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Nachricht vom 19.03.2013
Region
Pestizide als Froschkiller?
„Gängige Dosierungen von Spritzmitteln töten bis zu 100 Prozent der getroffenen Amphibien“, teilt der BUND mit. Bevor ein neues Pestizid auf den Markt kommt, wird seine Giftigkeit für Bienen und Säugetiere getestet - nicht aber für Amphibien. Ein fataler Fehler, wie ein deutsch-schweizerisches Forscherteam jetzt aufgedeckt hat.
Am Grasfrosch wurden die Untersuchungen durchgeführt. Foto: Wolfgang TischlerRegion. Denn in ihren Versuchen erwiesen sich sieben gängige Pflanzenschutzmittel als echte Froschkiller: Zwischen 40 und 100 Prozent der Tiere starben, wenn sie den in der Landwirtschaft üblichen Spritz-Dosierungen ausgesetzt wurden. Diese Giftwirkung sei alarmierend - und wahrscheinlich eine bisher übersehene Ursache für das Amphibiensterben.

"Amphibien sind die am stärksten gefährdete Tiergruppe, sie verschwinden rapide aus verschiedenen Lebensräumen weltweit", erklären Carsten Brühl von der Universität Koblenz-Landau und seine Kollegen. Als häufigste Ursachen dafür gelten Infektions-Krankheiten, der Verlust von Lebensräumen und die zunehmende Konkurrenz mit gebietsfremden Arten. Bisher kaum im Blick der Artenschützer sind dagegen Pestizide, wie die Forscher berichten. Man wisse zwar, dass Pflanzenschutzmittel Missbildungen und Entwicklungsstörungen bei Amphibienlarven hervorrufen können. Welche Folgen die Spritzmittel aber für erwachsene Frösche und Kröten haben, sei bisher kaum untersucht - erstaunlicherweise.

"32 der 75 in Europa vorkommenden Amphibienarten leben nach Angaben der International Union for Conservation of Nature (IUCN) vorwiegend auf landwirtschaftlich genutzten Flächen", schreiben die Forscher. Die nahezu auf allen Feldern eingesetzten Spritzmittel könnten daher eine ernsthafte Bedrohung für das Überleben dieser Frösche und Kröten sein. Hinzu kommt, dass die Haut der Amphibien extrem durchlässig für Wasser, Luft und viele chemische Verbindungen ist. Chemikalien werden deshalb von ihnen rund zwei Größenordnungen schneller über die Haut aufgenommen als bei Säugetieren.

Um herauszufinden, welche Wirkung Pestizide auf erwachsene Amphibien haben, untersuchten Brühl und seine Kollegen die Wirkung von sieben gängigen Mitteln - vier Fungiziden, zwei Unkrautvernichtungsmitteln und einem Insektizid - auf den Europäischen Grasfrosch (Rana temporaria). Sie setzten Jungfrösche jeweils drei unterschiedlichen Dosierungen der Spritzmittel aus: der auf der Packung empfohlenen Dosierung sowie einer zehnfach verdünnten und einer zehnfach stärkeren Spritzlösung.

Das Ergebnis: "Die akute Mortalität für die empfohlene Dosierung reichte von 100 Prozent Toten nach nur einer Stunde bis zu 40 Prozent nach sieben Tagen", berichten die Forscher. Bei drei Produkten starben selbst bei der zehnfachen Verdünnung noch 40 Prozent der Tiere nach wenigen Tagen. Diese Effekte seien dabei nicht auf eine bestimmte Klasse der Pestizide beschränkt, sondern bei allen getesteten zu beobachten. Als giftigstes Spritzmittel im Test erwies sich ausgerechnet eines der am weitesten verbreiteten, das Fungizid "Headline". Dieses wird zurzeit bei 90 verschiedenen Nutzpflanzen weltweit eingesetzt - von Weizen in Kanada bis zu Sojabohnen in Argentinien, wie die Wissenschaftler betonen.

Dass kommerziell verfügbare Pestizide bei gängiger Dosierung eine so hohe akute Mortalität bei Wirbeltieren verursachen, erstaunte selbst die Forscher. "Man sollte meinen, dass 50 Jahre nach Rachel Carsons Buch 'Silent Spring' ausreichend Risikoabschätzungen und Testprozeduren existieren, um solche Effekte auszuschließen", konstatieren Brühl und seine Kollegen. In "Silent Spring" (Der stumme Frühling) warnte die Biologin Carson bereits Anfang der 1960er Jahre eindrücklich vor den Umweltfolgen von Pestiziden. Das Buch gilt als einer der wichtigsten Impulse für die Umweltbewegungen weltweit.

Nach Ansicht der Forscher zeigt ihre Studie nun deutlich, dass die Amphibien bei den geltenden Bestimmungen für die Risikotests von Pestiziden komplett durchs Raster fallen. "Zur Zeit sind weltweit mehrere tausend verschiedene Pestizidprodukte zugelassen und mehr als 2,3 Millionen Tonnen Spritzmittel pro Jahr werden auf den Landflächen der Erde ausgebracht", sagen Brühl und seine Kollegen. Angesichts der jetzt festgestellten Giftigkeit dieser Mittel für Frösche und Kröten sei es naheliegend, dass die Rolle der Pestizide für das weltweite Amphibiensterben bisher gravierend unterschätzt worden sei.

Und noch eine Lücke zeigte sich im Rahmen der Tests: Bisher werden bei den Pestizidtests nur die Wirkstoffe auf ihre Giftigkeit hin geprüft, nicht aber das gesamte Mittel mitsamt aller Zusatzstoffe. Genau diese Stoffe, darunter vor allem das aus Erdöl hergestellte Lösungsmittel Naphta, erwiesen sich aber im Experiment als wichtiger Verstärker für die tödliche Wirkung: Während das Präparat Headline mit rund 67 Prozent Naphta-Gehalt alle Frösche nach nur einer Stunde tötete, sank die Mortalität bei einem Spritzmittel mit gleichem Wirkstoffgehalt aber nur einem Drittel so viel Naphta auf rund 20 Prozent ab, wie die Forscher berichten. Das zeige, dass auch die Zusatzstoffe eine wichtige Rolle für die Toxizität der Mittel spielten.

Aus dem Mainzer Umweltministerium war zu hören, dass die Untersuchung dort bekannt ist. „Wegen der sehr geringen Zahl der untersuchten Tiere und der sehr einfachen Untersuchungsbedingungen, hat die Studie aus unserer Sicht nur den Status einer Vorprüfung“, hieß es aus Mainz. „Trotzdem sind die Ergebnisse besorgniserregend, bei vertiefenden Untersuchungen müssen die Befürchtungen allerdings nochmals hinterfragt werden. Derartige Überprüfungen halten wir bei der Produktzulassung erforderlich – dies muss allerdings politisch durchgesetzt werden“, so die Antwort auf die Anfrage des NR-Kuriers.
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