WW-Kurier
Ihre Internetzeitung für den Westerwaldkreis
Nachricht vom 02.03.2015
Region
Bestürzung über Abschiebedrama in Schenkelberg
Die Freunde und Unterstützer der Familie Silistarevic sind geschockt: Völlig überraschend sind das Ehepaar und dessen drei Kinder in der vergangenen Woche nach Serbien abgeschoben worden. Was nun aus der Familie wird, weiß niemand.
Ein Foto, ein Scherenschnitt der jüngsten Tochter, ein buntes Kreuz: Viel mehr Andenken haben Carolin und Herbert Bruns nicht mehr an die serbische Familie Silistarevic, die sie mehrere Jahre begleiteten. Denn vergangene Woche sind die fünf Roma völlig überraschend abgeschoben worden. Ein Schock für ehrenamtliche Flüchtlingshelfer, Vertreter der Kirchen, Nachbarn und alle, die am Schicksal der Silistarevics teilgenommen haben. Foto: Peter BongardWesterwaldkreis. Die Silistarevics, die zwei Jahre lang in Schenkelberg gelebt hatten, sind Roma und müssen in ihrer alten, neuen Heimat Serbien mit vielen Repressalien rechnen. Außerdem ist Mutter Sanela dringend auf psychologische Behandlung angewiesen. Ob sie diese in dem osteuropäischen Land bekommt, ist fraglich.

Seit 2012 setzen sich Ehrenamtliche, Vertreter der katholischen Kirche und das Evangelische Dekanat Selters dafür ein, dass die serbische Familie bleiben darf. Herbert Bruns und dessen Frau Carolin haben während dieser Zeit wohl das engste Verhältnis zu ihr. Bruns wird im April zum Diakon geweiht und ist mit seiner Frau in der Flüchtlingsarbeit engagiert. Er beschreibt Vater Sevco als einen tiefgläubigen, ehrlichen und sympathischen Menschen, der aber – wie der Rest der Familie – aufgrund seiner Erfahrungen völlig verängstigt ist. „Roma gelten in Serbien als Menschen dritter Klasse: Offiziell haben sie zwar die gleichen Rechte wie jeder andere, tatsächlich werden sie drangsaliert und benachteiligt, wo es nur geht. Der Staat bietet denen faktisch keine Lebensgrundlage.“
Dementsprechend dauert es einige Zeit, bis die Silistarevics in Deutschland Vertrauen und Fuß fassen. Am besten gelingt das noch der Tochter, der neunjährigen Dalila. Sie findet im Kindergarten sofort Freunde und ist später eine beliebte, intelligente Schülerin: „Dalila hat sich wirklich top eingelebt“, findet Herbert Bruns. Den beiden Brüdern Branko und David fällt der Start in Deutschland weniger leicht: „Die Jungs waren mitten in der Pubertät und wollten Anerkennung, was sie manchmal zu Dummheiten verleitet hat“, sagt Bruns. Ein hoffnungsloser Fall sind sie seiner Ansicht nach aber trotzdem nicht: „Später hat sich die ehemalige Leiterin der Limburger Marienschule, Schwester Christiane, um die beiden gekümmert“, erzählt er. „Sie gab ihnen Nachhilfe und brachte ihnen einige Spielregeln bei. Mit dem Erfolg, dass Branko ein Praktikum als technischer Zeichner bei einem lokalen Hausbau-Unternehmen absolviert und dort einen sehr guten Eindruck hinterlassen hat.“

Vater Sevco kümmert sich unterdessen um die Außenanlagen des Schenkelberger Kindergartens, und auch ihm ist ein Job in dem Westerwälder Hausbau-Unternehmen sicher. Doch den kann er nicht mehr antreten.

