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Nachricht vom 26.04.2024
Region
Held oder Täter? Ferdinand von Schirachs "Terror" auf der Bühne der Oase in Montabaur
Aktuell und akut - die Terrorgefahr, die spätestens seit nine-eleven in der Welt zu den vorherrschenden Themen gehört. Veraltet und chronisch, die ethische Betrachtung, mit der das Publikum in der Oase zum Nachdenken geführt wird. "Sie haben gegen den ausdrücklichen Befehl ihres Vorgesetzten gehandelt. Warum?" Eines der größten Dramen der Neuzeit, professionell inszeniert.
Einen gelungenen Premierenabend feierten die Zuschauer und Darsteller des Theaters "die Oase" (Fotos: Elke Stockhausen)Montabaur. Am Freitagabend (26. April) war Premiere im Amateurtheater "die Oase e.V. ". Sie hatten sich Großes vorgenommen, denn Ferdinand von Schirachs Drama erfordert das Können, statische Texte in gekonnte Dramaturgie zu setzen, das Publikum in eine Aufmerksamkeit zu versetzen und zum Denken zu verleiten. Die Szenen, gespielt in einem statisch arrangierten Gerichtssaal. Die Texte, je nach Charakter, oft lang und in juristischer Sprache. Kein Theaterstück über Liebe, über zwischenmenschlichen Hass und dennoch regt es Emotionen an. Auch wenn dort Amateure auf der Bühne standen, "Menschen, mit normalen Berufen", wie der Regisseur Volker Müller-Strunk sagte, darstellende Kunst ist wohl mehr eine Passion, als ein Job, vielleicht aber eine Berufung.

Der Grund für die Gerichtsverhandlung
Am 26. Mai 2013(6) wird die Lufthansamaschine LH 2047 auf dem Weg von Berlin-Tegel nach München entführt. An Bord, 164 Menschen und ein Terrorist. Dieser teilt über Funk mit, dass er die Maschine entführt hat und viele Menschen sterben werden. Rache für den Tod seinesgleichen. Steckt der IS dahinter? Der Funkkontakt bricht ab und die beiden Piloten in ihren Eurofightern aus der Alarm-Rotte in Widmund werden beauftragt, dem Flugzeug zu folgen und Sichtkontakt herzustellen. Sie versuchen, es abzudrängen, erfolglos. Sie versuchen, den Kontakt herzustellen, erfolglos. Die Zeit verrinnt und aus dem Nationalen Lage- und Führungszentrum für Sicherheit im Luftraum erfolgt der Befehl, dass nicht scharf geschossen werden darf. Warnschüsse werden abgegeben, natürlich erfolglos.

In einem Kampfjet sitzt Major Lars Koch, der Angeklagte. Und während die Zeit verrinnt, die Maschine auf die mit 70.000 Menschen gefüllte Allianz-Arena in München zusteuert, vergleicht er mehr als nur Zahlen, er sucht eine Lösung. Er verstößt gegen das Abschussverbot und schießt. Die Folge? Der Absturz des Flugzeuges, der Tod von 164 Passagieren, die Rettung von 70.000 unwissenden Menschen. Dass die Arena in der Zwischenzeit hätte evakuiert werden können, kommt zur Sprache, als Oberleutnant Lauterbach, der an diesem Tag die Verantwortung im Führungszentrum trug, in den Zeugenstand gerufen wird.

Theater trifft auf philosophische Ansätze
Doch darum geht es nicht. Es geht um mehr, als einen Handlungsfehler aufzudecken. Es geht um die grundsätzliche Betrachtung "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Es geht um das Trolley-Problem, um die Entscheidung, die fast nicht entscheidbar ist, weil sie eine Dilemma-Entscheidung darstellt. Darf man das eine Leben nehmen, um ein anderes zu retten? Es dreht sich um Immanuel Kants Kategorischen Imperativ über das Prinzip moralischen Handelns und, namentlich nicht genannt, auch die ethische Betrachtung Aristoteles über Gerechtigkeit. Und in den Köpfen der Zuschauer dreht es sich weiter. Den Bogen zur persönlichen Betroffenheit zieht Zeugin und Nebenklägerin Franziska Meiser, die weinend über die Zeit des Wartens im Flughafen München erzählt. Und sie wartet vergebens, denn ihr Mann kommt nicht mehr zurück.

