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Nachricht vom 08.12.2017
Politik
Bericht des Landrates: Sachstand zum Thema Flüchtlinge
In der Sitzung des Kreistages des Westerwaldkreises am 8. Dezember informierte Landrat Schwickert über die Situation der Flüchtlinge im Kreis und die Arbeit der Ausländerbehörde, die von der Kreisverwaltung umgesetzt werden muss. Den höchsten Betreuungsaufwand verursachen unbegleitete minderjährige Ausländer.
Landrat Schwickert. Foto: privatMontabaur. Die Rede im Wortlaut: „In den Jahren 2015 und 2016 wurden dem Westerwaldkreis insgesamt 2.922 Flüchtlinge zugewiesen. Auch wenn der Zustrom in diesem Jahr sehr viel geringer geworden ist - vom 1. Januar bis zum 30.November kamen 311 Flüchtlinge in den Kreis -, so hat der Arbeitsanfall bei der Ausländerbehörde nicht abgenommen, eher im Gegenteil. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist inzwischen von 2.000 auf 7.600 Mitarbeiter angewachsen. Beinahe täglich ergehen Bescheide des BAMF an hier lebende Migranten, ablehnende wie anerkennende. Aus ersteren können aufenthaltsbeendende Maßnahmen resultieren, deren Durchführung nicht selten administrativ schwierig und für alle Beteiligten menschlich sehr belastend ist. In 2017 wurden bereits 49 Personen in ihre Herkunftsländer abgeschoben, Acht Abschiebungen, insgesamt 15 Personen betreffend, scheiterten, weil die ausreisepflichtigen Ausländer untergetaucht waren oder während der Abschiebung massiven Widerstand leisteten.

Dagegen nutzten in diesem Jahr bereits 80 Flüchtlinge das Beratungsangebot des Westerwaldkreises und reisten freiwillig in ihre Heimat zurück. Höhere Rückführungszahlen als der Westerwaldkreis erreichen nur die Landkreise, in denen sich Aufnahmeeinrichtungen des Landes befinden.

Derzeit leben im Westerwaldkreis insgesamt 626 Asylsuchende, also Flüchtlinge, deren Antrag sich noch beim BAMF in der Bearbeitung befindet oder deren Rechtsmittel gegen ablehnende Bescheide noch nicht ausgeschöpft sind. Hinzu kommen 135 ausreisepflichtige Personen, die aufgrund vielgestaltiger individueller Hinderungsgründe vorerst geduldet werden. Eine Duldung spricht die Kreisverwaltung zum Beispiel in Fällen aus, in denen eine Abschiebung mangels Heimreisepapieren nicht durchgeführt werden kann oder eine Erkrankung der Abschiebung entgegensteht. Es kommt auch vor, dass die Angehörigen einer Familie vom Bundesamt nicht alle gleichzeitig zur Ausreise aufgefordert werden. In diesen Fällen wird ebenfalls eine Duldung ausgesprochen, bis alle Familienangehörigen ausreisepflichtig sind.

Ausbildungs- und Arbeitsgesuche für geduldete oder noch im Anerkennungsverfahren befindliche Ausländer bilden derzeit einen Schwerpunkt bei der Arbeit der Ausländerbehörde. Grundsätzlich benötigen Flüchtlinge für die Aufnahme einer Beschäftigung eine Arbeitserlaubnis nach dem Aufenthalts- oder dem Asylgesetz. Während im Falle der Ausbildungsgesuche die Entscheidungshoheit ausschließlich bei der Kreisverwaltung liegt, haben wir bei Anträgen auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigung die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit in Bonn zu beteiligen. Diese Behörde prüft normalerweise, ob die Arbeitsaufnahme aus arbeitsmarktpolitischer Sicht vertretbar ist. Diese Vorrangprüfung entfällt allerdings befristet bis zum 6. August 2019, wenn die Beschäftigung in einem Bezirk einer Arbeitsagentur erfolgen soll, in dem die regionale Arbeitsmarktsituation keine Nachteile für vorrangig zu berücksichtigende Arbeitssuchende erwarten lässt, so wie es im Arbeitsagenturbezirk Montabaur derzeit der Fall ist. Allerdings prüft die ZAV nach wie vor aufgrund einer Arbeitsplatzbeschreibung, ob arbeitsrechtliche Anforderungen erfüllt werden, Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen und die Zahlung eines Mindestlohns betreffend.

Selbstverständlich ist meine Verwaltung grundsätzlich bestrebt, Flüchtlingen eine Beschäftigung zu ermöglichen und hilft an dieser Stelle, wo es möglich und vertretbar ist. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Hilfe ist eine möglichst kurze Bearbeitungszeit der Anträge seitens der Kreisverwaltung, da Arbeitsmöglichkeiten oftmals auch von Zeitfaktoren abhängen und die Beteiligung der ZAV regelmäßig mindestens zwei bis drei Wochen in Anspruch nimmt.

