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Nachricht vom 02.12.2013
Region
Chance für alle: Menschen mit Handicaps im Job integrieren
Für manche ist eine Behinderung noch immer das Stoppschild auf dem Weg in den Job. Um sie zu integrieren, kann und muss noch einiges getan werden. Darauf weist die Agentur für Arbeit Montabaur anlässlich der „bundesweiten Woche der Menschen mit Behinderung“ (2. bis 6. Dezember) hin. Christina Weigoldts Geschichte ist in diesem Kontext eine Erfolgsgeschichte.
Sie hat es geschafft: Christina Weigoldt, am Schreibtisch, hat einen festen Job trotz Handicaps. Hinter ihr stehen Anja Voigt (links)und Anna Wallner. Foto: prRegion. Der Rollstuhlfahrer kurvt ohne Hindernis bis zum Schreibtisch. Die blinde Kollegin sitzt am PC und lauscht der Computerstimme, die ihre Mails vorliest. Der Diabetiker kann sich darauf verlassen, dass sein Team bei einem „Zuckerschock“ Erste Hilfe leistet: Dank barrierefreier Bauten, moderner Technik und gutem Miteinander haben viele Menschen mit den unterschiedlichsten Handicaps ihren Platz im Berufsleben gefunden.
So auch Christina Weigold. Die junge Frau wählt ihre Worte sorgfältig und spricht bedächtig. Wenn sie zuhört, ist sie hoch konzentriert und schaut ihren Gesprächspartnern auf die Lippen. Christina Weigoldt (22) ist hör- und sprachbeeinträchtigt. Und sie macht einen guten Job: Gefördert von der Agentur für Arbeit Montabaur, hat sie bei der Dr. Fischer Group in Diez eine Ausbildung zur Bürokauffrau absolviert und wurde nach einer sehr guten Abschlussprüfung übernommen. Heute arbeitet sie in der Buchhaltung und braucht keine Unterstützung mehr.
Christinas Werdegang mit „Happy End“ ist eine Erfolgsgeschichte für alle Beteiligten – und ein ermutigendes Beispiel in der Aktionswoche „Menschen mit Behinderung“ der Bundesagentur für Arbeit. Eingebettet in diese erste Dezem-berwoche ist am 3. Dezember der von den Vereinten Nationen ausgerufene „Internationale Tag der Behinderten“. Heike Strack, Leiterin der Arbeitsagentur Montabaur, betont: „Es ist uns wichtig, alljährlich einen Fokus auf Menschen mit Handicaps zu richten. Dank technischer und medizinischer Hilfsmittel sind ihre Chancen für ein erfülltes Berufsleben mit guten Leistungen so günstig wie nie. Trotzdem ist für Behinderte der Weg zum Arbeitsmarkt steinig, und oft bleibt er ganz verschlossen. Die größte Barrieren sind Vorbehalte und Vorurteile: die gilt es abzubauen.“
Dieser Schritt erübrigt sich bei der Fischer Group, einem weltweit führenden Produzenten von Speziallampen und Leuchten. Auf die Frage, wie viele Schwerbehinderte am Standort Diez beschäftigt sind, muss die kaufmännische Leiterin Anna Wallner gründlich nachdenken. „Sechs sind es“, erklärt sie dann. „Aber das ist uns im Alltag gar nicht bewusst. Alle arbeiten ganz normal.“ Und Christina Weigoldt? „Sie ist eine Top-Buchhalterin! Die Kommunikation läuft per E-Mail, und wenn doch das Telefon ins Spiel kommt, helfen die Kollegen.“
Dass Integration so reibungslos gelingt, liegt auch an der Firmenphilosophie. Die Fischer Gruppe ist bis heute ein inhabergeführtes Mittelstandsunternehmen und sieht sich traditionellen Werten verpflichtet. Sie vereint acht Einzelfirmen, die mit insgesamt 650 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von 84 Millionen Euro erwirtschaften. Der Stammsitz ist Diez (120 Mitarbeiter, Umsatz 20 Millionen Euro), außerdem gibt es große Werke im französischen Pont á Mousson und im italienischen Alpignano. Geschäftsführer Dietmar Kegler erzählt mit Stolz, dass Dr. Fischer Speziallampen allgegenwärtig sind – angefangen von der intelligenten Ausleuchtung von Hotellobbys oder Sportstätten über Autoscheinwerfer und Schienensignale bis hin zum erhellten Kühlschrank und der Dentallampe beim Zahnarzt.
