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Nachricht vom 15.12.2017 |
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Region |
Die Dekanatsvereinigung – eine 150 Jahre alte Idee? |
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Das kommende Jahr wird ein historisches sein – zumindest für die Geschichte der Evangelischen Kirche in der Region. 2018 schließen sich die beiden Dekanate Selters und Bad Marienberg zum Dekanat Westerwald zusammen und bilden dann den flächenmäßig zweitgrößten Kirchenkreis der gesamten EKHN. Ein Novum, auf das sie sich seit Jahren intensiv vorbereiten. Allerdings wäre es vor rund 150 Jahren fast schon einmal so weit gewesen. Dokumente beweisen, dass sich die Dekanate schon im 19. Jahrhundert sehr, sehr nahe stehen. |
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Westerwaldkreis. Der Mann, der die Schriften entdeckt hat, ist Stefan Ferger. Ein Typ, der es mag, die Dinge genau zu betrachten. Er leitet die Finanzabteilung der Kirchlichen Regionalverwaltung Rhein-Lahn-Westerwald. Sein Faible für Genauigkeit kommt ihm auch bei seiner großen Leidenschaft zugute: der regionalen Heimatgeschichte, mit der er sich dank umfangreicher Literatur, alter Akten, Fotos, Erzählungen und Archivbesuchen inzwischen bestens auskennt.
Heute sitzt er in einem kleinen Raum im Gemündener Gemeindebüro, flankiert von einem wuchtigen Schrank voller vergilbter Bücher und Blätter. Es riecht nach Holz und alten Buchrücken. Ferger mag diesen Raum. Es ist das Archiv der Kirchengemeinde, eine Schatztruhe charmanter historischer Anekdötchen und Merkwürdigkeiten - wie zum Beispiel diesem Sitzungsprotokoll einer Synode des späten 19. Jahrhunderts. Ein Standarddokument von damals, dessen Titel Ferger aber stutzig macht. Auf dem Umschlag ist von einer gemeinsamen Kreissynode der Dekanate Marienberg (noch ohne das „Bad“) und Selters die Rede. Eine gemeinsame Synode. Das bedeutet, dass die Dekanate vor mehr als 120 Jahren enger zusammengearbeitet haben als heute.
Ist die Fusion 2018 am Ende also gar kein Novum, sondern eine Wiedervereinigung?
Stefan Ferger holt mit seiner Antwort weit aus: „Der Westerwald gehört Anfang des 19. Jahrhunderts zum neu gegründeten Herzogtum Nassau, das sich aus vielen ehemaligen Klein- und Teilstaaten zusammensetzt und sehr zerfasert ist. Auch die kirchliche Landschaft dieser Region ist recht unübersichtlich.“ Um wieder etwas mehr Ordnung ins evangelische Leben zu bringen, schließen sich 1817 zunächst die Lutheraner und die Reformierten zusammen, und 1818 erlässt die Herzoglich-Nassauische Landesregierung eine Kirchenordnung, die den Westerwald in die Dekanatsbezirke Hachenburg, Rennerod-Marienberg und Selters gliedert. Was die inhaltliche Arbeit angeht, haben die alten Dekanate mit denen der 2000er-Jahre kaum etwas gemeinsam. Die heutigen sind umtriebige Verwaltungsstätten mit zahlreichen Mitarbeitern und Arbeitsbereichen. „Die damaligen Dekanatsbezirke hatten keinerlei Selbstverwaltungsaufgaben und sind keine juristischen Personen. Ihnen steht der Dekan vor, der der Dienstvorgesetzte der Pfarrer ist, Anordnungen des Herzogtums weiterleitet und die Visitationen führt. Das Dekanat war damals also nicht mehr als die Summe einiger Kirchengemeinden.“
Das ändert sich erst, nachdem das Königreich Preußen im Jahr 1866 das Herzogtum Nassau annektiert. Rund fünf Jahre später setzt König Wilhelm eine Kreis-Synodal-Ordnung in Kraft. Die legt fest, dass in jedem Kirchenkreis regelmäßige Kreissynoden stattfinden sollen, deren Aufgabe es ist, die „kirchlichen Interessen der zu ihnen verbundenen Gemeinden zu fördern und zu vertreten.“ Die Kirchenkreise (die es so heute nicht mehr gibt) bestehen wiederum aus mehreren Dekanaten. Im Westerwald sind das anno 1871 zwei: Rennerod-Marienberg und Selters. „Und diese zwei Dekanate treffen sich ab jenem Jahr zu regelmäßigen Synoden“, sagt Ferger. Es bleibt also dabei: So richtig vereint waren die Dekanate noch nie. Aber sie kommen sich 1871 schon mal ziemlich nahe.
