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Nachricht vom 09.03.2012 |
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Region |
Burn Out ist die Quittung für überschrittene Grenzen |
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Psychischer Stress in der Arbeitswelt durch Verantwortung auf allen Ebenen. Dr. Hilmar Schneider sprach auf Einladung der Arbeitsagentur Montabaur und des Forums Soziale Gerechtigkeit zum Thema "Burn Out". Ein Krankheitsbild für das klare Definitionen fehlen, das aber mittlerweile zu den meisten Fehltagen innerhalb der Wirtschaft führe und als "deutsches Phänomen" die Medizin beschäftige.
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Westerwaldkreis. Burn Out – was ist das? Eine klare Definition gibt es nicht, das Krankheitsbild lässt sich schwer fassen. Unbestritten ist, dass immer mehr Menschen betrof-fen sind und Hilfe brauchen. Unbestritten ist auch, dass ihr Leiden untrennbar mit der modernen Arbeitswelt zusammenhängt. Nicht nur Psychologen sollten sich damit beschäftigen, meint Dr. Hilmar Schneider, Direktor Arbeitsmarktpolitik im Bonner Forschungsinstitut Zukunft zur Arbeit (IZA). Und so packt er als Ökonom dieses „heiße Eisen“ an – auch zum Gewinn der vielen Zuhörer, die seinem spannenden Vortrag in der Agentur für Arbeit Montabaur lauschten.
Deren Chef Elmar Wagner eröffnete den Abend, zu dem die Arbeitsagentur gemeinsam mit dem Westerwälder Forum Soziale Gerechtigkeit eingeladen hatte. Er freute sich, mit Dr. Schneider einen hochkarätigen Experten gewonnen zu haben und dankte Forumssprecher Uli Schmidt für den Impuls zu dieser Veranstaltung. „Symptome eines Burn-out beobachten wir nicht nur bei unseren Kunden, sondern auch bei unseren Beschäftigten“, erklärte Wagner und verwies auf „Schlüsselreize wie Zielvorgaben, Controlling und Blackberry, die den Adrenalinspiegel steigen lassen.“ Abschaffen ließen sich die Konditionen dieser neuen Berufswelt nicht. Aber man könne gegensteuern – zum Beispiel durch ein aktives Gesundheitsmanagement und eine familienfreundliche Personalpolitik, auf die die Arbeitsagentur großen Wert lege. In der Bekämpfung und der Prävention von Burn-out seien jedoch sämtliche Beschäftigten gefordert: „Wir müssen sensibler werden und besser auf uns und andere achten!“
Dr. Hilmar Schneider schickte voraus, dass er über ein Phänomen spreche, dass nicht klar definiert sei: „Psychologen setzen Burn-out mit Depression gleich.“ Burn-out sei jedoch positiver besetzt und werde gesellschaftlich eher
akzeptiert – eine Tatsache, die es Betroffenen leichter mache, sich dazu zu bekennen.
Die Wurzel dieses „sehr deutschen Phänomens, das sich aber ausbereitet“, findet Dr. Schneider in einer Arbeitswelt, die sich grundlegend gewandelt hat. War es früher vor allem entscheidend, körperlich belastbar zu sein, komme es heute darauf an, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu tragen. Aus physischem Stress werde psychischer Stress. Für alle. Denn auf jeder Ebene werde Mitdenken gefordert – angefangen vom Manager bis zur Kassiererin im Supermarkt: „Unternehmerische Risiken werden immer stärker auf Arbeitnehmer verlagert. Das ist ein Megatrend, der unser Leben umkrempelt.“
Dr. Schneider erkennt eine organisatorische Revolution: statt Handlungsanweisungen gibt es Zielvereinbarungen, statt Hierarchien Teamwork, statt Mitbestimmung Mitarbeiterbeteiligung. Grenzen verschwimmen – zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zwischen Arbeitsort und Wohnort, zwischen Arbeit und Freizeit. Wer in dieser Welt bestehen will, muss fähig und bereit sein, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen, außerdem kommunikativ, sozial kompetent und gut vernetzt. Für unerlässlich hält der Experte die Nein-sage-Kompetenz: „Gutwilligkeit ist an dieser Stelle sehr gefährlich!“ Aber gerade, wenn Menschen aus innerster Überzeugung für Menschen arbeiten, ist es schwierig, Nein zu sagen: in sozialen Berufen ist die Burn-out-Gefahr besonders hoch.
Ständige Erreichbarkeit dank moderner Kommunikationstechnik, permanente Aktionsmöglichkeit und die wachsende Bedeutung individualisierter Produkte – vom Automobil übers Müsli bis zum Medikamentenmix - sind laut Dr. Schneider Hauptursachen für die organisatorische Revolution. Sein Fazit: „Diese Ursachen lassen sich nicht beseitigen, wohl aber der falsche Umgang damit. Wir müssen lernen, in einer Welt der unbegrenzten Möglichkeiten Grenzen zu setzen und diese Grenzen zu akzeptieren. Burn-out ist die Quittung für Grenzüberschreitungen.“
Auch aus wirtschaftlicher Sicht sei dieser Weg der richtige. Dr. Schneider for-mulierte es bewusst zynisch: „Ich kann das Pferd reiten, bis es unter mir zusammenbricht. Das funktioniert so lange wie es genügend Pferde zum Wechseln gibt. Aber das können wir uns nicht mehr leisten: Arbeitskraft wird zur knappen Ressource.“
Sachlich und kompetent beantwortete der Referent Fragen des Publikums, in dem Arbeitgeber, Betriebsräte, Fachärzte und Burn-out-Betroffene vertreten waren – ein deutliches Zeichen, dass hier ein gesamtgesellschaftliches Thema von großem Interesse angepackt wurde.
Das Schlusswort hatte Uli Schmidt, der daran erinnerte, wie viele benachteiligte Menschen es am Arbeitsmarkt gebe, für die viel zu wenig getan werde. Schmidt griff eine Kernaussage Dr. Schneiders auf: „Arbeit kann psychisch krank machen. Aber wer keine Arbeit hat, wird eher krank!“
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Nachricht vom 09.03.2012 |
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