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Nachricht vom 25.01.2020 |
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Interview (Teil 1) mit Fly&Help-Gründer Reiner Meutsch: „Ich wollte einen Sinn“ |
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Die nackten Zahlen heben eine Leistung heraus, die ihresgleichen sucht: In zehn Jahren des Bestehens eröffnete die Stiftung "Fly & Help" von Reiner Meutsch (Kroppach/64) 369 Schulen in 47 Ländern. 16 Millionen Euro wurden investiert. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Im dreiteiligen Exklusivinterview mit den Kurieren offenbart der Stiftungsgründer viele private Aspekte. Lesen Sie im ersten Teil über Meutschs Abschied vom Unternehmen "Berge & Meer", über eine neue Charaktereigenschaft und wie er lernte, sich in höchsten Politikkreisen und in der High Society zu bewegen. |
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Blicken wir zurück zu Anfang der 1980er-Jahre, als wir uns kennenlernten: Können Sie sich an den damaligen Menschen Reiner Meutsch noch erinnern?
Ja. Ich glaube schon, dass der Mensch der gleiche geblieben ist. Ich habe mein Leben immer in Phasen gelebt. Ich bin in der Heimat groß geworden mit meiner Schulausbildung, bin zum Militär gegangen und dann in den elterlichen Busbetrieb meines Vaters eingestiegen. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie hart das war, überhaupt Geld zu verdienen. Wir wussten manchmal nicht, ob es Weihnachten Geschenke gab, weil das Busgeschäft so volatil war. Im Sommer war Geld vorhanden, weil die Leute unterwegs waren und der Linienverkehr funktionierte. Im Winter war es immer schwierig, da es kein Geschäft gab. Damals habe ich gemeinsam mit meinem Vater und meinem Bruder die berühmten Touren nach Lloret de Mar erfunden: zehn Tage Vollpension für 299 Mark. Ich vergesse nie, wie wir eine Anzeige in der Zeitung geschaltet hatten und bei uns 500 Anmeldungen eingingen. 500 Anmeldungen hieß, dass wir Geld in die Kasse gespült bekamen, die die Liquidität sicherten. Diese "Erfindung" mit den Llorett-de-Mar- und später Potoroz-Touren hat uns eine kontinuierliche Einnahmequelle beschert. Und wo ich mich noch dran erinnere: Ich konnte in dem Unternehmen nie aus meiner Haut raus, weil ich immer Flugreisen anbieten wollte. Mein Vater war nie ein "Flugmensch", sondern ein klassischer "Busmensch". Alles was vier Räder hatte, war das, was ihn interessierte. Dass ich eben Flugreisen organisieren wollte, war der Grund, warum ich als knapp über 30-Jähriger das Unternehmen verließ.
Haben Sie damals eine solch rasante Entwicklung Ihres beruflichen Fortkommens mit dem sozialen Engagement und möglicherweise auch Ihrer Persönlichkeit für möglich gehalten?