„Die Abschiebung kam für alle völlig unerwartet“, sagt die Schenkelberger Ortsbürgermeisterin Carolin Bruns – obgleich sie und ihr Mann von Anfang an wissen, dass die Chancen der Familie Silistarevic nicht allzu groß sind. „Schon nach ihrer Ankunft in Deutschland, in der Aufnahmeeinrichtung Trier, wurde die Familie zu ihren Fluchtgründen befragt“, erzählt sie. „Und kurz danach ist der Asylantrag abgelehnt worden.“ Die anschließende Klage Sevco Silistarevics gegen das Urteil hat ebenfalls keinen Erfolg. Allerdings erreicht die Familie wegen der psychischen Erkrankung der Mutter immerhin eine Duldung. „Das klang zwar im ersten Moment wie ein kleiner Erfolg, war aber letztlich für alle Beteiligten zermürbend. Denn die Duldung wird alle vier Wochen neu bewilligt. Oder auch nicht“, sagt Herbert Bruns.

Als die Bundesregierung im Jahr 2014 die Liste der sogenannten Sicheren Herkunftsstaaten um Serbien erweitert, geht plötzlich alles ganz schnell. Die Familie wird in einem Brief zur Ausreise aufgefordert, da ihr sonst die Abschiebung drohe. Ehepaar Bruns hält mit dem schlechten Gesundheitszustand der Mutter dagegen, worauf das Gesundheitsamt attestiert, dass Mutter Sanela nur unter drei Bedingungen reisefähig ist: Sie muss in ein Umfeld kommen, in dem sie nicht diskriminiert wird; Sie muss Zugang zu Medikamenten haben und sie muss sich psychologisch behandeln lassen können. „Diese Voraussetzungen sind in Serbien nie und nimmer gegeben“, sagt Herbert Bruns. „Aber die zuständige Behörde sieht das offenbar anders.“ Als letzte Möglichkeit will der evangelische Vertreter in der Härtefallkommission des Landes Rheinland-Pfalz, Friedrich Vetter, einen Härtefallantrag stellen, um so doch noch das Bleiberecht zu erwirken. Doch dazu kommt es nicht mehr: Wenige Tage später holen ein knappes Dutzend Polizeibeamte die Familie mit zwei Transportern um sechs Uhr in der Frühe ab. „Sevco rief mich völlig geschockt an und erzählte mir, dass sie abgeschoben werden. Ich konnte das gar nicht glauben, da ja noch gar nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft waren“, sagt Herbert Bruns. Vor Ort erleben er und der katholische Pfarrer Marcus Fischer etwa zehn Polizeibeamte, die sich zwar verständnisvoll und unaufgeregt verhalten. Aber sie erleben auch eine Familie im Schockzustand. „Die Silistarevics wurden bis auf die Unterwäsche untersucht, weil die Polizei befürchtete, dass sich die Familie etwas antut. Dann hat sie ein Transporter zum Flughafen gebracht. Für sie war die ganze Sache eine unglaubliche Schande. Und es gab viele, viele Tränen. Nicht nur bei den Silistarevics, sondern auch bei allen, die die Abschiebung miterlebt haben. Ein Anwohner meinte, dass er sich keine besseren Nachbarn hätte wünschen können.“

Wie es nun weitergeht, wissen weder Herbert und Carolin Bruns, weder die anderen Unterstützer der Familie – noch die Silistarevics selbst, die zurzeit wohl in einem Roma-Camp bei der Mutter von Sanela leben. Schwester Christiane, Ehepaar Bruns und andere Helfer suchen nun Organisationen, die sich für Roma in Serbien einsetzen. Doch das ist gar nicht so leicht, weil selbst die großen Kirchen in Osteuropa oft einen Bogen um diese Minderheit machen. „Wir hoffen, dass wir weiterhin mit der Familie in Kontakt bleiben“, sagt Carolin Bruns. „Und dass nicht das eintritt, was wir hier alle befürchten: dass die Kinder in der Schule gemobbt und verprügelt werden und die Silistarevics bald obdachlos sind.“ (bon)
Nachricht vom 02.03.2015 www.ww-kurier.de