Viele kannten den Juristen und Autor Ferdinand von Schirach bereits, Kerstin und Maio Roos aus Hübingen. Kerstin Roos war selbst bereits als Schauspielerin ein Teil des Oase-Teams, kamen unvorbereitet zur Premiere und aus dem Stimmengewirr vor der Aufführung konnte man entnehmen, dass viele sich überraschen lassen wollten. Müller-Strunk begrüßte sein Publikum und bereitete es mit den Worten "Sapere aude", habe Mut dich deines Verstandes zu bedienen vor.

Ein moralisches Dilemma auch für die Zuschauer aus dem Publikum
Die Menschen im Saal waren ein Teil des Stückes, denn sie waren die Schöffen und sollten am Ende der Vorstellung entscheiden, ob Major Lars Koch schuldig oder nicht-schuldig sei. Grund genug, in der Pause zu diskutieren. Wiegt das Gesetz mehr als die Moral? Esther und Thomas Meuer aus Nentershausen, auch sie hatten sich vorher nur grob informiert, fassten das Dilemma des Angeklagten zusammen. "Aus menschlicher Sicht nachvollziehbar, aber er hat sich einem Befehl widersetzt." Sie vermuteten, dass die Entscheidung später knapp ausfallen würde. Ralf Honecke aus Oberelbert musste schon in der Pause nicht lange nachdenken und entschied: "Er hat alles richtig gemacht!"

Nach der Pause die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung. Ein kleiner Exkurs zu diesem Premierenabend ist notwendig. Verteidigerin Biegler musste auf Grund Krankheit der Schauspielern Myriam Gawlitta umbesetzt werden. Und so wurde aus Frau Verteidigerin Biegler, Herr Verteidiger Biegler. Volker Müller-Strunk tauschte seine Stellung als Regisseur gegen die eines Schauspielers. Es zeigte sich, das Lob kam mehrfach aus dem Publikum, dass er, trotz Skript in der Hand, diese Rolle perfekt begleitete. Zurück zur Entscheidung, die eindeutig ausfiel. Nur wie sie ausfiel, das bleibt geheim, auch wenn die Abstimmung selbst nicht geheim durchgeführt wurde. Der letzte Akt, die Verkündung des Urteils. Auch wenn der Urteilsspruch ein Finale bedeutet, der Prozess des Nachdenkens wird bei vielen nach der Aufführung noch nicht beendet gewesen sein.

Ein rundum gelungene Vorstellung in einem kleinen Laientheater, das künstlerische Brillanz und ein perfektes Bühnenbild auch die Bühne brachte. Zu Recht bedankte sich der Regisseur am Ende bei allen Teilhabenden, bei denen mit großen Rollen wie Eva Fodor-Zirfas, die in ihrer Rolle als Staatsanwältin mit langen und schwierigen Textpassagen aufging und bei denen mit kleinen Rollen, wie Martin Bernbrich als Wachmeister. Ottfried Wohlleben und Helmut Kämmerling als Verantwortliche für ein gelungenes Bühnenbild, das die statische Atmosphäre eines Gerichtssaals widerspiegelte, bildende Bühnenbauer, mehr als nur ein Handwerk. Alle wurden bedacht und mit Dankesworten geehrt. Das gesamte Team finden und weitere Informationen zum Verein und den Aufführungen sind auf der Website von "die Oase" zu finden. Der Weg lohnt sich. (Elke Stockhausen)
       
       
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