Unsere Hilfsbereitschaft findet allerdings da ihre Grenzen, wo es Zweifel an der Identität der Antragsteller gibt, etwa weil diese widersprüchliche Angaben machen oder sich einer Klärung verweigern. Wir möchten wissen, mit wem wir es zu tun haben, gerade unter dem Aspekt der Sicherheit unserer Bürger, und verlangen deshalb ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft seitens der Antragsteller.

Ein gewisser Druck seitens der Kreisverwaltung hat vielfach dazu geführt, dass Flüchtlinge sich aus der Heimat Identitätsbelege besorgt haben oder, sofern der betreffende Herkunftsstaat über ein funktionierendes Einwohnermeldesystem verfügt, beim Generalkonsulat einen Pass ausgestellt bekamen. Auch ist mancher verschwundene Pass plötzlich wieder aufgetaucht. Letztlich hat der Westerwaldkreis nur zwei von 693 Anträgen auf Arbeitsaufnahme, die in den Jahren 2016 und 2017 (bis heute) gestellt wurden, in eigener Entscheidungskompetenz abschlägig beschieden. In weiteren 125 Fällen konnte keine positive Entscheidung getroffen werden, weil die ZAV ihre Zustimmung verweigert hat. Hinzu kommen 20 Fälle, in denen entweder der potentielle Arbeitgeber oder der Flüchtling selbst abgesprungen sind.

Anerkannte Asylbewerber wechseln, solange sie noch keine Arbeit gefunden haben, in den Leistungsbezug Sozialgesetzbuch II. Hier sprechen wir aktuell von 989 erwerbsfähigen leistungsberechtigten Flüchtlingen. Immerhin 176 ausländische Leistungsbezieher konnten im Zeitraum Januar bis einschließlich September 2017 in Arbeit vermittelt werden, wobei diese Zahl allerdings auch die abgebrochenen Arbeitsaufnahmen beinhaltet.

Die Trägerversammlung des Jobcenters Westerwald hat am 29. November für die Dauer von zwei Jahren eine dritte Teamleiterstelle beschlossen, mit der dem erheblichen Mehraufwand Rechnung getragen werden soll, etwa infolge von Sprachbarrieren oder der Änderung der Bedarfsgemeinschaften durch Familiennachzug. In den beiden letzten Jahren sind im Rahmen des Familiennachzugs 190 Personen in den Westerwaldkreis eingereist, von denen knapp die Hälfte Syrer waren. Bei der Personalverstärkung geht es aber auch darum, Leistungsmissbrauch aufzudecken und zu verfolgen, wie er zuletzt insbesondere bei EU-Staatsangehörigen, namentlich bulgarischen und rumänischen Leistungsbeziehern, festgestellt werden musste.

Das Jugendamt der Kreisverwaltung hat in den letzten beiden Jahren insgesamt 265 unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA) betreut, aktuell sind es 137. Davon sind 70 in Einrichtungen unter-gebracht, 12 – überwiegend Mädchen - in deutschen Gastfamilien und 55 bei der eigenen Verwandtschaft. Insbesondere letztere werden im Rahmen der Sozialpädagogischen Familienhilfe intensiv betreut, was sich insgesamt auf die Familien positiv auswirkt. Der Aufwand im Rahmen der Sozialarbeit ist aber auch in Flüchtlingsfamilien, die keinen UMA aufgenommen haben, deutlich gestiegen. Vielfach muss den Beteiligten klar gemacht werden, dass auch im familiären Zusammenleben das deutsche Recht anzuwenden ist. Die Kinder und Jugendlichen haben inzwischen das Leben in unserer Welt kennengelernt, woraus oft mehr als nur Meinungsverschiedenheiten mit ihren Eltern und sonstigen Verwandten resultieren. Das geht soweit, dass Jugendliche den Wunsch äußern, in Obhut genommen zu werden.

Die vier Einrichtungsträger im Westerwaldkreis haben Anfang 2016 mit hohen Investitionen die Einrichtungen für UMA in Herschbach Oww. (DRK), Hübingen (Caritas), Nister (Mutabor) und Dernbach (ViaNobis/Dernbacher Gruppe Katharina Kasper) im Zusammenwirken mit Kreis- und Landesjugendamt sozusagen aus dem Boden gestampft. Nur so war es dem Westerwaldkreis möglich, die vom Gesetzgeber vorgegebene Unterbringung und Betreuung der UMA zu ermöglichen.

Viele UMA haben inzwischen das 18. Lebensjahr vollendet oder stehen kurz davor. Bisher verbleiben die meisten über das 18. Lebensjahr hinaus in der Jugendhilfeeinrichtung, was sich auf die Betreuung, Beschulung und Bildung, also insgesamt auf die Integration positiv auswirkt. Einige junge Männer verspüren allerdings einen starken Drang nach Draußen; gegen ihren Willen können junge Volljährige nicht in den Einrichtungen gehalten werden.