Als ich das elterliche Unternehmen verließ und bei meinem Freund Klaus Scheyer meinen beruflichen Werdegang fortsetzte, der unter anderem ein Geschäft hatte, das schwerpunktmäßig Reisen nach Korsika organisierte, habe ich 1989 und nach drei Monaten in Scheyers Unternehmen gesagt, dass wir mit der Vision des Direktvertriebs von Reisen irgendwann die Nummer eins in Deutschland sein werden. Die Antwort von Klaus lautete: "Ja, ja, Reiner, träum' weiter". Diese Vision erzählte ich meinem Vater am Totenbett und erklärte ihm, was ich einmal mit der Firma "Berge & Meer" vorhabe. Mein Vater antwortete: Ich glaube, du hast das richtig gemacht, dass du das tust. Du warst nie der klassische "Busmensch". Du gehörst irgendwie in die Luft. Mach das, wovon du träumst! Als mein Freund Klaus Scheyer und ich das Unternehmen verkauft hatten, sagte Klaus in seiner Verabschiedungsrede: "Reiner hat einmal gesagt, dass wir die Nummer eins werden in dem Segment, das wir bedienen. Da habe ich ihn fast ausgelacht." Wir sind die Nummer eins geworden. Ich glaube, man muss Träume haben, um was Großes zu erreichen. Mich hat das geprägt und verändert. Ich wusste, dass ich nur erfolgreich werden kann in Verbindung mit Menschen. Ich musste von einer Vision, die in meinem Kopf war oder die wir wollten, Menschen begeistern. Ich musste auch die Mitarbeiter motivieren, etwas zu tun, was es bis dato in der Touristik noch nicht gab. Damals kaufte man Reisen im Reisebüro, wir bauten als allererste einen Reiseveranstalter auf, der den Direktvertrieb an den Kunden über Tchibo, über Aldi, über RTL und Zeitungen betrieb. Wir waren die ersten, die ein Call-Center in Deutschland hatten. Das war revolutionär. Heute gibt es über 500 Veranstalter, die das machen. Wir waren fast drei Jahrzehnte auf einer Insel der Glückseligen. Und dann kam mir der Satz von meinem Vater, als ich in Richtung 50 Jahre ging, in Erinnerung: "Wenn ich einmal Rentner bin und das Busgeschäft Euch gehört, dann schaue ich mir Sydney an, gehe nach New York zur Freiheitsstatue und zu Fuß über die Golden-Gate-Brücke in San Francisco." Mein Vater ist nur 58 Jahre alt geworden. Er hat das alles nie gemacht und ist so gut wie nie gereist. Dann habe ich mir gesagt, dass ich das alles jetzt tun möchte. Ich habe mein Unternehmen verkauft, habe mich zum Piloten ausbilden lassen und habe die Stiftung "Fly & Help" gegründet. Der Hintergrund war, dass ich meiner Weltumrundung einen Sinn geben wollte. Ich wollte mit meinem Geld fünf Schulen bauen, und dabei sollte es auch eigentlich bleiben. Ich wollte mein Gewissen beruhigen. Die Schuleröffnung am 26. Januar 2010 in Nyinawimana in Ruanda hat mich für mein weiteres Leben geprägt. Diese Armut zu sehen, diese Einfachheit, diese Menschen haben nichts. Wir bauen ihnen eine Schule, und sie sind glücklich. Lernen zu dürfen ist ein Privileg. Und ich habe noch weitere Schulen eröffnet in Indien, Indonesien, Brasilien etc. Dann kam ich am 6. November 2010 nach Hause, und ich war mir sicher: Das werde ich jetzt machen. Ich hatte Angebote wie Chef der Air Berlin zu werden, bei Steigenberger hätte ich einsteigen können. Das wollte ich nicht. Ich wollte nicht mehr ins operative Geschäft, ich wollte Schulen bauen. Mein Ziel waren fünf Schulen pro Jahr. Ich war mir sicher, dass ich so viele Sponsoren finden würde, die mir das ermöglichten. Eine Schule kostet 50.000 Euro. Dass alles so eine Dynamik angenommen hat und dass die Arbeit mich heute mit Haut und Haaren einnimmt, die mich unglaublich glücklich macht, hätte ich bei weitem nicht gedacht. Die Arbeit macht aber nicht nur mich glücklich. Die, die mir Geld geben, sind glücklich, dass sie mir Geld geben dürfen, um zu helfen. Ich bin glücklich, dass das Geld in die Stiftung fließt. Und die, die die Schulen bekommen, die Eltern und Kinder in den entlegensten Regionen, sind ebenfalls glücklich. Das ist so eine fantastische Arbeit.
Welche Charaktereigenschaften sind bei Ihnen seit den 1980er-Jahren dazu gekommen?
