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Nachricht vom 05.12.2017
Politik
Viele „Wäller“ beschäftigten sich mit der wachsenden Ungleichheit
Die soziale und gesellschaftliche Ungleichheit hat in unserem Land und damit auch im Westerwald seit Jahrzehnten zugenommen. Alles deutet darauf hin, dass sich die Entwicklung weiter verschärfen wird. Dadurch sind nicht nur die sozialen, sondern auch die ökonomischen Grundpfeiler unserer Gesellschaft bedroht. Zu diesem Ergebnis kam eine Expertenrunde im Bürgerhaus in Siershahn.
Maria Christina Bienek von der ITAC AG in Montabaur beschäftigte sich mit den sozialen Folgen der Digitalisierung. Foto: Veranstalter Westerwald/Siershahn. Auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Forums Soziale Gerechtigkeit stand das Thema im Mittelpunkt: „Ungleichheit bekämpfen! Wo der Wohlfahrtsstaat jetzt investieren muss“. Während der fast dreistündigen Veranstaltung und beim anschließenden Imbiss wurde auch unter den 80 teilnehmenden Gästen darüber diskutiert, was getan werden muss, damit unsere Gesellschaft nicht weiter auseinanderdriftet und Wohlstand, Gerechtigkeit und Stabilität in unserer Region und darüber hinaus gesichert werden können.

Eröffnet wurde der informative Abend von Chansonier und Liedermacher Manfred Pohlmann mit dem „Einheitsfrontlied“ (Und weil der Mensch ein Mensch ist…), einem der Klassiker der deutschen Arbeiterbewegung. Berthold Brecht erinnert im Text an die grundlegende Stellung der Arbeiterklasse unter kapitalistischen Produktionsbedingungen. Weitere bekannte Lieder wie „Das Wirtschaftswunder“ sollten im Laufe des Abends folgen.

Für die Friedrich-Ebert-Stiftung begrüßte Dr. Martin Gräfe die vielen Gäste: „Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass der soziale Wohlfahrtsstaat in Gefahr kommt und Armut nur noch als selbstverschuldete Notlage wahrgenommen wird“, so der Gast aus Mainz. Moderiert wurde der weitere Abend von Uli Schmidt als Sprecher des Forums Soziale Gerechtigkeit. Er geißelte die wachsende Ungleichheit als das zentrale Thema unserer Gesellschaft: „Wenn wir das nicht in den Griff kriegen, fliegen uns in einigen Jahren die Brocken um die Ohren!“.

Thomas Diekmann als Vorsitzender der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) in der Diözese Limburg hatte die Aufgabe, mit einleitenden Anmerkungen Interesse für die folgenden Vorträge und Statements zu wecken. Er nannte viele Gefahren für unser Sozialsystem von der Altersarmut bis zu den sinkenden Rentenleistungen. „Bei einer Betroffenenquote von 16 Prozent ist die strukturelle Armut schon bei uns angekommen“, richtete Diekmann einen Apell in den Saal.

Von der Universität Augsburg war der Soziologe Dr. Sasa Bosancic in den Westerwald gekommen, um in einem ausführlichen Vortrag die Grundlagen für die weitere Diskussion zu legen. In einer Expertise, die an alle Teilnehmenden verteilt wurde, hatte er sechs Bereiche identifiziert, in denen umfassende sozialinvestive Maßnahmen zur Verringerung sozialer Ungleichheit beitragen können. Dabei ging er auf die Kinder- und Bildungsarmut ebenso ein wie auf die öffentliche Beschäftigungsförderung sowie die Chancen und Risiken der Digitalisierung. Im Ergebnis plädierte Dr. Bosancic für die Rückkehr des starken Staates: „Nur die Reichen können sich in unserem Land den schlanken Staat leisten!“.

Es folgten vier Kurzstatements von Experten, die aus ihrer praktischen Erfahrung aus der Region zu den von Dr. Bosancic genannten Handlungsfeldern Stellung nahmen. Prof. Dr. Katrin Schneiders von der Hochschule Koblenz meinte, dass die Probleme nicht durch noch mehr Geld im System zu lösen seien. „Es ist ein Mythos, dass alle Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren sind, für einige müssen menschenwürdige und dauerhafte Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden“, so die Professorin.

Für den DGB war dessen Regionalvorsitzender Sebastian Hebeisen in Siershahn dabei. Er plädierte dafür, dass Reiche mehr Lasten tragen können und der Mittelstand gestärkt werden muss. Der Gewerkschafter forderte einen „neuen Arbeitsmarkt“ und meinte: „Die Jobcenter stehen finanziell am Abgrund und sie müssen bessere Möglichkeiten bekommen denen zu helfen, die sonst keine Chance haben“.

„Gesellschaftliche Benachteiligungen kann man nicht in kurzer Zeit beheben“ meinte Stephan Reckmann als Geschäftsführer der GFBI (Gesellschaft zur Förderung Beruflicher Integration). Ein nicht zu unterschätzender Anteil der Jugendlichen in den Fördeprojekten seien nicht mehr ausbildungsfähig, oft seien die Gründe dafür in den Herkunftsfamilien zu suchen. Für diese gelte es sinnvolle Beschäftigungsformen wie beispielsweise im Sozialkaufhaus der GFBI in Montabaur zu schaffen.

Mit den sozialen Folgen der Digitalisierung beschäftigte sich Maria Christina Bienek von der ITAC Software AG in Montabaur, wo sie als „Sonderbeauftragte Industrie 4.0“ tätig ist. Sie schilderte, wie die Digitalisierung die gesamte Arbeitswelt verändern wird. „Wenn wir unser Ausbildungsniveau weiter steigern und den MINT-Fächern weiter einen großen Stellenwert geben, stehen die Chancen für ein erfolgreiches Deutschland und einen weiter aufstrebenden Westerwald sehr gut“, so die IT-Spezialistin. Es sei möglich, die sozialen Auswirkungen der künftigen Arbeitswelten gesellschaftsverträglich zu gestalten.

Den Ursprung der Lehre von der Ungleichheit brachte Pfarrer Peter Boucsein von der Evangelischen Kirche im Dekanat Selters in seinem Schlusswort zum Ausdruck: „Der, wer da hat, dem wird gegeben werden und er wird in Fülle haben; aber wer nichts hat, dem wird auch was er hat, genommen werden« (Matthäus 25,29).

Für das Forum Soziale Gerechtigkeit kündigte Uli Schmidt weitere Veranstaltungen im Westerwald zum Thema Ungleichheit an. So wird im kommenden Jahr Wirtschaftsjournalist Alexander Hagelüken aus seinem Buch „Das gespaltene Land. Wie Ungleichheit unsere Gesellschaft zerstört – und was die Politik ändern muss“ lesen und mit hoffentlich vielen Wällen diskutieren. Dafür wird allerdings noch ein Sponsor gesucht. Schmidt rief abschließend dazu auf, sich in dem von der rheinland-pfälzischen Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler initiierten Beteiligungsprozess „Armut begegnen – gemeinsam handeln“ sinnvoll einzubringen. Weitere Infos zur Arbeit des Forums Soziale Gerechtigkeit gerne unter uli@kleinkunst-mons-tabor.de. (PM)
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