Die Themen, über die während der gemeinsamen Treffen gesprochen wird, klingen für unsere Ohren etwas spröde: „Auf den Synoden berichtet der lebensälteste Dekan über ,die kirchlichen und sittlichen Zustände der Gemeinden im Kreissynodalbezirk’, und die Synode beschließt den Rechnungsvoranschlag, also den Haushaltsplan, sowie die Rechnung der Synodalkasse“, sagt Ferger. Das, was darüber hinaus besprochen wird, legen die Dekanate freilich nicht selbst fest. Stattdessen gibt die Kirchenverwaltung, das „Consistorium“, genau vor, worüber die Synodalen zu diskutieren haben. Es geht um die kirchliche Armen- und Krankenpflege, über die Fürsorge für entlassene Strafgefangene oder die „Anleitung zur christlichen Liebestätigkeit“. Themen also, die schon damals nahe am Menschen sind. Dazu passend: die Tagungsorte der damaligen Synoden. Statt in kirchlichen Gebäuden treffen sich die Vertreter in schnöden Gaststätten. Denn Gemeindehäuser gab es damals noch nicht. In diesem ziemlich weltlichen Ambiente ist der Umgangston dementsprechend durchaus „meinungsfreudig“, meint Ferger: „In einem Antrag beschwert sich ein Synodaler zum Beispiel darüber, dass Aufwand und Nutzen der Synode in keinem Verhältnis zueinander stehen und beantragt, sie nur noch alle zwei Jahre stattfinden zu lassen. Schließlich gibt es damals weder Autos noch die Westerwaldbahn, und die Mitglieder mussten teils weite Märsche auf sich nehmen. Der Antrag wird aber trotzdem abgeschmettert.“
Und wie es sich für zwei benachbarte Gebiete gehört, gibt es damals natürlich die gegenseitigen Sticheleien, die auch vor einer Synode nicht Halt machen. „In einer Sitzung werfen die Marienberger den Seltersern vor, dass sie mit ihrer Kollektensammlung für den gemeinsamen Erziehungsverein in Rückstand geraten sind“, sagt Ferger. Die Selterser tragen damals nur rund 40 Mark zum gemeinsamen Verein bei, die Marienberger stolze 312 Mark.
Dass die Dekanate 19 Jahre später doch wieder getrennte Wege gehen, hat aber andere Gründe. 1890 verpasst die Kirchengemeinde- und Synodalordnung den Kreissynoden einen neuen Zuschnitt: „Die Kirchengemeinde Montabaur wird aus dem Dekanat Diez ausgegliedert und dem Dekanat Selters zugeschlagen. Das wird dadurch größer und bildet ab sofort einen eigenen Synodalkreis – ebenso wie das Dekanat Marienberg“, sagt Ferger.
Danach ist der Erziehungsverein lange das letzte Bindeglied der beiden Dekanate. Heute gibt es diesen Verein nicht mehr: Er hat sich irgendwann in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgelöst, glaubt Ferger. Dafür ziehen die beiden Dekanate Selters und Bad Marienberg seit Jahren in anderen Bereichen an einem Strang: in der Erwachsenenbildung, der Öffentlichkeitsarbeit, der Notfallseelsorge, um nur einige zu nennen. Folgerichtig wollen sie 2018 das umsetzen, was sich schon vor fast 150 Jahren angedeutet hat: Sie wollen sich endlich zu einem großen Dekanat Westerwald vereinigen. Und das ist dann hoffentlich ein Ereignis, das nicht so schnell in den vergilbten Seiten der Chroniken verschwindet wie die zarten Annährungsversuche des Jahres 1871. (bon)
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Nachricht vom 15.12.2017 |
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