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Nachricht vom 06.02.2021
Kultur
Buchtipp: „Zeuge der Wende – Das war mein RIAS-TV“ von Gerhard Specht
Gerhard Specht ist in Montabaur geboren, in Höhr-Grenzhausen aufgewachsen. Er war später Chefreporter und Lokalchef in Mannheim und in der Westpfalz, Gründungs-Chef vom Dienst bei Radio „RPR“ in Ludwigshafen. Er schildert aus seiner Journalisten-Sicht die Ereignisse um den 9. November 1989.
Buchtitel. Foto: Omnino-VerlagDierdorf/Berlin. In seinem Vorwort stellt der Berliner Journalist fest: „Die Nacht, in der die Mauer fiel. Diese Nacht hat nicht nur die beiden Deutschland verändert, diese Nacht hatte Konsequenzen für einen ganzen Kontinent, für unsere Welt.“ Erlebt hat Specht die geschichtsträchtige und emotionsgeladene Nacht als Chef vom Dienst des Fernsehsenders RIAS-TV, der die dreistündige Live-Sondersendung am Morgen des 10 Novembers 1989 verantwortete.

„Zeuge der Wende“ zeichnet den Schlingerkurs der DDR-Machthaber nach, zeigt, wie sie die Zeichen der Zeit ignoriert haben und schließlich vom eigenen Volk in die vorauseilende Selbstzerfleischung gezwungen wurden. Das Buch zeigt aus der Perspektive eines Redakteurs der kleinen, aber überaus engagierten Crew des TV-Senders, was in der Nacht der Nächte geschah, was danach passierte und wie es zur Abwicklung des Staates kam.

In vielen Episoden schildert der Autor seinen und des Senders Werdegang: Der Westerwälder Specht kam zu seinem Job wegen einer Frau, seiner späteren Ehefrau Anne, einer Kollegin in Ludwigshafen, die zum RIAS Berlin ging. Specht folgte ihr in die aufregendste Stadt in Deutschland, wenn nicht in Europa. RIAS war für die DDR-Oberen der Feindsender „Nummer 1“. „Eine freie Stimme der freien Welt“. Ein Slogan und ein Versprechen des Senders gleichermaßen. Spechts erster Eindruck vom Paradies der Arbeiter und Bauern war „grau“. Aber in der Traumstadt Berlin gab es für Arbeitnehmer die Berlin-Zulage (im Volksmund wegen der russischen Truppen-Präsenz „Zitter-Zulage“ genannt).

Mit einem zweistelligen Millionenbetrag aus Bonn und Washington im Rücken startete RIAS-TV am Montag, 22. August 1988, seine aktuellen Informationssendungen für Berlin und die DDR. Das Programm wurde zunächst regional im Großraum Berlin, dann bundesweit über ARD und ZDF ausgestrahlt. Seit 1992 ist der Sender als Deutsche Welle TV (DW) rund um die Uhr, rund um die Welt zu empfangen.

RIAS-TV wurde schnell durch sein „Frühstücksfernsehen“ bekannt und beliebt. Längere Hintergrundberichte aus der DDR, der eigentliche Auftrag des Senders, waren meist Fehlanzeige. Man konnte im Wesentlichen nur auf Material von CNN (Cable News Network) und von der EBU (Europäische Rundfunkunion) zurückgreifen. Nach dem von Journalisten sogenannten „Maulkorb-Erlass“ waren Dreharbeiten in der DDR genehmigungspflichtig. Ein engagiertes Team, zu dem unter anderen Nina Ruge, Günther Neufeldt, Norbert Vojta, Karin Jacoby, Antje Garden, Olaf Krieger, Bettina Tietjen und Harro Zimmer gehörten, gestalteten professionell mit einem umfangreichen Dokumentarfilm-Angebot das Informations- und Unterhaltungs-Medium.

Trotz ständiger nervenraubender Begegnungen mit Stasi-Mitarbeitern, denn die Stasi hat tatsächlich bis zum Ende der DDR ernsthaft geglaubt, die westdeutschen Medien würden zentral von der Bundesregierung gesteuert und seien allesamt ausgebildete Geheimdienstagenten.

„Der Wind blies den Genossen zunehmend heftiger ins Gesicht. Und zwar von allen Seiten. Doch keiner von uns, die wir doch wirklich dicht am Geschehen waren, hat den Zusammenbruch des Staates vorhergesehen.“ Im Schicksalsjahr 1989 nahm die politische Entwicklung immer schneller an Fahrt auf. Zunächst versuchten die DDR-Oberen, wie gewohnt, mit Gewalt gegen die Bürgerwut anzukämpfen. Als dies misslang, sollte die Gewährung von kleineren Freiheitsrechten die Massen besänftigen. Auch das misslang: Der Konflikt kulminierte in dem unfreiwilligen Rücktritt Honeckers, der berühmten „Wende“-Rede des neuen SED-Generalsekretärs Egon Krenz, massenhaften Ausreisen von DDR-Bürgern und der geschichtsträchtigen „Nacht der Nächte“, versehentlich ausgelöst durch Günter Schabowski.

Der Wind of Change wehte auch bei RIAS-TV, der nun an jeden gewünschten Punkt der DDR reisen, Gesprächspartner finden und Bewegtbilder erstellen konnte. Silvester am Brandenburger Tor wurde ebenso dokumentiert wie die nicht mehr zu übersehenden Auflösungserscheinungen in der DDR. Mit dem Einigungsvertrag vom 31. August 1990 löste sich die DDR formal auf, um am 3. Oktober der Bundesrepublik Deutschland beitreten zu können. Die „D-Mark“ galt als Symbol des westdeutschen Wirtschaftswunders und des westdeutschen Wohlstandes. Sie war die Währung, mit der man alles kaufen und überall hinreisen konnte. „Unsere Berichte konnten die Raubzüge der „Beute-Wessis“ im Osten natürlich nicht aufhalten und ich bezweifle, dass viele Zuschauer die Warnungen sofort glauben konnten. Erst als es an die Existenz ging, war für jeden Ex-DDR-Bürger nicht mehr zu übersehen, dass neue und dazu raue Zeiten angebrochen waren.“

Neben den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges unterschrieben auch die Vertreter der beiden Deutschland den „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“. Ein diplomatisches Meisterwerk. Am 3. Oktober 1990 wurde Deutschland (wenn auch noch nicht völkerrechtlich verbindlich) aus der Vormundschaft der Siegermächte entlassen. Die Alliierten meldeten: „Auftrag ausgeführt“. Am Morgen des Einheitstages legten die drei damals wohl mächtigsten Männer im Westen der Stadt, der amerikanische, der französische und der britische Stadtkommandant, ihr Kommando nieder.

Rückblickend schreibt Specht: „Es war eine schöne Zeit in der spannendsten Stadt der Welt und in der Metropol-Region. Für die RIAS-TV-Crew ging es hinterm Horizont weiter: global statt regional.“

Angehängt sind eine kleine DDR-Kunde von „Machtstruktur“ bis „Zentraler Runder Tisch“, viele Seiten Quellenangaben und Lese-Empfehlungen sowie ein Kalender der Wende.

Das Buch „Zeuge der Wende“ ist im Berliner omnino-Verlag erschienen. htv

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