Selbstverständlich werden Flüchtlingskinder auch in den Kindertagesstätten im Westerwaldkreis betreut. Aktuell sind es genau 200, davon 36 unter und 164 über 3 Jahre.

Im Jahr 2017 wurden von der Kreis-Volkshochschule 46 Kurse im Bereich Deutsch als Fremdsprache mit insgesamt 545 Teilnehmenden durchgeführt. Dies betrifft die Niveaustufen A1, A2, B1 und B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens. Der sprachliche Schwerpunkt hat sich in diesem Jahr insofern verschoben, als die Anzahl der reinen Anfängerkurse zurückgegangen ist und nunmehr eine Zunahme in den fortgeschrittenen Deutschkursen insbesondere der Niveaustufen A2 und B1 festzustellen ist. Die Deutschkurse werden vorwiegend von Asylsuchenden ohne Zugang zu BAMF-Integrationskursen und Berufstätigen besucht.

Im Bereich der Alphabetisierung für Geflüchtete hat die Kreis-Volkshochschule in diesem Jahr als einzige Volkshochschule des Bundeslandes an einem Modellprojekt des Landes Rheinland-Pfalz teilgenommen. Hierbei handelt es sich um die modellhafte Förderung von Alphabetisierungskursen für erwachsene Geflüchtete ohne Zugang zu BAMF-Integrationskursen. Der Kurs wurde von Mitte Juli bis Ende November durchgeführt und umfasste 100 Unterrichtsstunden. Am Kurs nahmen ins-gesamt 13 Personen teil, die primäre und funktionale Analphabeten sind. Regelmäßig anwesend waren zwischen sechs und acht Personen. Ein Großteil der Teilnehmer stammte aus Pakistan, eine Teilnehmerin aus Georgien.

Ausländerinnen und Ausländer, die aus einem Nicht-EU-Land kommen, müssen einige Voraussetzungen erfüllen, wenn sie ein unbefristetes Aufenthaltsrecht in Deutschland erhalten wollen. Unter anderem sind ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache sowie Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland nachzuweisen. Mit dem erfolgreichen Abschluss des Integrationskurses sind diese Voraussetzungen erfüllt. Außerdem können sie dann gegebenenfalls früher eingebürgert werden.

Integrations- und Alphabetisierungskurse des BAMF, in deren Genuss insbesondere Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive kommen, werden in Vollzeit von unserem Kooperationspartner, dem ISB (Institut für Schulung und Beruf) angeboten. Anschließend führt die Kreis-VHS den Deutsch-Test für Zuwanderer A2-B1 durch. In diesem Jahr waren es 20 Prüfungen, jeweils am Wochenende, mit insgesamt 423 Teilnehmern. Bei den meisten Unternehmen ist der Nachweis des B1-Niveaus Grundvoraussetzung, um mit einer Ausbildung beginnen zu können. Dieses Niveau er-reicht etwa die Hälfte der Kandidaten, weitere circa 35 Prozent erreichen das Niveau A2.

Integration durch Bildung ist eine Querschnittsaufgabe und findet vor Ort in den Kommunen statt. Daher arbeitet seit dem 1. Februar 2017 Alexandra Tschesche als Bildungskoordinatorin in der Stabsstelle Bildung unserer Verwaltung. Diese Projektstelle wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und ist zunächst auf zwei Jahre befristet, also bis zum 31. Januar 2019. Eine Verlängerung um weitere zwei Jahre ist möglich.

Die Aufgaben der Bildungskoordinatorin des Westerwaldkreises sind die Erfassung der Bildungsangebote und Bildungsbedarfe für Neuzugewanderte. Zur Erfassung der Angebote ermittelt die Bildungskoordinatorin die bestehenden Bildungsangebote im Westerwaldkreis – hierzu zählen neben Kindertagesstätten und Schulen auch die Angebote der Wohlfahrtsverbände, von Vereinen sowie Unternehmen und Kammern. Sie bildet die Schnittstelle zwischen den Bildungsakteuren, vernetzt diese miteinander, schafft Transparenz über die Bildungsangebote und kann bei Bedarf Impulse für weitere Angebote geben. Ziel der Bildungskoordination ist es – im Sinne des lebenslangen Lernens – die Zugänge zu den vorhandenen Bildungsangeboten zu erleichtern. Zur Erreichung der Ziele veröffentlicht die Bildungskoordinatorin die Bildungsangebote, führt bei Bedarf Informationsveranstaltungen durch und erstellt einen jährlichen Bericht zur Situation der Bildungsangebote und -bedarfe für Neuzugewanderte im Westerwaldkreis.“
Nachricht vom 08.12.2017 www.ww-kurier.de