagen? "Was tun wir, wenn er an anderer Stelle weiter droht und eskaliert?", so Schwab.

Es bedürfe nicht nur Antworten, sondern einer Bundeswehr und einer NATO, die nicht nur von Abschreckung spräche, sondern diese auch konventionell unterfüttern könne. Die Verteidigungsfähigkeit und Wehrhaftigkeit müsse gestärkt werden. Seine kommunizierten Forderungen: Schnellstmögliche, verbindliche Erklärung seitens des Parlaments und der Regierung, wann das fehlende Gerät ersetzt wird. Die Politik müsse mehr Geld zur Verfügung stellen und die rechtlichen Fesseln für die Rüstungsindustrie müssten gelockert werden, damit die Industrie schnellstmöglich Planungssicherheit haben kann.

Wehrhaftigkeit erhalten
Die katastrophale Bevorratungslage bei Munition müsse angegangen werden. Er ermahnte in seiner Rede, dass die Versprechen von Olaf Scholz zur Stärkung der Wehrhaftigkeit eingehalten werden müssen, damit Schaden vom deutschen Volk abgewendet werden könne. 100 Milliarden Euro gälte es, klug und nachhaltig zu investieren, der Fokus müsse auch auf zukünftigen Verteidigungshaushalt gelegt werden, hier würden 50 Milliarden Euro nicht ausreichen.

Die Herausforderungen für den Verteidigungsminister Boris Pistorius seien groß, er müsse dafür Sorge tragen, dass die Bundeswehr nicht "weiter leerläuft". Die "Kritische Bestandsaufnahme zur Einsatzbereitschaft der Bundeswehr", vereinbart im Koalitionsvertrag, beschreibe zwar die Kernprobleme, gäbe aber keine Lösungen. Der konkrete Fahrplan zur Umsetzung der Lösungen müsse sein, "was, wann und von wem" fehle. Einige gute Ansätze seien vorhanden, die vom Bundeswehrverband auch unterstützt würden.

Lebhafte Diskussion
Drei Redner, teils mit lobenden Worten, teils mit konstruktiver Kritik boten die Vorlage für eine offene Podiumsdiskussion, an der sich Gäste und virtuelle Teilnehmer gleichermaßen beteiligten. Fragen wurden gestellt nach dem Handling des amerikanischen F35 Jets, die Angst, dass deutsche Piloten einen Computer fliegen lassen, von dem man nicht wisse, was in der Software enthalten sei. Kritik, dass der Fighter nur ein-strahlig angetrieben wird, was in der Vergangenheit aus Sicherheitsgründen nicht gewünscht war. Fragen zu Investitionen und die Verteilung der Gelder zwischen Heer, Luftwaffe und Marine und der Ersatz der in die Ukraine gelieferte Waffensysteme.

Hitschler widerlegte Befürchtungen mit klaren Fakten und gab Hintergrundinformation, sofern er diese öffentlich machen durfte. So auch den Kauf von digitalem Führungsgerät als Ersatz für das Militärfunkgerät SEM 80/90, das Hitschler freundschaftlich "altes Gerödel" nannte. Die Frage nach Munitionsdepots würde einige Jahre Planung und Durchführung benötigen. Hier sei die Industrie als Interims-Lagermöglichkeit im Gespräch und auch die Lagerung bei verbündeten Ländern sei eine Möglickeit.

Kleine Reformprozesse an den richtigen Stellen seien der richtige Weg, statt die Bundeswehr lahmzulegen. Auch auf die Lieferung der 14 Leoparden Panzer ging der Staatssekretär ein und betonte, dass die Entscheidung von Olaf Scholz in Abstimmung mit den Amerikanern, die ebenfalls eine signifikante Anzahl liefern, erfolgte und weitere Nationen dazu befähige und motiviere, in der gemeinsamen Allianz vorzugehen und weitere Panzer zu liefern. Die Waffenlieferung in die Ukraine sähe er nicht als Game-Changer, aber es ermögliche der Ukraine, ihr Land weiter zu verteidigen.

Viele offene Fragen
Viele Fragen wurden gestellt, zum Beispiel nach dem Mangel an Übungsflächen für die Bundeswehr oder den Konsequenzen der Abschaffung der Wehrpflicht. Hier erklärte Hitschler, dass die Bundeswehr nicht mehr die Kapazitäten habe, eine solche Massenorganisation sei nicht möglich. Es lohne sich, den Dienst attraktiver zu gestalten, damit die Soldaten blieben und Mangelbereiche wieder aufgefüllt werden, so im Bereich der Unteroffiziere.

Auch der Bundesfreiwilligendienst sei eine Option. Stimmen in der Vergangenheit hätten jedoch aufgeworfen, dass die Organisation nicht gut genug war und man sich ohne reiches Elternhaus oder Nebenjob den Freiwilligendienst nicht leisten konnte. Hier sei Potential, so Hitschler.

Fraktion vor Ort, mit einem Thema, das wirtschaftlich beleuchtet wurde und auch Emotionen Raum gab. "Für was haben wir wieviel Zeit?". Das Versprechen, dass Schnelligkeit der Investitionen ein Stück Sicherheit zurückgeben und dass Entscheidungen in verantwortungsvoller Hand liegen. Ein informativer Abend, der von den Gästen mit Beifall honoriert wurde. (Elke Stockhausen)
Nachricht vom 02.02.2023 www.ww-kurier.de