Kegler kennt seine Mitarbeiter. Viele sind seit Jahrzehnten bei ihm, so auch Christina Weigoldts Mutter. Kegler wusste vom Handicap der Tochter und gab sein Wort: „Wenn es soweit ist, finden wir einen Platz für sie.“ Dank dieses Versprechens bekam die junge Frau eine gute Startposition. Eine Vorzugsbehandlung genoss sie jedoch nicht: „Eignung und Leistung müssen stimmen – sonst profitiert keiner“, sagt Kegler kategorisch. „Frau Weigoldt hat sich allen Anforderungen erfolgreich gestellt.“
Auf dem Weg zum Ziel erhielt die junge Diezerin tatkräftige Unterstützung der Arbeitsagentur; betreut wurde sie von Reha-Vermittler Gerhard Giebeler. Während der dreijährigen Lehre floss ein Ausbildungszuschuss von 80 Prozent an den Arbeitgeber. Berufsschulunterricht hatte Christina Weigoldt blockweise am Pfalzinstitut für Hören und Kommunikation in Frankenthal, wo sie schon die Realschule absolviert hatte. Als Auszubildende bekam sie die Fahrten nach Frankenthal und die Unterbringung im Internat finanziert. Die junge Frau erinnert sich gerne an diese Zeit: „Es war super. Im Betrieb haben die Kollegen mich immer unterstützt. Und in der Berufsschule waren wir nur zu fünft in einer Klasse – das ist gut zum Lernen.“
Stressig wurde es, als sie in Montabaur für die Abschlussprüfung einen Inten-sivvorbereitungskurs der IHK besuchte: 30 Teilnehmer in einem Raum, ein schnell sprechender Lehrer und eine Geräuschkulisse, die ein Herausfiltern seiner Stimme unmöglich machte. „Es war laut und anstrengend“, erzählt die junge Frau. Ihre Rettung waren zwei Dolmetscher, die ebenfalls von der Agentur für Arbeit bezahlt wurden.
Mitte des Jahres legte Christina Weigoldt ihre Prüfung ab. Bei den schriftlichen Arbeiten in der Berufsschule bekam sie die Note 1,3 und eine Urkunde, auf der ihr Fleiß und ihr Engagement hervorgehoben werden. Für den mündlichen Teil fuhr sie in Begleitung ihres Lehrers zur IHK nach Ludwigshafen und kam mit einer glatten Zwei zurück.
Wenig später konnte sie bei Fischer einen unbefristeten Arbeitsvertrag unter-schreiben. Dietmar Kegler und Anna Wallner freuen sich, eine Fachkraft für die Buchhaltung gewonnen zu haben. Und Christina Weigoldt ist trotz Handicaps in der Lage, ein selbstständiges Leben zu führen. Alle Investitionen zahlen sich aus.


381 Schwerbehinderte waren Ende November im Agenturbezirk arbeitslos gemeldet; das sind sieben weniger als im Oktober, jedoch 49 mehr als im November 2011. Aufgesplittet nach den beiden Landkreisen, die die Arbeitsagentur Montabaur betreut, sieht es so aus: Im Westerwaldkreis haben 239 beeinträchtigte Männer und Frauen keinen Job (8 weniger als im Vormonat und 32 mehr als im Vorjahresmonat), im Rhein-Lahn-Kreis sind es 142 (eine Person mehr als im Vormonat und 17 mehr als im Vorjahresmonat). Knapp 6 Prozent aller Menschen ohne Job gehören zu dieser Personengruppe. Im Jahresvergleich ist die Arbeitslosigkeit insgesamt angestiegen; die Schwerbehinderten liegen bei dieser Entwicklung leider leicht über dem Durchschnitt.