Eine ganz wichtige: Demut. Ich war immer auf einer Erfolgswelle - ob in der Touristik, im Radio, bei allem, was ich tat. Die größte Niederlage war, dass meine Frau mich verlassen hat. Das betrachte ich auch nach zehn Jahren so. Die Arbeit jetzt hat mich demütiger gemacht. Der Wert des Geldes ist für mich ein anderer geworden, die Zeit ist für mich eine andere geworden. Ich habe gesehen, dass man ohne Geld glücklich sein kann. Ich habe gesehen, dass Menschen, die nicht wissen, was sie morgen zu essen haben, trotzdem lachen, sich hinsetzen und sich Zeit nehmen, um ihre Sorgen und Erfahrungen zu teilen. Da bin ich nur dankbar, dass ich diese Erfahrung machen durfte. Das ist mir nur gelungen, weil ich losgelassen, etwas Neues begonnen habe und offen war für das, was ich tue.
Sie haben nach und nach gelernt, sich in höchsten Kreisen der Politik und in der High Society zu bewegen. Wie schwer sind Ihnen die ersten Schritte auf diesen Ebenen gefallen? Hatten Sie Lampenfieber?
Die waren ganz schwer. Ich weiß, wie ich als 22- oder 23-Jähriger mit einem Team von Helfern in der Stadthalle Altenkirchen die ersten Steckenstein-Galas für die Lebenshilfe moderiert habe. Da kamen die ersten Kontakte. Ich denke an Andreas Reingen, den heutigen Chef der Sparkasse Westerwald/Sieg. Er war früher Trompeter im Blasorchester Oberlahr. Da war er gerade einmal 11 und ich 23 Jahre. Heute sind wir alle wieder auf einer gemeinsamen Stufe. Heinz Fischer von der Hammermühle hat mir einmal gesagt, als ich 25 Jahre war, ein paar Promis in die Hammermühle kamen und ich klein und ergeben war: "Reiner, stell dich nicht so an. Nackt sind sie alle gleich." Den Spruch habe ich mir gemerkt und später erweitert. Wir kommen nackt auf die Welt, und wir gehen nackt von der Welt. Dazwischen ist Leben. Der eine ist in dem Kulturkreis geboren, der andere in der Schicht, und der nächste in der oder der Religion. Wenn ich heute Menschen begegne, und ich bin im Jahr 2019 wirklich Weltstars begegnet wie ehemaligen Präsidenten oder Weltmarktführern, Stars oder vermeintlichen Stars, Politikern, der Bundeskanzlerin. Ich habe so viele Menschen erlebt, bin ihnen aber immer begegnet als Reiner Meutsch, als der Westerwälder. Ich habe immer gesagt, wo ich herkomme, werde niemals verleugnen, wo meine Wurzeln sind. Ich brauche nie zu sagen, dass ich in der High Society geboren bin. Nein, ich bin der Sohn eines Westerwälder Busunternehmers, und mein Opa war Bauer. Zu diesen Fakten stehe ich und unterhalte mich mit ihnen auf einer Stufe, die denen gut tut, die immer grundehrlich ist. Westerwälder haben die Eigenschaften, hart wie Basalt sowie bodenständig zu sein und nicht zu lügen. Und diese Charaktereigenschaften haben mich weitergebracht. Ich freue mich auf solche Begegnungen, weil diese Menschen, die ich vormals im Fernsehen sah oder aus den Medien kenne, auch ein Leben leben zwischen Geburt und Tod. Ich bin dankbar, dass ich diesen Menschen begegne. Aber ich habe auch viele erlebt, die gesagt haben, dass sie dankbar sind, mich kennen gelernt zu haben. Das ist ein Wechselspiel. Ich genieße es genauso, mit meinem Freund Paul von der Hammermühle ein Bier zu trinken wie mit Tom Hanks in Hollywood. (hak)
Lesen Sie in den kommenden Tagen im zweiten Teil des Exklusivinterviews, wie und wo Reiner Meutsch Kraft tankt, ob ihm auch Neid entgegenschlägt und ob die Stiftung inzwischen ein Selbstläufer ist.
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