Die meisten Arbeitslosen mit Handicaps haben gute Voraussetzungen für eine Integration ins Berufsleben. Denn sie können vorweisen, was heute fast unerlässlich ist: eine Qualifikation. 63,8 (WW: 61,9, RL: 66,9) Prozent besitzen eine schulische, betriebliche oder akademische Ausbildung; die Nicht-Behinderten, die keine Beschäftigung haben, kommen auf lediglich 52,5 (WW: 53, RL 52,1) Prozent.
Heike Strack betont: „Viele Branchen und Betriebe brauchen Fachkräfte, und dieser Bedarf nimmt zu. Deshalb sollte sich der Blick auch auf dieses Potenzial richten. Handicaps können fast immer organisatorisch oder durch moderne Technik ausgeglichen werden. Am pas-senden Arbeitsplatz sind behinderte Menschen genau so leistungsfähig wie nicht-behinderte. Und wenn der gefunden ist, profitieren beide Seiten – Arbeitgeber und Arbeitnehmer!“
Schwerbehinderte haben ein kaum erhöhtes Risiko, den Job zu verlieren. Wenn dies allerdings geschieht, bleiben sie deutlich länger arbeitslos als Personen ohne Beeinträchtigung. Jeder dritte Schwerbehinderte ohne Job ist langzeitarbeitslos; in der anderen Gruppe ist es „nur“ jeder Vierte. Auch bei der Altersstruktur gibt es deutliche Unterschiede. Unter den Arbeitslosen mit Handicap sind mehr als die Hälfte über 50 Jahre alt, unter denen übrigen lediglich ein Drittel. Die liegt u.a. einfach daran, dass die Wahrscheinlichkeit, chronisch krank zu werden oder nur noch eingeschränkt arbeitsfähig zu sein, im Laufe des Lebens steigt.
Um die Beschäftigungschancen zu erhöhen, sind Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitsplätzen gesetzlich verpflichtet, mindestens 5 Prozent dieser Stellen mit Behinderten zu besetzen. Die neueste Statistik nach dem so genannten Anzeigeverfahren datiert wegen der Meldefristen aus dem Jahr 2011. Demnach gab es im Agenturbezirk 504 Betriebe, die die „Fünf-Prozent-Klausel“ erfüllen mussten – 355 im Westerwald- und 149 im Rhein-Lahn-Kreis. Von insgesamt 2.141 Pflichtarbeitsplätzen (WW: 1.523, RL: 618) blieben 897 unbesetzt (WW: 692, RL: 205). In beiden Kreisen wurde der Sollwert deutlich unterschritten. Im Westerwald lag die Beschäftigungsquote Schwerbehinderter bei 2,8 Prozent; der Rhein-Lahn-Kreis bei 3,6 Prozent. Das zeigt, dass es bei den Unternehmen noch immer Vorbehalte gibt, die es abzubauen gilt.
„Einen Job zu haben, ist für jeden wichtig“, sagt Heike Strack. „Denn das bedeutet nicht nur, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen und für sich selbst sorgen zu können. Der Beruf ermöglicht auch die Teilnahme am Leben und bewahrt nicht selten vor Isolation. Eine ,bunte´ Belegschaft, die die Vielfalt der Gesellschaft spiegelt, ist eine Bereicherung für uns alle. Wenn dies alltäglich und normal ist, verschwinden Vorurteile und Berührungsängste von selbst.“

Der Arbeitgeberservice der Arbeitsagentur und der Jobcenter Westerwald und Rhein-Lahn wirbt bei den Betrieben für die Einstellung schwerbehinderter Menschen, die auf Jobsuche sind und informiert über Gesetze, Re-gelungen und Fördermöglichkeiten. Interessierte Unternehmen wählen die kostenlose Servicenummer 0800/4555520.

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